Für zytostatische Apotheken ist die Lektüre der aktuellen JAMA-Publikation ein Muss: Der bei Tumorpatienten eingesetzte Wirkstoff Bevacizumab führt in Kombination mit anderen Medikamenten unter Umständen zu einer erhöhten Sterblichkeit.
Das Mittel sorgte vor sechs Jahren erstmals für Furore. Die Medizinische Klinik III am Klinikum der Universität München suchte Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom, die sich im Rahmen einer klinischen Studie mit dem Angiogenesehemmer Bevacizumab behandeln lassen sollten.
Tatsächlich war der gegen den "vascular endothelial growth factor" (VEGF) gerichtete monoklonale Antikörper hierzulande im gleichen Jahr für die Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms zugelassen worden und galt unter vielen Onkologen als Hoffnungsträger am Krebsmittelfirmament. „Aufgrund vielversprechender Daten von Phase II Studien soll nun in einer internationalen, randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase III Studie geprüft werden, ob die zusätzliche Gabe von Bevacizumab zu Gemciatibin und Erlotinib in der first-line Therapie zu einer weiteren Verbesserung des Gesamtüberlebens führen kann“, beschrieben damals die Münchner Mediziner das ehrgeizige Vorhaben. Es ging um eine elementare Frage: Verlängert Bevacizumab in Kombination mit anderen Mitteln die Überlebenszeit? Die Antwort kommt nun aus Chicago und ist eher ernüchternd.
Demontierte Legende
Denn ungewohnt direkt widerspricht das Team um Vishal Ranpura vom Stony Brook University Medical Center in New York der Ansicht, wonach Bevacizumab bei Patienten mit soliden Tumoren Wunder bewirkt. Gleich 16 randomisierte Studien und die Analyse von über 10.000 Patientendaten liefern die Basis der weltweit ersten Metaanalyse dieser Art. Also ob die nüchternen Ergebnisse nicht reichten, setzt JAMA in einem Editorial nach und warnt darin vor dem unbedachten Einsatz des Medikaments. Denn aus den Daten lässt sich ablesen: Wer als Krebspatient damit behandelt wird, kann eventuell früher sterben.
Womöglich ist das der Absturz eines Medikamenten-Superstars auf Raten. Ranpira untersuchte nämlich sowohl die Therapien, als auch den Ausgang der Behandlung bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungen-, Brust- und Nierenkrebs. Zur Überraschung der Forscher schnellte unter Zugabe von Bevacizumab die Sterblichkeit um das 2,5-fache hoch, in Kombination mit anderen Krebsmitteln beobachteten die Wissenschaftler sogar einen dramatischeren Anstieg. So stieg die Rate bei Patienten, die Bevacizumab zusammen mit Taxanen erhielten, im Vergleich zur Gruppe ohne monoklonalen Antikörper um das 3,3-fache an. Bestenfalls, so lassen die Zahlen erkennen, blieb in der beobachteten Metaanalyse die Sterblichkeit unverändert.
Viele Fragen, kaum Antworten - und funktionierende Alternativen
Was letztendlich den Tod der Behandelten auslöste, listen die New Yorker ebenfalls akribisch auf. In 23 Prozent der Fälle führten innere Blutungen infolge des unliebsamen Einsatzes des Wirkstoffs zum Exitus, Neutropenien machten 12,2 Prozent aus. Rund sieben Prozent aller Bevacizumab-assoziierten Todesfälle gingen mit Perforationen des Gastrointestinaltrakts einher, Blutungen in der Lunge zählten ebenso wie zerebrovaskuläre Ereignisse zu weiteren Todesursachen. Steht das Mittel damit vor dem Aus?
Wohl nicht, wenn Ärzte und Apotheker sich auf die neue Lage einstellen, wie Daniel F. Hayes vom University of Michigan Comprehensive Cancer Center in einem Begleitartikel des JAMA erklärt. Denn die Wirksamkeit des Mittels bei Patienten mit soliden Tumoren sei durchaus „gut“ – doch nur bei bestimmten Patienten. Ob damit Bevacizumab „Fluch oder Segen“ sei, ließe sich somit nach jetzigem Wissensstand nicht beantworten. Denn bei wem der Wirkstoff eigentlich wirke, und für wie lange, sei praktisch unbekannt. Entsprechend müssten Ärzte im Einzelfall genau beobachten, was bei Anwendung des Präparats mit dem Patienten geschieht. Dem Nutzen des Präparates stünden zudem lebensbedrohliche Nebenwirkungen und erhebliche Kosten gegenüber. „Diese unglücklichen Zustände sind traurig für all jene, die dafür die Kosten übernehmen müssen – und noch trauriger für Patienten mit soliden Tumoren“, schreibt Hayes.