Verformt sich die Wirbelsäule in jungen Jahren, ist meist Skoliose im Spiel. Durch eine seitliche Verdrehung des Rückgrats entstehen gegenläufige Bögen. Rechtzeitzeitig behandelt, haben die Patienten ein relativ beschwerdefreies Leben.
Kein seltenes Leiden: Ein bis zwei Prozent aller Kinder haben eine Verkrümmung der Wirbelsäule. Meist entdecken Pädiater die Erkrankung als Zufallsbefund oder besorgte Eltern bemerken eine zunehmende Asymmetrie der Schultern. Diese so genannte adoleszente idiopathische Skoliose (AIS) verschlimmert sich vor allem während der Pubertät. Oft läuft sie über die einseitige Zunahme der Wirbelsäulenlänge. Die Folge: Knochen weichen aus – es entsteht zuerst ein Hohlkreuz, später verschiebt sich die Wirbelsäule zur Seite hin. Im Vorneigetest finden Kollegen dann vor allem einen Rippenbuckel. Nach ersten Hinweisen erfolgt in der Facharztpraxis die genaue Untersuchung.
Mit Strahlen auf der Skoliose-Spur
Zur exakten Diagnostik und zur Erfolgskontrolle der Therapie sind neben Lotschnur und Winkelmesser vor allem bildgebende Verfahren unumgänglich. Gerade im Röntgenbild lässt sich das Ausmaß der Verkrümmung gut messen. Hierzu dient der so genannte Cobb-Winkel: Ausgehend von den Wirbeln mit der stärksten Krümmung am oberen und unteren Ende des Bogens ziehen Orthopäden von der Basis aus Linien, die sich schneiden und dabei den Cobb-Winkel einschließen.
Trotz wertvoller diagnostischer Erkenntnisse ist hierbei die Strahlenempfindlichkeit von Kindern zu beachten. Prozesse der Krebsentstehung dauern zwar Jahrzehnte – Forscher des National Institute of Health, USA, weisen in diesem Kontext aber auf die lange Lebenszeit, die Kinder noch vor sich haben, hin. Und gerade bei langfristigen Behandlungen wie der Skoliose-Therapie werden zur engmaschigen Kontrolle etliche Röntgenaufnahmen angefertigt. Mittlerweile zeigen mehrere epidemiologische Studien ganz klar ein erhöhtes strahlenassoziiertes Risiko von malignen Erkrankungen auf, etwa Brustkrebs oder Leukämie. Andere Methoden, etwa der Einsatz von sichtbarem Licht zur Vermessung des Körpers, erreichen laut Ergebnissen des Hospital Clinico Universitario in Valencia, Spanien, mittlerweile gute Korrelationen zu computertomographischen Variablen. Sie erfordern jedoch entsprechende Geräte und geschultes Personal.
Abnutzungserscheinungen: Mit 17 schon wie 70
Unbehandelt leiden Skoliose-Patienten vor allem an Rückenschmerzen. Heidelberger Forscher stellten bereits bei jungen Patienten Verschleißerscheinungen fest, die eigentlich erst Jahrzehnte später auftreten sollten. „Erstaunlicherweise waren nicht die typischen Moleküle, die für den Gewebsabbau verantwortlich sind, in den Bandscheiben der jungen Skoliose-Patienten vermehrt nachweisbar, sondern vielmehr Bausteine, die auf einen vermehrten Gewebsaufbau schließen lassen“, so Dr. Helge Bertram vom Uniklinikum Heidelberg. Und trotz der Aktivierung körpereigener Reparaturmechanismen verschlimmert sich der Schaden. Bertram: „Dies könnte auf veränderte Druckverhältnisse, schlechtere Ernährungsbedingungen und erhöhte mechanische Belastungen von Bandscheiben in den gekrümmten Wirbelsäulen zurückzuführen sein“. Auch die Belastbarkeit von Lunge und Herz ist bei extremen Skoliosefällen eingeschränkt. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, beobachteten Ärzte der University of Iowa, USA, Patienten mit unbehandelter Skoliosis über 50 Jahre hinweg. Anzeichen einer erhöhten Mortalität oder Hinweise auf neurologische Schäden konnten die US-Wissenschaftler hingegen nicht finden.
Therapie: Korsett oder Klinge?
Je früher die Skoliosetherapie bei Jugendlichen beginnt, desto erfolgreicher sind alle Maßnahmen. Ziel ist, bis zum Ende des körperlichen Wachstums die Krümmung der Wirbelsäule in Zaum zu halten. Ob allerdings ein routinemäßiges Screening in jungen Jahren Sinn macht, sei dahin gestellt. Zu einem vernichtenden Ergebnis kommt eine Metaanalyse der Universität von Hong Kong, China, in der verschiedene diagnostische Methoden verglichen wurden. Vor allem der Vorneigetest allein zeigt die größte Ungenauigkeit. Diese Methode reiche definitiv nicht aus, so die Autoren. Auf falsche positive Ergebnisse folgten dann weitere kostenintensive Untersuchungen, Strahlenbelastung inklusive.
Weicht der Cobb-Winkel nur gering von der Norm ab, helfen physiotherapeutische Maßnahmen. Vor allem bei der Schroth-Therapie, bereits seit 100 Jahren etabliert, werden in der Literatur gute Erfolge beschrieben. Kontrollierte Langzeitstudien gibt es aber nicht.
Ab einem Cobb-Winkel von 20 Grad empfehlen Orthopäden bei Patienten im Wachstumsalter ein Chêneau-Korsett. Es besteht neben Bereichen, die Druck aufbauen, auch aus Zonen, die eine Expansion zulassen. Eine aktuelle Studie des Italian Scientific Spine Institute, Mailand, bescheinigte dem Verfahren entgegen früheren Ergebnissen hohe Effizienz. In den verschiedenen Raumrichtungen verringerte sich den Daten zufolge die Krümmung durchschnittlich um sieben bis acht Grad.
Reißen alle Stricke, lässt sich die gekrümmte Wirbelsäule chirurgisch ausrichten und fixieren, was vor allem bei Cobb-Winkeln ab 45 Grad angezeigt ist. Gerade junge Patienten überstehen operative Eingriffe meist ohne Probleme – sie haben auch die besseren Karten, dass sich die Wirbelsäule wieder aufrichtet. Allerdings führen manche Orthopäden an, dass die künstliche Versteifung ein Hindernis für das Größenwachstum sein könnte. Sie raten, eher bis zum Ende der körperlichen Entwicklung abzuwarten.
Der Vergleich zwischen Korsett und Klinge zeigt keine nennenswerten Unterschiede. Forscher an der Göteborg University, Schweden, nahmen mit modernen diagnostischen Verfahren Langzeiteffekte beider Verfahren unter die Lupe. Sie fanden keine Abweichungen hinsichtlich der Schmerzen oder der Lebensqualität.
Frauen – das schwache Wirbelsäulengeschlecht?
Doch wie entsteht eine Skoliose? Ein Anhaltspunkt: Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass Mädchen in der Pubertät weitaus häufiger eine Skoliose entwickeln als Jungen. Krümmungen von 20 bis 30 Grad Cobb sind fünfmal häufiger, und Werte über 30 Grad Cobb sogar siebenmal öfter zu finden. Auf der Suche nach auslösenden Faktoren werteten Wissenschaftler des niederländischen University Medical Centers Utrecht die Literatur aus. Ihr Ergebnis: Obwohl zahlreiche Faktoren eine Rolle zu spielen scheinen, konnte keine allumfassende Theorie für den Ausbruch der Skoliose gefunden werden. Einzig und allein die familiäre Häufung der Erkrankung spricht für starke genetische Determinanten – ein Skoliose-Gen ließ sich bis heute aber nicht zweifelsfrei nachweisen.
Vor allem Hormone kommen als Risikofaktoren in Betracht, da sie einen starken Einfluss auf Wachstum und Umbau der Knochen haben. Wissenschaftler der Université de Montréal aus Québec, Kanada, sehen hier Östrogene als Kandidaten für das Fortschreiten der Missbildungen am Rückgrat. Und Fachärzte am englischen Centre for Spinal Studies and Surgery des Nottingham University Hospitals entwickelten das NOTOM-Modell (neuro-osseous timing of maturation): Ein spezielles System, so die Hypothese, kontrolliert das Wachstum und die körperliche Reifung. Ständig erfolgt dabei ein Abgleich zweier synchroner Prozesse, die einerseits die Skelettentwicklung bzw. die Knochenmasse und andererseits neuronale Prozesse wie das Voranschreiten der Pubertät in Einklang bringen. Die Nottinghamer Forscher vermuten hinter dem Krankheitsbild einer Skoliose die Störung zumindest von Teilen des NOTOM-Systems.
Auf neurologischer Ebene könnte auch Leptin, ein Eiweiß mit Hormonfunktion, mit von der Partie sein. Zwar wird Leptin hauptsächlich von Fettzellen hergestellt. Geringere Mengen konnten mittlerweile aber auch im Knochenmark und in Skelettmuskeln nachgewiesen werden. Und zumindest im Tierexperiment beeinflusste dieses Eiweiß auch das Längenwachstum von Knochen.