Erschöpfung, Gewichtszunahme, depressive Verstimmung: Hinter den diffusen Symptomen kann sich eine Unterfunktion der Schilddrüse verstecken. Unbehandelt drohen zahlreiche Folgeerkrankungen vor allem des Herz-Kreislauf-Systems.
Erworbene Schilddrüsenunterfunktionen (Hypothyreosen) sind meist auf eine Hashimoto-Thyreoiditis zurückzuführen. Bei dieser Autoimmunerkrankung zerstören körpereigene Antikörper das Gewebe des Organs. Als Ursachen sehen Experten heute vor allem genetische Risikofaktoren in Kombination mit Umweltfaktoren wie Infektionen oder hormonellen Umstellungen an. Und bei einer entsprechenden erblichen Vorbelastung können größere Iodidmengen in der Nahrung eine Hashimoto-Thyreoiditis auslösen. Als weitere Gründe für eine Hypothyreose kommen eine schlechte Hormonsubstitution nach Operationen sowie Nebenwirkungen verschiedener Arzneimittel in Frage.
Warum therapieren?
Das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH), in der Hirnanhangsdrüse produziert, steuert die Aufnahme von Iodid und die Produktion der Schilddrüsenhormone T3 und T4. Es wird in Einheiten pro Liter (U/l) angegeben, ein wichtiger Laborparameter für den Schweregrad einer Hypothyreose.
Sowohl subklinische als auch klinische Ausprägungen dieser Erkrankung sind mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert. Speziell bei hohen TSH-Spiegeln über 10 mU/l verdoppelt sich das Risiko einer Herzinsuffizienz, wie Schweizer Wissenschaftler anhand einer Studie mit rund 3.000 Teilnehmern über 65 Jahren zeigen konnten. Zu ähnlichen Ergebnissen kam die Rotterdam-Studie bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose. In diese Untersuchung waren 1149 ältere Frauen einbezogen worden. Bei knapp elf Prozent wiesen Endokrinologen leichte Funktionsstörungen der Schilddrüse nach. Diese Gruppe litt in der Tat häufiger an Arterienverkalkung und hatte öfter einen Herzinfarkt als Menschen mit normalen Schilddrüsenwerten. Prof. Dr. Klaus-Dieter Palitzsch, Chefarzt der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Angiologie und Innere Medizin, Städtisches Klinikum München: „Das Herz macht langsam schlapp“. Es sei aber unklar, ob die subklinische Hypothyreose zu funktionellen Veränderungen am Herzen führe. Hingegen wissen die Forscher, dass durch den erhöhten peripheren Gefäßwiderstand der diastolische Blutdruck ansteigt. Parallel klettern die LDL-Fettwerte in die Höhe – zwei entscheidende Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und selbst bei latenten Hypothyreosen konnte häufiger Vorhofflimmern beobachtet werden.
Selten geht eine unbehandelte klinische Form der Hypothyreose in ein Myxödem über. Bei dieser lebensbedrohlichen Erkrankung schwillt die Haut vor allem an den Extremitäten und im Gesicht stark an. Biochemisch lagern sich zuckerähnliche Stoffe, so genannte Glykosaminoglykanen, infolge des verminderten Abbaus zwischen Körperzellen ab und führen zu einer Entgleisung des Stoffwechsels.
Wann therapieren?
Fachärzte diskutieren seit geraumer Zeit, ab wann eine Hormonsubstitution sinnvoller Weise durchgeführt werden sollte. Klar ist die Sachlage bei ausgeprägten Formen der Hypothyreose: Sind im Blutbild Spiegel des Steuereiweißes TSH von 10 mU/L und mehr zu finden, gilt es, einzugreifen – etwa 0,1 Prozent der Deutschen sind einer aktuellen Studie zufolge davon betroffen.
In einer Veröffentlichung rät Prof. Gerhard Hintze, Chefarzt an der Asklepios Klinik Bad Oldesloe, gerade bei jüngeren Menschen die Behandlung langsam einschleichen zu lassen. Als Startwert bieten sich etwa 50 bis 75 Mikrogramm T4, besser bekannt als Thyroxin, an. Dann wird die Dosis alle 14 Tage gesteigert, bis der TSH-Zielwert von 1 bis 2 mU/l erreicht ist. Patienten, die unter einer koronaren Herzkrankheit leiden, sollten noch vorsichtiger eingestellt werden, beginnend mit 12,4 oder 25 Mikrogramm, so der Kollege.
Anders bei der latenten Hypothyreose. Hier diskutieren Experten, ab welchem TSH-Wert überhaupt eine Therapie erforderlich ist. Galten früher 4,0 bis 5,5 mU/l als Richtschnur, so geben jetzt epidemiologische Studien Hinweise, dass Patienten sogar schon ab 2,5 mU/l von einer Substitution profitieren. Der Knackpunkt: Damit wären etwa 15 Prozent der Bevölkerung therapiepflichtig – drei Mal so viele Menschen wie nach dem vorigen Richtwert. Prof. Dr. Gerhard Hintze gibt jedoch zu bedenken, dass die gemessenen Hormonspiegel je nach Testmethode, Lebensstil oder Arzneimitteltherapie stark schwanken können. Er rät deshalb, bei den latenten Formen die gesamten Lebensumstände mit in Betracht zu ziehen. Vor allem bei Patienten, die Vorboten einer manifesten Hypothyreose aufweisen, etwa Autoantikörper, sei eine Hormongabe anzuraten. Dies gelte ebenfalls für Schwangere bzw. Frauen mit Kinderwunsch und Hypothyreose-Risiko.
Auch diskutieren Endokrinologen, ob speziell bei älteren Patienten eine subklinische Hypothyreose zu behandeln ist, solange der TSH-Wert unter 10 mU/l liegt. Prof. Dr. Klaus-Dieter Palitzsch empfiehlt, hier nur T4 einzusetzen und langsam die Dosis zu steigern. Zielwerte seien 3 bis 4 mU/l bei 60- bis 75-Jährigen und 4 bis 6 mU/l bei über 75-Jährigen. Der Grund: Zwar ist bei den unter 70-Jährigen eine latente Hypothyreose mit erhöhten kardiovaskulären Risiken verbunden. Darüber hinaus wendet sich das Blatt: „Im sehr hohen Alter scheint ein erhöhter TSH-Wert über 5 mU/l sogar mit längerem Überleben zu korrelieren“, gibt der Berliner Facharzt für innere Medizin, internistische Intensivmedizin, Endokrinologe und Diabetologe, Prof. Dr. Karl-Michael Derwahl, zu bedenken.
Therapieversagen: genetische Besonderheiten beachten
Trotz der Standardtherapie mit T4 fühlen sich manche Patienten schlecht. Die Ursache fanden nun Wissenschaftler, als sie im Rahmen einer randomisierten Studie 552 Patienten mit klassischer Hormonsubstitution untersuchten. Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen einer genetischen Anomalie und dem subjektiven Wohlbefinden. Rund 16 Prozent hatten nämlich eine Mutation in einem Gen, das für ein Enzym des Stoffwechsels codiert. Unter anderem ermöglicht dieses innerhalb von Zellen die Umwandlung von T4, dem Standardtherapeutikum, in T3. Von einer Kombination des Präparats T4 mit T3 würde jeder sechste Patient profitieren, wie Prof. Dr. Karl-Michael Derwahl berichtet.
Schwangerschaft: Gefahr für das ungeborene Leben
Neben zahlreichen Faktoren scheint eine Hypothyreose auch den Verlauf einer Schwangerschaft negativ zu beeinflussen und das Risiko einer Fehlgeburt zu erhöhen. Zu diesem Resümee sind Forscher an der Universität Innsbruck im Rahmen einer aktuellen Untersuchung gelangt. Sie bestimmten bei 47 Patientinnen, die mehrere Fehlgeburten hinter sich hatten, die Schilddrüsenwerte. Dabei zeigte sich, dass 23 Patientinnen eine Fehlfunktion dieses Organs hatten, zum Teil Vorstufen einer Hypothyreose. Eine weitere Untersuchung aus Italien brachte zu Tage, dass bereits bei schwach ausgeprägten Formen mit Werten über 2,5 mU/l das Kind Schaden nehmen kann. Bei Patientinnen mit TSH-Spiegeln zwischen 2,5 und 5 mU/l verdoppelte sich außer dem das Risiko einer Fehlgeburt im Vergleich zu Schwangeren mit unauffälligem Hormonspiegel.
Ob ein Neugeborenes gesund ist, können Pädiater nicht immer auf den ersten Blick beurteilen. Hier hilft ein Blutstropfen aus der Ferse: Vor allem seltene Stoffwechselerkrankungen lassen sich damit schnell und treffsicher diagnostizieren. Ein Resultat entsprechender Screenings: Rund drei Babys kommen pro 10.000 Geburten mit einer angeborenen Hypothyreose zur Welt, eine im Vergleich zu anderen endokrinen Störungen also recht häufige Krankheit. Wird nicht schnell behandelt, kann sich das Vollbild des Kretinismus entwickeln, bei der es zur körperlichen und geistigen Retardierung kommt.
Radioiodtherapie: Hypothyreose vermeidbar
Mit einem innovativen Ansatz vermeiden Fachärzte eine Hypothyreose im Zuge der Behandlung von Schilddrüsenkarzinomen: Gentechnisch hergestelltes TSH wird zusammen mit Iod-131 appliziert. Das TSH stimuliert dabei die Schilddrüse – ein vorheriger Hormonverzicht inklusive Hypothyreose ist nicht mehr erforderlich. Zur Erweiterung der bestehenden Zulassung waren nicht einmal neue Studien erforderlich. Wissenschaftler analysierten vielmehr vorliegende Daten von 700 Patienten. Das Resultat: Unabhängig von der Methode, also einer Iod-131-Gabe in hypothyreotischer Stoffwechsellage oder in Kombination mit künstlichem TSH, war der Erfolgt vergleichbar.