Düstere Aussichten zum neuen Jahr: Laut Konjunkturindex Apokix erwarten 77 Prozent der Apothekenleiter eine deutliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Eine mögliche Reaktion sind neue Konzepte wie die stärkere Individualisierung von Dienstleistungen. Allein die Gretchenfrage bleibt: Wer honoriert diese?
Apotheken haben bekanntlich den Auftrag, „die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“ zu übernehmen, so das Gesetz – ein hehres Ziel, das immer schwerer umzusetzen ist. Welche Chancen gibt es aber trotz der Spargesetze wie AMNOG und Co.?
Selbstmedikation: Sorgenkind oder Hoffnungsträger?
Es begann mit dem Einschnitt im Jahr 2004: OTCs wurden bis auf wenige Ausnahmen aus der Erstattung der gesetzlichen Krankenversicherungen herausgenommen. Seither sinkt der Umsatz entsprechender Medikamente stetig. Eine Erklärung: Trotz erwiesener Qualität und Wirksamkeit hätten Präparate das Image, von geringerem Nutzen zu sein, konstatiert der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. Dessen Vorsitzender Hans-Georg Hoffmann sieht aber mittelfristig gute Chancen für die Selbstmedikation. Diese sei gerade in Zeiten, in denen die Eigenverantwortlichkeit der Patienten beschworen werde und die finanziellen Mittel knapp seien, zukunftsweisend. Zum Hintergrund: Bald können die gesetzliche und die private Krankenversicherung nur noch im Rahmen des so genannten ersten Marktes Leistungen der Grundversicherung anbieten. Den zweiten Markt bedienen, so der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik, Wahlleistungen der gesetzlichen Krankenkassen sowie Volltarif-Modelle der privaten Versicherer. Hingegen berge der dritte Markt mit Selbstzahlern die größten Chancen für Apotheker, denn er werde nicht gedeckelt.
Markenpartnerschaften: Zwischen Skylla und Charybdis
Doch gerade bei den OTCs machen niedrige Preise der Konkurrenz kleinen Apotheken das Leben schwer. Ein Ausweg können Kooperationen sein – schätzungsweise 70 Prozent aller Apotheken haben sich mittlerweile zu diesem Schritt entschlossen. Das Spektrum reicht dabei von lockeren Assoziationen bis hin zu „Beinahe-Apothekenketten“. Die Problematik: Schwache Partnerschaften bringen meist nicht den gewünschten Erfolgt – starke Kooperationen können die heilberuflichen Freiheit tangieren. Dazu Celesio-Chef Fritz Oesterle: „Wenn ein Apotheker sich entscheidet, bei einer Markenpartnerschaft mitzumachen und damit auch die beworbenen Produkte zu führen, dann sollte er sich auch im eigenen Interesse daran halten.“ Man könne sich „nicht nur herauspicken, was bequem ist“.
Stärken zeigen – Unikate gesucht
Doch Kooperationen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Dr. Andreas Kaapke, ehemaliger Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung, empfiehlt Apothekern, generell ihr Profil zu schärfen: „Sie sind keine normalen Kaufleute. Sie haben studiert. Sie haben eine Approbation.“ Freundlichkeit und Kompetenz stünden in der Gunst der Kunden weit oben. Auch würde das Dienstleistungsspektrum sehr geschätzt. Es gilt, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen: „Keine Apotheke der Welt kann für alle Kunden die beste sein. Kunden sind so individuell wie die Apotheke selbst“, ist sich der Ökonom Prof. Dr. Gerhard F. Riegl von der Fachhochschule Augsburg sicher. Eine große Centerapotheke etwa wird andere Zielgruppen bedienen und eine andere Kundenbindung haben als eine kleine, beispielsweise auf Alternativmedizin spezialisierte Apotheke. Die Devise müsse laut Riegl daher lauten: „Wie werde ich ein Unikat?“.
Kooperation Arzt und Apotheker stärken
Neben dem engen Kontakt zu Kunden wird die Zusammenarbeit mit anderen Heilberufen immer wichtiger, Stichwort Multimorbidität: „Je mehr Medikamente ein Patient einnimmt, desto größer ist das Risiko arzneimittelbezogener Probleme“, so ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf. Drei bis sieben Prozent der Krankenhauseinweisungen würden aktuell durch Arzneimittelneben- oder -wechselwirkungen verursacht. Und genau hier kann pharmazeutische Betreuung Abhilfe schaffen. Dazu arbeiten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände an einer verbesserten Zusammenarbeit von Arztpraxis und Apotheke im Sinne des Medikationsmanagements. Als Ziel sieht Heinz-Günter Wolf eine zentrale Datenbank, die sowohl verschriebene Arzneimittel als auch OTC-Präparate aufführt, vorausgesetzt, die Patienten lassen sich an eine Apotheke bzw. Arztpraxis binden. Wolf: „83 Prozent der chronisch Kranken haben inzwischen eine Stammapotheke“. Und bei den Arztpraxen sei der Anteil noch höher. Mittlerweile liegt ein gemeinsames Konzept vor: Den Wirkstoff inklusive Menge, Dosierung und Therapiedauer bestimmt die Arztpraxis. Apotheker hingegen übernehmen die Auswahl des Präparats unter pharmazeutischen sowie ökonomischen Aspekten und beraten die Patienten.
Eigentlich steht damit einer flächendeckenden Implementierung der pharmazeutischen Betreuung nichts mehr im Wege – theoretisch. Praktisch bleibt immer noch die Frage der Honorierung zu klären. Prof. Dr. Marion Schäfer von der Charité Berlin: „Schließlich ist die pharmazeutische Betreuung mit einem hohen Zeit- und Dokumentationsaufwand verbunden“. Einen Schritt weiter geht das Versorgungsmanagement. Apotheken mit Lotsenfunktion könnten Patienten durch den Dschungel der Leistungserbringer weisen, so die Theorie. Und Versicherer hätten Interesse an gut versorgten Chroniken, die weniger kosteten, ist sich der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Jens Spahn, sicher. Jede vorausschauende Kasse, die nicht nur an Zusatzbeträge denke, sollte sich hierzu Gedanken machen. Für Apotheker sei da, so Jens Spahn, „viel Raum für Zukunft“. Zur Frage der Honorierung rät Prof. Dr. Dorothee Gänshirt von der European Health Care Foundation den Apotheken lapidar, einfach anzufangen, sich gut zu positionieren und nicht erst zu warten, dass die Krankenkassen auf sie zukämen.
Vorbeugen: besser als Bohren
Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung kann das Gesundheitssystem nicht mehr allein auf die Therapie von Krankheiten setzen – schon aus Kostengründen. Für die Prophylaxe ist die Apotheke vor Ort in der Tat eine ideale Anlaufstelle mit zahlreichen Patientenkontakten, ohne Terminvereinbarung und ohne volle Wartezimmer. Denkbar wären dabei Themen wie Darmkrebs, Diabetes mellitus, Herz oder Haut – das Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG) in München hat zahlreiche Themen praxistauglich umgesetzt.
Ein Vorschlag der ABDA: Mit einem Leistungskatalog für Beratungs- und Serviceangebote in Apotheken, kurz LeiKa, soll der Umfang der Services definiert werden – neben Aspekten des Qualitätsmanagements auch eine mögliche Grundlage für künftige Honorierungen über betriebswirtschaftliche Parameter. Das Problem daran: Momentan sieht die Bundesregierung das Thema Prävention ausschließlich bei Ärzten verankert.
Personalisierte Therapie: Gießkanne war gestern
Paradigmenwechsel in der Medizin: Zielt die altehrwürdige Arzneimitteltherapie darauf ab, mit einem Wirkstoff möglichst viele Patienten zu behandeln, so gehen individualisierte Konzepte auf unsere spezielle genetische Ausstattung ein. „Personalisierte Medizin ist der Versuch, dem richtigen Patienten die richtige Arznei in der richtigen Dosis zum richtigen Zeitpunkt zu verabreichen“, fasst Prof. Dr. Heyko Kroemer von der Uni Greifswald zusammen. Mit dieser Methode lassen sich Non-Responder erfassen sowie unerwünschte, individuelle Nebenwirkungen vorhersagen. Auch wenn die Analytik in Apotheken selbst nicht durchführbar sei, so Prof. Dr. Theo Dingermann von der Uni Frankfurt, biete sich das Zentrallaboratorium der deutschen Apotheker als Institut an, um zukünftig diese Dienstleistung in Apotheken zu implementieren.
Die Notwendigkeit ist dabei nicht nur medizinischer Natur. Auch unter ökonomischen Aspekten macht es keinen Sinn, etlichen Patienten zuallererst einen Wirkstoff zu verabreichen, der aus genetischen Gründen möglicherweise schlecht wirkt. Was bereits heute bei der Tamoxifen-Therapie etabliert wurde, lässt sich auf zahlreiche Krankheitsbilder übertragen. Und selbst im Koalitionsvertrag der Bundesregierung findet sich ein entsprechender Passus: „Wir ebnen den Weg für eine individualisierte Medizin und für Therapien, die wirksamer und verträglicher sind“, heißt es in dem Dokument.