Immer wieder werden neue Endoprothesen entwickelt – und immer wieder werden welche zurückgerufen. Um mehr Transparenz in die Kunstgelenkwelt zu bringen, soll es in Deutschland jetzt ein Endoprothesenregister und zertifizierte Zentren geben.
Zumindest an der Hüfte hat die Endoprothetik mittlerweile Probleme mit ihrem eigenen Erfolg. Die derzeit üblicherweise eingesetzten Prothesensysteme sind seit Jahren etabliert und eindrucksvoll haltbar: Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie gibt an, dass rund 90 Prozent der Patienten, die mit Hüftgelenksendoprothesen versorgt werden, damit rechnen können, dass ihre Gelenkimplantate mindestens 15 Jahre halten. Was toll klingt, wird für jene Ärzte und Industrieunternehmen zum Problem, die trotzdem Verbesserungsbedarf an den Prothesen sehen und Produkte anbieten wollen, die noch länger halten oder noch stabiler sind. Das Problem besteht darin, dass eine neue Hüftgelenksendoprothese streng genommen erst einmal 15 Jahre lang getestet werden müsste, um zu beweisen, dass sie wirklich besser ist als der Status quo. Dass das etwas schwierig ist, leuchtet ein.
Zunehmender Wildwuchs in der Endoprothetik?
Die Alternative ist, dass Surrogatparameter definiert werden, bei denen, wenn sie erfüllt sind, eine langfristige Haltbarkeit und Sicherheit des Produkts unterstellt wird. Auf diese Weise bleibt der Innovationsmotor auf Touren. Ganz ohne Risiko ist das aber nicht: „Wir hatten in den letzten Jahren mehrere Fälle von Endoprothesen, die den Langzeittest nicht bestanden haben“, betonte Professor Volker Ewerbeck, Direktor der Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie an der Universitätsklinik Heidelberg, beim Kongress der Orthopäden und Unfallchirurgen in Berlin. Prothesen, die durchfallen, werden von den Herstellern zurückgerufen. Im Extremfall müssen einige oder alle wieder explantiert werden. Ungeplante Re-Operationen aus kommerzieller Indikation, gewissermaßen. Die Öffentlichkeit erfährt von derartigen Aktionen häufig wenig bis gar nichts. Prothesenrückrufe sind nicht nur für die Hersteller, sondern auch für das Krankenhaus, in dem die Produkte verwendet wurden, extrem unangenehm.
Das Problem wird dadurch akzentuiert, dass die Zahl der implantierten Endoprothesen insgesamt seit Jahren deutlich nach oben geht. Professor Reiner Gradinger von der Klinik für Orthopädie am Klinikum rechts der Isar, München, schätzt, dass die Zahl der in Deutschland implantierten Hüften in den letzten acht Jahren um ein Drittel auf derzeit 209000 pro Jahr angestiegen ist. Bei den noch nicht ganz so lange etablierten Kniegelenksendoprothesen habe sich Zahl sogar auf mittlerweile rund 175000 pro Jahr fast verdoppelt.
Das wäre alles vertretbar, wenn jede dieser Endoprothesen medizinisch indiziert wäre. Daran aber haben selbst die Vertreter der medizinischen Fachgesellschaften so ihre Zweifel: „Durch den Prozess der demographischen Alterung alleine ist dieser Anstieg nicht zu erklären“, sagte Gradinger. Er hat den Verdacht, dass wirtschaftliche Zwänge seitens der Krankenhäuser dazu führen, dass Endoprothesen heute früher eingebaut werden als nötig. Wenn dann bei einem Patienten mit eigentlich nur elektiver Prothesenindikation ein Implantat zurückgerufen werden muss, das ohnehin noch gar nicht hätte eingebaut werden müssen, ist das natürlich eine Katastrophe.
Qualitätsoffensive mit Register und Zertifikaten
Das Problem ist groß genug, dass sich die Spitzenverbände der Orthopäden und Unfallchirurgen konkrete Lösungsansätze überlegt haben. Das Ziel ist es, die Sicherheit für die Patienten zu erhöhen, ohne dabei den Innovationsstrom, der ja oft genug auch echte Fortschritte bringt, zu sehr ins Stocken geraten zu lassen. Ein deutlich restriktiveres Zulassungsprozedere, wie es beispielsweise in den USA gepflegt wird, steht dabei im Moment nicht auf der Tagesordnung.
Kommen soll dagegen ab 2011 ein nationales Endoprothesenregister, das es möglich macht, das Schicksal einzelner Prothesen nachzuverfolgen. Gute Erfahrungen mit solchen Registern kommen vor allem aus Skandinavien. „Dort sank allein durch die Einführung eines solchen Registers die Revisionsrate deutlich“, so Ewerbeck.
Der zweite Pfeiler der Qualitätssicherung in der Endoprothetik soll ein von den chirurgisch-orthopädischen Fachgesellschaften aufgelegtes Zertifizierungsprogramm werden, das den Namen EndoCert trägt. Die erste Phase dieses Zertifizierungsprojekts soll bereits im ersten Halbjahr 2011 laufen. Zehn bis 15 ausgewählte Einrichtungen werden dabei gewissermaßen testweise zertifiziert, um zu überprüfen, ob die angewandten Zertifizierungskriterien für einen breiten Einsatz taugen. Sie werden dann den Erfahrungen entsprechend überarbeitet und schließlich breiter eingesetzt. Irgendwann könnte dieser Prozess in ein festgezurrtes Zentrenbildungsprogramm münden, ähnlich wie es in der Krebsmedizin heute schon vorangetrieben wird.