Forscher haben einen neuen Mechanismus entdeckt, wie bakteriell infizierte Zellen ihre Nachbarzellen über die Infektion informieren können. Im Kollektiv lösen die alarmierten Zellen darauf eine Abwehrreaktion gegen die feindlichen Eindringlinge aus.
Dem menschlichen Immunsystem gelingt es fast immer, feindliche Eindringlinge rasch zu erkennen und sie effizient zu beseitigen. Doch einige Mikroben haben raffinierte Strategien entwickelt, die Körperabwehr auszuschalten. Das Bakterium Shigella flexneri, Auslöser von heftigen Durchfallerkrankungen, zum Beispiel injiziert mit kleinen Nadeln ein Gemisch verschiedener Proteine in Zellen der Darmschleimhaut. Eines dieser Proteine sorgt dafür, dass die infizierte Zelle nicht mehr in der Lage ist, Chemokine freizusetzen. Diese Signalstoffe locken normalerweise Immunzellen an, die die befallenen Zellen mitsamt den schädlichen Mikroben vernichten.
Neues Konzept der Alarmierung von Immunzellen
Doch Darmepithelzellen sind, wie Forscher am Biozentrum der Universität Basel kürzlich zeigen konnten, den Attacken von Shigella flexneri nicht hilflos ausgeliefert, sondern haben eine Möglichkeit gefunden, den Bakterien Paroli zu bieten. Wie das Team um Christoph Alexander Kasper in der Fachzeitschrift Immunity berichtet, informieren infizierte Zellen einfach ihre Nachbarn, die stellvertretend für sie das Immunsystem alarmieren und so eine wirkungsvolle Abwehrreaktion auslösen. Nach Ansicht von Wolf-Dietrich Hardt, Professor am Institut für Mikrobiologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, stellt die Arbeit von Kasper und Kollegen das bisher geltende Konzept in Frage, dass die Zelle, die ein Pathogen erkennt, auch diejenige ist, die das Immunsystem alarmiert.
Für ihre Experimente verwendeten die Basler Wissenschaftler humane Zellen, die sie im Labor kultivierten und mit Shigella flexneri infizierten. „Unter dem Mikroskop konnten wir beobachten, dass die Nachbarzellen bereits 20 Minuten nach der Infektion ein Signal erhielten“, berichtet Kasper, Molekularbiologe in der Arbeitsgruppe von Professorin Cécile Arrieumerlou. „Die gesunden Zellen lösten darauf eine Immunantwort aus, indem sie das Chemokin IL-8 herstellten und freisetzten.“ Da bis zu 25 Zellen im Umfeld einer einzelnen infizierten Zelle anfingen IL-8 zu produzieren, könnte der neu entdeckte Mechanismus nach Ansicht des Schweizer Wissenschaftlers eine Möglichkeit für den Organismus darstellen, die Immunreaktion während einer bakteriellen Infektion potenziell zu verstärken.
Kleine Kanäle ermöglichen Kommunikation
Vermittelt wird der Informationsaustausch zwischen den Zellen durch kleine Kanäle, die die Darmepithelzellen untereinander verbinden. Die Kanäle sind aus Proteinen aufgebaut und befinden sich in der Zellmembran. Sie ermöglichen den Austausch sowohl von geladenen als auch von ungeladenen Molekülen. Als die Forscher um Kasper die Kanäle blockierten, wurde der Informationsfluss zwischen den Zellen unterbrochen und die Immunreaktion blieb aus. Die Zell-Zell-Kommunikation via Kanäle scheint auch bei der Bekämpfung von anderen Krankheitserregern eine wichtige Rolle zu spielen: Als die Wissenschaftler humane Zellen mit Salmonellen oder Listerien behandelten, fingen die Nachbarn der infizierten Zellen ebenfalls an, Chemokine zu produzieren. Allerdings fiel die Immunreaktion in den Nachbarzellen nicht ganz so stark aus wie nach der Infektion mit Shigellen.
Kasper vermutet, dass der menschliche Körper bei einer Vielzahl von Krankheiten den neu entdeckten Mechanismus nutzt, um die Immunantwort zu verstärken. „Entzündungen können aber auch aus dem Ruder laufen“, sagt der Molekularbiologe. „In solchen Fällen wäre es attraktiv, wenn man therapeutisch in die Zell-Zell-Kommunikation eingreifen könnte, um die Immunreaktion abzuschwächen.“ Auch Professor Hardt kann sich vorstellen, dass dieser Mechanismus überall im Körper möglich ist, da die Kanäle, die Zellen für ihre Kommunikation nutzen, in fast allen Geweben und Organen vorkommen.
Signalmolekül wird gesucht
Bis man jedoch mit Hilfe von pharmazeutischen Substanzen beim Menschen diesen Prozess beeinflussen kann, wird wohl noch viel Zeit verstreichen, denn noch ist nicht endgültig klar, ob im lebenden Organismus die gleichen Vorgänge ablaufen wie bei Kaspers Laborversuchen. Derzeit sind die Forscher aus Basel dabei, das Signalmolekül zu identifizieren, das infizierte Zellen aussenden, um ihre Nachbarn zu alarmieren. Erst wenn sie das geschafft haben, wollen Kasper und Kollegen Experimente mit Versuchstieren durchführen.