Bei Patienten mit Herzleiden war das aus dem Schlingstrauch Strophanthus gewonnene Strophanthin jahrzehntelang das Mittel der Wahl. In den letzten 30 Jahren verschwand die Substanz fast vollständig aus dem Anwendungsrepertoire der Kliniken. Zu Recht?
Die Wirksamkeit von Strophanthin ist unbestritten. Auch klassische Schulmediziner wie Professor Erland Erdmann, Gründer des Herzzentrums der Universität zu Köln, hegen daran keine Zweifel. „Die Substanz wirkt auf die so genannte Natriumpumpe in den Zellen, dadurch reichert sich die Natriumkonzentration an. Das führt zu einer stärkeren Kontraktion der Herzmuskulatur und verlangsamt den Puls. Das ist gut nachgewiesen, das steht in allen Lehrbüchern.“ Darauf verweist auch der Wissenschaftsjournalist Volkmar Schwabe. In einem Beitrag für „Comed“, einer Fachzeitschrift für Komplementär-Medizin, zitiert er unter anderem aus dem 1975 erschienenen Standardwerk „Rationelle Therapie in der Inneren Medizin“. Demnach sei bei „akut auftretender Herzinsuffizenz Strophanthin als Mittel der Wahl einzusetzen“.
"Ein gutes Medikament"
Schwabe beruft sich in seinem Beitrag in weiten Teilen auf Rolf-Jürgen Petry, Verfasser des Grundlagendwerks „Strophanthin, die Fehlbeurteilung eines außergewöhnlichen Medikaments“. Nach ausführlichen Recherchen und Gesprächen mit Komplementär-Medizinern wie dem Münchner Heilpraktiker Franz X. Kohl kommt er zu dem Schluss: „Spätestens ab dem Lebensalter 50 sollte die orale g-Strophanthin-Gabe D 4 zur Prophylaxe und zum Notfalleinsatz gehören.“ Erland Erdmann widerspricht dieser Darstellung nicht grundsätzlich. Sein Zugang zu der umstrittenen Substanz ist pragmatisch. „Strophanthin“, sagt er, „ist ein gutes Medikament.“ In den 70er Jahren forschte er intensiv an Herzglykosiden. Er untersuchte mehr als 50 ähnliche Substanzen auf ihre Tauglichkeit für die Therapie bei Herz-Kreislauferkrankungen. Digitalis-Präparate wie Digoxin und Digitoxin und Strophanthin seien in ihrer Wirksamkeit kaum voneinander zu unterscheiden. Seine Erkenntnis: „Die Wirkung ist bei allen vergleichbar. Die Unterschiede liegen in den Details.“
Ein solches Detail ist die unterschiedliche Resorption bei oraler Einnahme. Sie liegt laut Erdmann bei Digitoxin bei rund 90 Prozent, bei Strophanthin hingegen nur bei fünf Prozent. „Das ist ein Problem“, sagt Erdmann. „Ist man vorsichtig und gibt wenig, hat man möglicherweise keine Wirkung. Gibt man viel, besteht die Gefahr der Intoxikation.“ Strophanthin sei also nur mit der Spritze vernünftig dosierbar. „Digoxin kann man in Tabletten geben. Das ist einfach praktikabler.“
Intravenös oder oral
Für Schwabe ist das ein unzureichendes Argument. Er verweist auf ein Standard-Lehrbuch für Innere Medizin. Intravenös verabreicht, so heißt es dort, wirke Strophanthin schneller als Digitoxin und Digoxin: „Es eignet sich daher besonders zur Behandlung der schweren, akuten Links- und Rechtsinsuffizienz.“
Nicht nur die intravenöse, auch die orale Gabe von Strophanthin bzw. g-Strophanthin sei sinnvoll, so Schwabe weiter, um schweren Herzerkrankungen schon im Ansatz vorzubeugen. Er selbst nehme es täglich. „Das schrittweise Aus einer offensichtlich lebensrettenden natürlichen Substanz“ ist für ihn schlicht: „Ein Skandal.“ Erdmann sieht das entspannter. Seine Meinung: „Die heutigen Präparate sind besser. Wer will, kann zu Strophanthin zurückgehen. Aber das ist umständlicher.“