Einer der häufigsten Fälle beim Fußchirurgen: Hallux valgus, bekannt als Schiefstellung der Großzehe kleinzeheneinwärts, ist mit starken Schmerzen verbunden. Behandlungsmethoden zielen darauf ab, die Funktionalität wieder herzustellen.
Kein Leiden unserer Tage: Hallux valgus-Deformationen tauchen bereits in der Kunst der Antike auf. Viel deutet auf genetische Faktoren hin – in zwei Drittel aller Fälle finden Fachärzte ein gehäuftes Auftreten in Familien, vor allem bei Frauen. Wahrscheinlich führen die Erbgut-Einflüsse zu Anomalien der Muskeln und Sehnen im Bereich der großen Zehe. Welche Gene aber genau verändert sind, ist noch unbekannt.
Kleine Kinder, große Sorgen
Falsches Schuhwerk ist aber kein reines Erwachsenenproblem: Auch zu kurze Kinderschuhe schädigen die Füße, so ein Studienergebnis der Medizinischen Universität Wien. Dazu untersuchten Ärzte 858 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Rund 70 Prozent trugen zu kleine Straßenschuhe, bei den Hausschuhen waren sogar etwa 90 Prozent zu knapp bemessen. Aus den gemessenen Winkelstellungen der großen Zehen zeigte sich: Je stärker der Schuh drückt, desto stärker ausgeprägt ist auch der Hallux valgus. „Kinder spüren nicht, ob Schuhe zu kurz sind, und zwängen sich brav hinein“, gibt der Orthopäde Dr. Christian Klein, Emco Klinik Bad Dürrnberg bei Salzburg, zu bedenken. Seine Empfehlung an alle Eltern: Füße im Wachstum bräuchten etwa 12 bis 17 mm Spielraum.
Diagnostik auf den ersten Blick
In der Praxis genügt meist schon ein Blick, um einen Hallux valgus zu erkennen. Und die Röntgenuntersuchung bringt Klarheit über das Maß der Erkrankung – relevant sind vor allem die Winkel zwischen dem ersten und zweiten Mittelfußknochen (Intermetatarsalwinkel) sowie das Maß der Fehlstellung (Hallux valgus-Winkel), der ein Abknicken der Großzehe zum ersten Mittelfußknochen hin beschreibt. Auch hier hält die Technik Einzug: Im Vergleich zur manuellen Auswertung von Röntgenbildern liefern computergestützte Verfahren genauere Resultate, so das Ergebnis eines Methodenvergleichs an der britischen Staffordshire University. Der Schweregrad der Deformation entscheidet letztlich darüber, welches therapeutische Verfahren den größten Erfolg verspricht.
Therapieren oder abwarten?
Unbehandelt verschlimmert sich ein Hallux valgus in den meisten Fällen. Doch heißt das unbedingt, sofort die Therapie einzuleiten? Dieser Frage gingen Orthopäden des englischen Arthritis Research UK Primary Care Center nach. Ihr Ergebnis: In etlichen Fällen verringerte sich bei Hallux-Patienten die Lebensqualität, etwa durch Schmerzen, und die Beweglichkeit der Füße wurde schlechter – problematisch in jedem Alter. Das primäre Ziel der Therapie ist neben der Beschwerdefreiheit, die Funktionalität des Fußes wieder herzustellen. Für viele Patienten sind damit aber auch ästhetische Fragen untrennbar verbunden, die ebenfalls zu einem Leidensdruck führen können – Stichwort hervorstehender Ballen versus Schuhmode.
Immer schön beweglich bleiben
Früher der Usus, ist die Entfernung von Teilen des Großzehen-Grundgelenks nach Keller-Brandes mittlerweile nur noch in seltenen Fällen nötig. Speziell die veränderte Biomechanik nach dem Eingriff wirkt sich bei jüngeren, körperlich aktiven Patienten nachteilig aus. Alternativ versteifen Orthopäden bei der Lapidus-Arthrodese das Gelenk zwischen Mittelfußknochen und Fußwurzel.
Moderne Verfahren hingegen setzen auf die Wiederherstellung der Funktionalitäten. In leichten Fällen reicht bereits die Abtragung des Knochenwulsts mit anschließender Korrektur der Weichteile nach McBride aus. Bei fast allen anderen Methoden durchtrennen Chirurgen den ersten Mittelfußknochen und fixieren diesen nach der Korrektur mit Schrauben, Drähten bzw. Platten. Einen Fortschritt stellen dabei Nägel aus langsam resorbierbaren Kunststoffen, etwa auf Basis von Polydioxanon, dar. Mehrere Studien geben dem Material sowohl unter medizinischen als auch unter ökonomischen Aspekten gute Noten. Auch eine Korrektur der Sehnen, Bänder bzw. der Gelenkkapsel ist erforderlich. Der Behandlungserfolg diverser Eingriffe ist nicht vom Alter der Patienten abhängig, so das Resultat einer Untersuchung des Department of Podiatric Surgery in Derbyshire, Großbritannien. Die Ärzte bestimmten zwei Jahre nach der jeweiligen OP das Maß der Beweglichkeit sowie die Patientenzufriedenheit. Sie fanden in den beiden Gruppen unter bzw. über 50 Jahren keinen signifikanten Unterschied. Zahlreiche Methoden etabliert
In der Literatur werden mittlerweile etliche chirurgische Techniken beschrieben. Eine Operation nach Austin/Chevron etwa hilft bei mittelschweren Fällen. Durch die V-förmige Durchtrennung des Knochens ist eine Umstellung möglich. Hingegen korrigieren Chirurgen beim Eingriff nach Meyer/Scarf den Schaft des ersten Mittelfußknochens mit einem Z-förmigen Schnitt. Speziell für starke Fehlstellungen wurde die Osteotomie nach Myerson/Ludloff mit schräger Durchtrennung des ersten Mittelfußknochens konzipiert.
Wie in allen Bereichen der Chirurgie arbeiten Kollegen auch bei der Hallux valgus-Korrektur an minimal invasiven Methoden. Britische Wissenschaftler verglichen anhand der Literatur die Erfolge und die Effektivität entsprechender Verfahren. Diese böten sich, so die Autoren, vor allem bei Patienten an, bei denen das Risiko einer verzögerten Heilung bestünde. Vor allem das Weichteilgewebe könne sich schneller regenerieren. Allerdings lasse sich aufgrund der geringen Fallzahlen noch keine klare Empfehlungen für Routineeingriffe geben. Zug um Zug schmerzfrei
Trotz der Erfolge chirurgischer Techniken ist nicht immer der Griff zum Skalpell erforderlich – mittlerweile beklagen Kollegen die oftmals kritiklose Darstellung neuer Operationsverfahren in der Fachliteratur. Denn auch die Orthopädietechnik führt oft zu sehr guten Ergebnissen, wie Prof. Dr. Klaus A. Milachowski zusammen mit Kollegen zeigen konnte.
Er korrigierte leichte bis mittlere Fehlstellungen mit speziellen Orthesen. Dabei verringerten sich die entsprechenden Winkel mit angelegter Schiene um durchschnittlich 15 Grad. Und entgegen gängiger Meinung gelang mit der konservativen Behandlungsmethode auch eine Achskorrektur. Die Autoren betonen, dass die eingesetzte Hallufix®-Schiene damit bei leichten und mittelschweren Formen eine Alternative zur Operation darstelle, die auch einer Arthrose wirkungsvoll Einhalt biete. Wichtigste Voraussetzung sei allerdings eine entsprechende Motivation der Patienten, die Orthese auch anzulegen.
Eine Innovation der Orthopädietechnik ist die computergestützte Messung des Fußdrucks, sprich Pedobarographie. Elektronische Sensoren in einer Platte analysieren das Druckbild des Fußes beim Stehen oder Gehen und liefern auf den PC ein exaktes Abbild der Kräfteverteilung. Aufgrund der digitalen Erfassung und der guten Reproduzierbarkeit dient das Verfahren auch zur Überprüfung des Therapieerfolgs, etwa vor und nach einer OP.