Wie potent marine Enzyme sein können, haben nun norwegische Wissenschaftler entdeckt und investieren weiteres Geld in die Forschung. Ihre japanischen Kollegen haben dies bereits im letzten Jahr erkannt und dabei ein interessantes Bild für die Arzneimittelherstellung der Zukunft gezeichnet.
Das US-amerikanische Department of Defense ist (DoD) im Interesse der vereinigten Staaten auch für die Weltmeere zuständig, seit über 70 Jahren gilt dabei der Stützpunkt der Pazifikflotte im kalifornischen San Diego als wichtigste Säule der Marine. Doch die Zuwendungen in Höhe von mehr als 29 Mio. US-Dollar, die aus dem Budget der DoD-eigenen Defense Threat Reduction Agency (DTRA) Ende vergangenen Jahres nach San Diego flossen, hatten keinen militärischen Adressaten – das Geld war für Wirkstoffforscher an der Scripps Institution of Oceanography der Universität San Diego bestimmt.
Bereits 2003 erste marine Actinomyceten entdeckt
Zudem sollten die Mittel weder Waffen, noch neue Kampfstoffe zum Vorschein bringen. Vielmehr mussten die bezuschussten Forschungsstellen den Blick in die Tiefe des Ozeans richten – um marine Organismen und Substanzen zu suchen, die eines Tages als Basis einer neuen Arzneimittelproduktion stehen könnten. Die Idee an sich ist freilich kein Novum. Das Team des am Scripps Institute of Oceanography forschenden William Fenical entdeckte bereits 2003 erste marine Actinomyceten, die eine neuartige Antitumor-Substanz produzierten. Seitdem wissen Pharmazeuten weltweit: Die auf „Salinospora“ getauften Salzwasser-Bakterien kommen in tropischen und subtropischen Meeres-Sedimenten vor.
Tatsächlich konnten Fenical uns sein Team aus dem Zellextrakt von Stamm CNB-392 Bakterienart die Substanz "Salinosporamid A" isolieren, welche auf verschiedene menschliche Krebsarten inhibierend wirkt. Fenicals Entdeckung sorgte damals für Schlagzeilen, um danach aus der globalen Medienberichterstattung zu verschwinden. Doch für seine aus marinen Organismen gewonnene umfassende Substanzbibliothek interessiert sich heute die DTRA. Mit Hilfe der aktuellen 29 Millionen Dollar Investition und des Einsatzes der speziellen Focused Antisense Screening Technology wollen die Forscher weitere Wirkstoffkandidaten finden.
Handfeste wirtschaftliche Gründe
Die Offensive hat handfeste wirtschaftliche Gründe, wie Fenical zu verstehen gibt. Vor allem die Ausbreitung von antibiotikaresistenten Keimen auf dem Lande mache die Suche nach Substanzen gegen die Superbakterien unumgänglich – wobei der Ozean ein „unerschöpfliches Reservoir“ biete. Fenicals Vorstoß und die Avancen des DoD passen gut in das globale Bild, das der Pharmazeut Yogesh Chaudhari im Fachblatt „Drug Invention Today“ zeichnet: Vor allem Arzneimittelhersteller werden in Zukunft verstärkt auf marine Enzyme setzen und deren industrielle Produktion vorantreiben.
Staatliches Interesse der Wikinger-Nachfahren
Ein Extrakt des Winzlings im antarktischen Meer lebenden Pseudoalteromonas atlantica beispielsweise dient der Kosmetikindustrie schon heute als Mittel gegen Kälte und Austrocknung. Medizinisch weitaus wichtiger dürfte das vom Mikroorganismus produzierte Enzym Galactosidase sein. Denn der Einsatz der a-Variante des marinen Enzyms ermöglicht die Verwandlung von Blutgruppenantigenen des B-Typs in Antigene der Blutgruppe Null. Damit, so resümieren die Forscher um Chaudhari, habe der Einsatz des Enzyms bereits Einzug in die Transfusiontherapie gehalten. Arktische Sedimente und das Südchinesische Meer wiederum bieten Mikroorganismen, die das Enzym Esterase herstellen. Ob Waschmittelproduktion, Lebensmittelindustrie oder Arzneimittel - das Enzym spielt heute eine zentrale Rolle.
Als vielversprechend erweist sich auch das im skandinavischen Lachs enthaltene Enzym Zonase, das, auf die Haut aufgetragen, womöglich die alten Wikinger begeistert hätte. Denn die Substanz entfaltet eine beachtliche Antifalten-Wirkung selbst unter extremen Witterungsbedingungen. Jetzt aber scheinen die Nachfahren der einstigen Eroberer das Meer aus pharmazeutischer Sicht neu zu entdecken: Die staatliche norwegische Investitionsgesellschaft „Innovation Norway“ stellte am 26. Januar 2011 insgesamt 650.000 Kronen für die Durchführung der ersten klinischen Studie mit Zonase zur Verfügung.