Seit Januar sorgt die Packungsgrößenverordnung für Ärger in der Offizin: Der Austausch von Arzneimitteln wird durch geänderte Normgrößen zum komplizierten Unterfangen, das nicht allen pharmazeutischen Belangen Rechnung trägt. Mit Überarbeitungen sollen jetzt die schlimmsten Fehler ausgebügelt werden.
Im Zuge des berühmt-berüchtigten Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes, kurz AMNOG, ist Anfang 2011 die Packungsgrößenverordnung in Kraft getreten. Der Hintergrund: Durch geschicktes Minimieren des tatsächlichen Inhalts von Gebinden hatten vor allem Originalanbieter bis dato Rabattverträge trickreich umgangen. Jetzt sind für N-Größen nur noch definierte Spielräume möglich: +/- 20 Prozent bei N1, +/- 10 Prozent bei N2 und – 5 Prozent bei N3. Für die Substitution zählt ausschließlich diese Normgröße, nicht aber der tatsächliche Inhalt. Das bedeutet einen immensen Zusatzaufwand zusätzlich zur Beratung: Bei einer Verschreibung mit angegebener Stückzahl muss das pharmazeutische Personal beispielsweise prüfen, ob die Packungsgröße des Medikaments im akzeptablen Bereich liegt. Falls nein, ist nur eine Substitution gegen Packungen mit der verordneten Stückzahl möglich, Recherchearbeit inklusive.
N1: auch als small, medium oder large erhältlich?
Einige Präparategruppen machen zusätzliche Probleme, etwa Antibiotika: Innerhalb der N1-Spanne liegen gleich mehrere Packungsgrößen. Damit würde eine Verordnung von 14 Stück, je nach Krankenkasse, zu einer Substitution mit Packungen zu 16, aber auch zu 12 Tabletten führen. „Wenn der Arzt eine bestimmte Therapiedauer intendiert hat, ist es absoluter Unfug, weniger zu geben“, kritisiert Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Uni Frankfurt. Im Zweifelsfall müsse deshalb mit dem Arzt die beabsichtige Einnahmedauer abgeklärt werden. Und der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands, Dr. Peter Homann, unterstreicht: „Auch der Arzt möchte, dass sein Patient die richtige Packung bekommt.“ Deutliche Kritik kam auch vom Hessischen Apothekerverband. Es sei völlig ausreichend, wenn auf dem Rezept das Medikament und die gewünschte Stückzahl angegeben werde, um dem Apotheker mitzuteilen, welche Packungsgröße für den Patienten gewünscht sei. „Wir wollen endlich wieder unseren Beruf ausüben, nämlich die Bevölkerung zum Thema Arzneimittel aufzuklären und zu beraten. So können wir dafür sorgen, dass die Compliance eingehalten wird und das Arzneimittel optimal seine Wirkung entfalten kann“, hieß es aus Verbandskreisen.
Von Opfern und von Tätern
Mittlerweile fanden manche Firmen ihren eigenen, trickreichen Weg durch das Chaos. Hat ein Hersteller sein rabattfähiges Präparat beispielsweise als N1 gemeldet, obwohl die Zahl der Tabletten nicht mehr im Rahmen der neuen Normgrößen ist, spuckt die Apotheken-EDV den Datensatz trotzdem aus, und das Präparat wird abgegeben. Gut für die Firma, fatal für die Apotheke: Noch immer stecken Datenbanken voller Fehler, die auf Falschmeldungen der Pharmaindustrie zurückzuführen sind: Etliche Präparate werden als austauschbar gelistet, obwohl dies nicht mehr korrekt ist, etwa bei Pramipexol oder Pantoprazol. Die Packung wandert über den HV-Tisch, und eine Retaxation droht.
Das Bundesgesundheitsministerium zeigte sich angesichts dieser Praxis verärgert, hatte man doch bereits im November entsprechende Informationen veröffentlicht. Es sei nicht hinnehmbar, wenn einzelne Unternehmen sich durch falsche Angaben Wettbewerbsvorteile verschaffen wollten gegenüber Herstellern, die korrekt melden, ließ das Ministerium verlauten. Jetzt soll die Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten (IFA) helfen, den gordischen Knoten zu durchtrennen. Daten erhält diese Institution aber auch nur von den Herstellern selbst. Zwar könnten der Deutsche Apothekerverband und der Spitzenverband der Krankenkassen seit AMNOG entsprechende Fehler selbst korrigieren, und das sogar auf Kosten der Hersteller. Laut Sozialgesetzbuch wären die Änderungen verbindlich. Praktisch gibt es noch keine vernünftige Möglichkeit zur Umsetzung. Ein gangbares Verfahren scheiterte bis dato am Aufwand, gilt es doch, N-Kennzahlen und Pharmazentralnummern (PZN) manuell einander zuzuordnen. Und dem BMG selbst fehlen Instrumente, die abtrünnigen Pillenproduzenten zur Räson zu bringen. Strafen sind bei Falschmeldungen nicht zu befürchten, Schadenersatzforderungen von potenziellen Konkurrenten nur schwer bezifferbar.
Schadensbegrenzung auf die Schnelle
Auf die Vorwürfe kontern Vertreter der Industrie, Röslers Ministerium habe keine klaren Vorgaben gemacht und ziehe angesichts des Chaos geschickt den Kopf aus der Schlinge. Auch sei die Vorlaufzeit viel zu kurz gewesen. Mit der Umstellung auf die neuen Größen entsprachen quasi über Nacht zahlreiche marktübliche Gebinde eben nicht mehr der Norm – und fielen sprichwörtlich durch das Raster. Dementsprechend brach der Umsatz mancher Arzneimittel bereits in den ersten Wochen des noch jungen Jahres 2011 ein. Das Bundesministerium für Gesundheit versprach eine rasche Lösung. Doch als die entsprechende Novellierung auf sich warten ließ, reagierten die Pharmafirmen. Sie überschwemmten die Behörde mit sage und schreibe 3000 Änderungsanzeigen. Jetzt ist Schadensbegrenzung angesagt: „Für bestimmte Wirkstoffe entsprechen die geltenden Maßzahlen in Verbindung mit den verringerten Spannbreiten für zulässige Abweichungen nicht mehr der Versorgungsrealität“, hieß es aus dem Ministerium. Ab Juli sollen dann überarbeitete Anlagen der Packungsgrößenverordnung gelten. Außerdem verlängerte das Ministerium die Abverkaufsfristen für Packungen ohne gültige N-Kennzeichnung auf 18 Monate. Diese Spanne sei so bemessen, dass die üblichen Lagervorräte aufgebraucht werden könnten.
Alte Größen neu abzugeben
Kürzlich verständigten sich auch der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband als Organe der Selbstverwaltung auf neue Eckpunkte. Diese halten zwar am bevorzugten Austausch innerhalb der N-Gruppen fest, lockern aber den Abverkauf alter Packungen. Stehen etwa keine Rabattarzneimittel zur Verfügung, können auch Gebinde abgegeben werden, die nicht in das Raster der Packungsgrößenverordnung fallen. Und war die ursprüngliche Größe selbst rabattfähig, darf diese ebenfalls abgegeben werden, selbst wenn Rabattarzneimittel der neuen N-Zahlen vorhanden sind. Stehen jedoch ausschließlich alte Rabattarzneien zur Verfügung, können Kunden diese Packungen auch bekommen. Und wurden auf einem Rezept die Stückzahl und die N-Größe vermerkt, so ist die Stückzahl bindend, wenn eine Zuordnung nach der neuen Packungsgrößenverordnung nicht möglich ist. Die Änderungen sollen am 1. April in Kraft treten, bis dahin schützt eine Friedenspflicht Apotheken vor möglichen Retaxationen.
Fernziel Reichdauerorientierung
Ruhig wird es durch diese Korrekturen aber noch lange nicht. In Anbetracht der derzeitigen Probleme sei es nicht auszudenken, dass mit der Umstellung von Normgrößen auf eine Reichdauerorientierung in 2013 eine nächste Stufe der Packungsgrößenverordnung in Kraft treten solle, so der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis. Dann nämlich dienen nicht mehr N-Zahlen als Richtschnur, sondern Therapiezeiträume. Nach jetziger Sachlage wirft dieses Konzept etliche Fragen auf: Wie ist mit unterschiedlichen Dosierungen für Kinder oder Erwachsene umzugehen – bei gleicher Therapiedauer? Welche Fristen gelten für die Übergangszeit? Und kommen für längere Therapien neue Jumbopackungen auf den Markt?
Dieses Thema wurde von unserem Leser Dr. med. I. Steidler vorgeschlagen.