Bei Marathonläufern ist es vor dem Wettkampf üblich, Schmerzmittel einzunehmen. Der Griff zur Tablette birgt jedoch enorme Risiken, wie Mediziner nun feststellen konnten: Kreislaufversagen oder Erbrechen, aber auch Organversagen treten gehäuft auf.
Die Aussicht wirkt für viele Marathonläufer verlockend: Vor dem Start einfach eine Schmerztablette einwerfen und anschließend von lästigen Beschwerden verschont bleiben. Dass der vorbeugende Griff zur Tablette jedoch enorme Risiken mit sich bringen kann, haben Wissenschaftler kürzlich im Rahmen einer Studie gezeigt. Der Erlanger Pharmakologe Prof. Kay Brune und der Bonner Arzt Michael Küster untersuchten beim Bonner Marathon 2010 nicht nur, wie viele Sportler zu Schmerzmitteln griffen, sondern auch, welche gesundheitlichen Probleme dabei auftraten. Ihre Ergebnisse präsentierten sie kürzlich beim Deutschen Schmerzkongress in Mannheim.
Insgesamt nahmen rund 7500 Läufer an diesem Wettkampf teil. Alle erhielten auf elektronischem Weg die Möglichkeit, mit Hilfe eines Fragebogens Angaben zu ihrem Schmerzmittelgebrauch zu machen. Die Mediziner bekamen von 3500 Teilnehmern eine Rückmeldung, davon liefen 1000 die Marathondistanz und 2500 die Halbmarathondistanz. Von den Wettkämpfern, die eine Antwort abgaben, bekannten sich etwas mehr als 59 Prozent dazu, vor Laufbeginn Schmerzmittel eingenommen zu haben. Hauptsächlich griffen die Läufer zu Ibuprofen und Diclofenac, ein kleiner Teil vertraute auf Aspirin. Fast die Hälfe der Schmerzmittelanwender nahm mehr als die normalerweise empfohlene Standarddosierung ein.
Gewünschte Wirkung blieb aus
Schmerzen vor dem Rennen waren nur für wenige Läufer Grund für die Einnahme, die große Mehrheit hatte den Wunsch, während des Wettkampfs keine Schmerzen zu bekommen oder nach dem Lauf auftretende Muskel- oder Gelenkschmerzen verringern zu können. Dieser Wunsch blieb allerdings unerfüllt: Verglichen mit den Sportlern, die keine Schmerzmittel eingenommen hatten, gaben nicht weniger Sportler aus der Schmerzmittelgruppe den Wettkampf auf oder klagten nach dem Lauf über Schmerzen. Dennoch blieb der prophylaktische Schmerzmittelkonsum nicht ohne Folgen: Bei den Anwendern von Schmerztabletten traten während des Laufs Kreislaufversagen, Erbrechen, blutige Durchfälle, blutiger Urin zwei- bis sechsmal häufiger auf als bei denjenigen, die auf diese Tabletten verzichteten.
Für die Mediziner kamen die gesundheitlichen Probleme nicht unerwartet: „Die Medikamente hemmen das Enzym Cyclooxygenase“, erklärt Brune, der Inhaber des Doerenkamp-Lehrstuhls für Innovationen im Tier- und Verbraucherschutz an der Universität Erlangen-Nürnberg ist. „Dadurch produziert der Körper weniger entzündungsfördernde Prostaglandine.“ Das sei nicht unproblematisch, so der Pharmakologe, denn in vielen Organsystemen übten diese Hormone eine Schutzfunktion aus. Zum Beispiel fördert Prostaglandin E2 die Nierendurchblutung und schützt die Magenschleimhaut vor der eigenen Säure.
Organversagen durch Schmerzmittel
So ist auch kaum verwunderlich, dass ausschließlich in der Gruppe der Schmerzmittelanwender mehrere schwere Zwischenfälle gemeldet wurden: Bei drei Läufern wurde ein akutes Nierenversagen festgestellt, zwei weitere Läufer erlitten einen Herzinfarkt und fünf Wettkämpfer mit schweren Magen-Darm-Blutungen mussten klinisch behandelt werden. Aufgrund dieser Daten geht Brune davon aus, dass schwere Funktionsstörungen von Organen hauptsächlich bei Läufern auftreten, die vor dem Wettkampf nicht auf Schmerzmittel verzichten wollen.
„Schmerz ist ein Warnsignal, das dem Sportler mitteilt, dass er seinen Körper überlastet“, sagt Brune. Dieses Zeichen mit Schmerzmitteln zu unterdrücken, sei schon vom Ansatz falsch. Wenn überhaupt, so der Pharmakologe, solle man die Schmerzmittel nach dem Lauf und nach der Zufuhr von viel Flüssigkeit, versehen mit ausreichenden Mengen an Kochsalz, einnehmen. Die Medikamente verminderten dann die Schmerzen, ohne die Organe übermäßig zu gefährden. Der Erlanger Pharmakologe ist überzeugt davon, dass Langstreckenlauf über die Marathondistanz kaum geeignet ist, den Gesundheitszustand zu verbessern, selbst wenn Sportler auf die vorherige Einnahme von Schmerzmitteln verzichten. Brune: „Vor allem unzureichende Vorbereitung und fehlende Einsicht in Gefahren gefährden das Wohl der Läufer.“
Marathonlauf nur mit ausreichendem Training
Andere Experten teilen diese Meinung: „Der Marathonlauf ist eine Übertreibung, die man ohne Probleme nur übersteht, wenn man richtig trainiert und keine Dummheiten begeht“, findet Privatdozent Fernando Dimeo, Sportmediziner an der Berliner Charité und Betreuer des 25-Kilometer-Laufs in Berlin. „Wenn man sich daran beteiligen möchte, sollte man erst nach eingehender Vorbereitung und bei voller Gesundheit tun, damit das Ganze nicht zu einem Risiko wird.“ Auch wenn Dimeo es für wichtig hält, dass noch mehr daraufhin gewiesen wird, welche Gefahren der Marathonlauf birgt, will er potenzielle Teilnehmer nicht aus deren eigenen Verantwortung entlassen: „Als Veranstalter kann man kaum was dagegen tun, wenn einem Läufer die persönliche Bestzeit wichtiger ist als die eigene Gesundheit.“