Eine internationale Forschergruppe hat die Ursache für die Entstehung von Meningokokkenerkrankungen enträtselt: Es sind zwei Gene des Komplementsystems, die für die Abwehr von Meningokokken sorgen.
Meningokokkeninfektionen gehören zu den gefährlichsten Infektionserkrankungen überhaupt. Tatsächlich ist die Krankheit zwar selten und betrifft nur einen von 100.000 Personen pro Jahr, sie verläuft jedoch häufig fatal: Eine Meningokokkeninfektion ist anfangs nicht von einer harmlosen Grippe zu unterscheiden, kann jedoch innerhalb von wenigen Stunden aus voller Gesundheit zum Tod führen. Es gibt zwei verschiedene Verlaufsformen der Erkrankung: Die Sepsis hat eine Sterblichkeit von 30 Prozent, die Meningitis von 1 Prozent. Die Inzidenz der Erkrankung zeigt europaweit erhebliche regionale Schwankungen: In den Niederlanden, Dänemark, England und Wales ist sie zwei bis dreimal höher, als beispielsweise in Deutschland. Obwohl es sich um eine klassische Infektionserkrankung handelt, waren die genauen Umstände zur Entstehung der Erkrankung bisher nicht bekannt. Etwa 15 Prozent aller Menschen haben Meningokokken im Rachen ohne je daran zu erkranken. Allerdings war aus Familienuntersuchungen eine genetische Neigung bekannt, an Meningokokken zu erkranken.
Assoziationsstudie bringt erstmals Aufschluss
Um herauszufinden, welche Gene für das Auftreten dieser Infektionserkrankung verantwortlich sind, machte sich eine internationale Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern aus Österreich, Großbritannien, Holland, Spanien und Singapur auf Ursachenforschung. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Aus der größten Patientenkohorte der Welt, in welche 1.433 Kinder einbezogen wurden, konnten zwei Gene identifiziert werden, die hauptsächlich für die Entstehung einer Meningokokkeninfektion verantwortlich sind. Wesentliche Ergebnisse dazu lieferte die Medizinische Universität Graz: Univ.-Prof. Dr. Werner Zenz von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Pädiatrie sammelte mit seinem Team in über 100 Kinderkliniken Deutschlands, der Schweiz, Italien und Österreich Blutproben von Patienten und wertete diese aus. Mit einer neuen Technik, die Molekulargenetik und Elektronik kombiniert, waren 500.000 genetische Einzeluntersuchungen pro Patient möglich, die das gesamte menschliche Genom im Überblick darstellten.
Zwei Gene sind schuld
Aus den Ergebnissen wurde ersichtlich: Zwei Gene im Bereich des Faktor H und des Faktor H-bindenden Proteins des Komplementsystems sind für das Auftreten von Meningokokkenerkrankungen verantwortlich. Das Komplementsystem ist ein Teil der Immunsystems und hat die Aufgabe Bakterien zu vernichten, die ins Blut gelangt sind. Es besteht aus Einzelfaktoren, die im Blut zirkulieren und macht in den Zellwänden von Bakterien Löcher, wodurch diese zerstört werden. Damit das Komplementsystem nicht körpereigene Strukturen angreift und somit Autoimmunerkrankungen auslöst, muss es reguliert werden. Zu diesen Regulationsfaktoren gehört der Faktor H. Dieser bremst das bereits aktivierte Komplementsystem und schützt den Körper vor der Zerstörung durch das Komplement. Andererseits schützt der Faktor H durch die Bremsung des Komplementes auch die Bakterien vor der Zerstörung im Körper. Das scheinen auch die Meningokokken zu wissen, denn sie versuchen den menschlichen Faktor H im Blut an sich zu binden um so dem Komplementsystem zu entkommen.
Basis für die Entwicklung von Impfstoffen
Diese Entdeckung hat große Bedeutung für die Impfstoffentwicklung. Bis heute gibt es gegen die überwiegende Mehrzahl der Meningokokkeninfektionen keinen Impfstoff. Allerdings steht bereits bei allen Versuchen einen universellen Impfstoff gegen Meningokokken zu entwickeln, das Faktor H-bindende Protein im Mittelpunkt des Interesses. Die Entdeckung, dass dieser Faktor auch beim Menschen die zentrale Rolle in der Abwehr gegenüber Meningokokken darstellt, unterstreicht seine große Bedeutung für die Entwicklung eines Impfstoffes. „Es handelt sich unseres Wissens nach um die Erstbeschreibung, dass normale genetische Variationen des Menschen für das Auftreten einer Infektionserkrankung verantwortlich sind“, betont Univ.-Prof. Dr. Werner Zenz. Die Gruppe plant weitere Studien um im Vergleich zwischen Verstorbenen und Überlebenden Gene zu finden, die für das Überleben oder den Tod der Patienten verantwortlich sind. Dadurch erhoffen sie die Studienautoren neue Konzepte für die Behandlung des septischen Schocks.