Der Besuch auf der Familienfeier, verrät mehr über die eigene medizinische Zukunft als jeder Gentest. Denn Risikogene allein machen längst noch keine Krankheit. Eine hübsche Spielerei sind die Tests für Jedermann trotzdem.
Was ist passiert mit all den Träumen, Krankheiten bald vorhersagen zu können? Als vor zehn Jahren Bill Clinton und Tony Blair vor die Presse traten und die vollständige Entschlüsselung des "Buchs des Lebens" bekannt gaben, waren die Aufregung und die Vorfreude groß. Mit der Sequenzierung unseres Erbguts würde es bald möglich sein, vorherzusagen, woran man wahrscheinlich sterben wird. Tatsächlich sind die Fortschritte auf dem Gebiet der Gendiagnostik enorm – zumindest in der Reduzierung von Kosten. Verschlang das erste Projekt noch Millionen, kann man eine Mini-Sequenzierung für Jedermann heute für wenige hundert Euro bei Firmen wie "23andme" im Internet bestellen.
Altbackene Familienanamnese?
Da scheinen Familienanamnesen fast altbacken. Warum Onkel Bernd fragen, woran seine Mutter gestorben ist, wenn man einfach einen Gentest machen kann, um herauszufinden, welche Gene man gemeinsam hat. Doch zwischen dem technisch Machbaren und dem Nutzen der Erkenntnisse für den einzelnen Menschen klafft derzeit noch eine große Lücke. Die Rückschlüsse, die sich aus der Buchstabenreihe ziehen lassen, sind nicht besonders groß. Studien, die einen Zusammenhang zwischen einem Gen und einer Krankheit sicher zeigen können, sind selten und meist falsch. Das jüngste Beispiel ist wohl das Gen KIF6, das im Verdacht stand, das Risiko für Herz-Kreislaufkrankheiten um 20 bis 50 Prozent zu erhöhen. Es dauerte nicht lange und es gab den passenden Gentest für etwa hundert Dollar. Genauso gut könnte man sich die Karten legen lassen. Eine Studie im Journal of the American College of Cardiology zeigte im letzten Jahr an 57.000 Probanden, dass KIF6 keinen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko hat.
Andere Genvarianten spielen zwar eine messbare Rolle, ins Verhältnis gesetzt zu anderen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht oder Lebensstil, fallen sie plötzlich aber meist kaum noch ins Gewicht. Das soll nicht heißen, dass die Gene und das Wissen über sie unwichtig wären. Sie müssen nur vor dem richtigen Hintergrund gesehen werden wie etwa den Einfluss der Familie. Denn man teilt nicht nur die Riskogene mit den Verwandten, sondern viele andere auch. Und die stehen alle in Wechselwirkung miteinander. Einen Schimmer von ihrem Einflusses bekommt man, wenn man sich die Studie von Charis Eng anschaut, der Direktorin des Genomic Medicine Institute (GMI) der Cleveland Klinik. Sie fand eine große Lücke zwischen der Prognose eines Krebsrisikos durch einen DNA-Test und durch die Familienhistorie und präsentierte die Ergebnisse auf dem jährlichen Treffen der Amerikanischen Gesellschaft für Humangenetik (ASGH). Die Trefferquote für die Brust-, Darm- und Prostatatumore waren mit der Analyse der Familiendaten deutlich höher. Die Familiengeschichte offenbarte beispielsweise acht Personen korrekt mit einem hohen Risiko für Brustkrebs. Mit dem DNA-Test war es nur eine. Viele der kommerziellen DNA-Tests suchen nur nach ein oder zwei wichtigen Mutationen, andere Veränderungen, die ebenfalls das Risiko für Brustkrebs erhöhen, werden meist nicht abgeklärt. Auch keiner der Patienten mit einem vererbbaren Darmkrebs wurde durch die Genanalyse als Hochrisiko-Patient eingestuft. „Die Familienhistorie hat für Krebserkrankungen eine größere Vorhersagekraft als DNA-Tests“, so das klare Fazit von Eng. Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Gen x und Krankheit y gibt es eben nur selten. Mukoviszidose, die Verschleimung der Atemwege oder Chorea Huntington wären so Beispiele. Die meisten Volkskrankheiten jedoch entstehen aufgrund von einem Mix aus verschiedenen Genen und Umweltfaktoren. Und so erklärte nun auch die ASHG die Familienanamnese zum Goldstandard.
Ungefilterten Zugang zu medizinischen Prognosen
Eine Sorge um die DNA-Analysen konnte jedoch nun vielleicht beseitigt werden. Wissenschaftler und Ärzte hatten große Sorgen, dass die Menschen, die durch die angebotenen Tests nun ungefilterten Zugang zu ihren medizinischen Prognosen haben, durch das Ergebnis verstört, verängstigt oder gar traumatisiert werden könnten. Eine neue Studie, die in der US-Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, zeigt ein ernüchterndes Bild.
Für die Studie wurden die Genomscans von mehr als 2000 Probanden untersucht. Dabei wurde das Risiko für mehr als 20 Krankheiten wie Fettleibigkeit, Diabetes, Rheuma, verschiedene Krebstypen, Multiple Sklerose und Alzheimer bestimmt. Fast sechs Monate nachdem die Freiwilligen den 90-Seiten starken Report über ihre gesundheitliche Zukunft schwarz auf weiß vor sich hatten, wurden sie auf Anzeichen von Angst, auf auffällige Veränderungen ihres Essverhaltens und auf ihre Fitnessaktivitäten untersucht. "Wir beobachteten bei 90,3 Prozent der Probanden keine Anzeichen von schädlichem Stress oder von vermehrten Folge-Untersuchungen." Auch haben sich die Probanden, jetzt wo sie ihr Risiko kannten, nicht mehr bewegt oder weniger Fett zu sich genommen. Von Angst war ebenfalls keine Spur. Jedoch besprachen 26,5 Prozent die Ergebnisse mit ihrem Arzt. Zudem beendeten fast die Hälfte der Probanden die Studie vorzeitig - möglicherweise jene Menschen, die sich vor der Auswertung fürchteten. Nach der Auswertung bekundeten die Patienten mit einem gewissen Risiko für ein paar der untersuchten Krankheiten, sich in Zukunft häufiger testen zu lassen. Dieses Risiko schätzen die Autoren allerdings als gering ein. Dies sei auch gut so, da die meisten Screening-Programme unsinnig für Menschen seien, die keine Symptome zeigen.
Es scheint, dass viele Menschen diese Informationen über ihre Gene einfach besitzen wollen, ohne sich von den Ergebnissen beunruhigen zu lassen. Und das, selbst wenn sie dafür bezahlen müssen und die Ergebnisse bekanntermaßen nur sehr beschränkt gesundheitliche Rückschlüsse zulassen.