Was passiert im Kopf, wenn Musiker improvisieren? Welche Hirnleistungen sind nötig, um sich die Töne zuzuspielen? Und gibt es ein neurologisches Korrelat des Freestyle-Rap? Mit Hilfe eines MRT-kompatiblen Keyboards wurden Musiker in der Röhre untersucht.
Was passiert im Gehirn, wenn ein Mensch kreativ ist? Das ist die Frage, die Professor Charles Limb von der Johns Hopkins University schon lange fasziniert. Eine Sache hat es dem passionierten Hobbymusiker besonders angetan: Kreative Musik. Wie ist es möglich, dass ein einzelnes Gehirn, etwa das des Jazzpianisten Keith Jarrett, komplette Konzerte improvisieren kann und damit singuläre Hörereignisse schafft?
Wie lässt es sich in der Röhre klampfen?
Seine Ausgangshypothese sei gewesen, dass es so etwas wie ein neurologisches Korrelat der musikalischen Kreativität geben müsse, so Limb: „Kreativität ist vielleicht magisch, aber sie ist keine Zauberei.“ Um die neurologischen Prozesse, die mit Kreativität einhergehen, nachzuweisen, hat Limb in bisher drei Versuchsreihen Musiker zum Stelldichein im funktionellen MRT-Gerät gebeten. Was er dabei beobachtet hat, verriet er jetzt in einem auch als Streaming-Video vorliegenden Vortrag bei der TED-Konferenz TEDx MidAtlantic. Die seit Jahren stattfindenden TED-Konferenzen sind traditionell eine Tummelwiese für Querdenker unterschiedlichster Disziplinen.
Um Musiker in kreativer Aktion im funktionellen MRT untersuchen zu können, musste natürlich erst einmal passende Hardware her. Die Lösung war ein Keyboard, das komplett aus Kunststoff bestand. Über eine MIDI-Schnittstelle werden die Töne und Melodien einerseits an einen Kopfhörer, andererseits nach draußen in den Kontrollraum übermittelt. Das klingt alles einfacher, als es war. Abgesehen davon, dass das Keyboard klein genug sein musste, um quer in eine MRT-Röhre zu passen, waren auch ein paar ergonomische Überlegungen anzustellen. Im Endeffekt wurde das Gerät mit Hilfe spezieller Kissen auf den Beinen des Musikers abgestützt, sodass dieser einigermaßen bequem spielen konnte, während er – natürlich – auf dem Rücken lag.
Auch das Hirn behandelt Musik als eine Sprache
In einer ersten Untersuchungsserie hat Limb verglichen, wie sich die die Hirnaktivität im funktionellen MRT unterscheidet, wenn ein Musiker ein Musikstück eins zu eins aus dem Gedächtnis wiedergibt oder aber über demselben Stück improvisiert. Was die Experten sahen, war eine Verringerung der Aktivität im lateralen präfrontalen Kortex und eine gegenläufige Aktivierung im medialen präfrontalen Kortex. „Das sind natürlich nicht die Jazz-Areale des Gehirns. Es handelt sich um multifunktionale Areale. Unsere Hypothese ist, dass Kreativität diese merkwürdige Dissoziation im Frontallappen benötigt, die wir beobachtet haben“, so Limb. Etwas anschaulicher formuliert: Das Gehirn produziert in Phasen der musikalischen Kreativität an bestimmten Stellen stärkere Impulse als bei bloßer Wiedergabe eines Lieds. Dadurch, dass in korrespondieren Arealen gleichzeitig die Aktivität heruntergefahren wird, verhindert das Gehirn aktiv, dass die kreativen Impulse gleich wieder „wegreguliert“ werden.
In einer zweiten Versuchsreihe an bisher acht Musikern haben Limb und seine Kollegen sich dann ein spezielles Kreativitätsszenario angesehen, nämlich Situationen, in denen Musiker gemeinsam improvisieren und mit ihren Instrumenten jeweils aufeinander antworten. Auch hierfür wurden die Musiker gebeten, sich eine Melodie einzuprägen, die sie bis dahin nicht kannten. Sie kamen dann in die Röhre und spielten mit dem Versuchsleiter, der im Kontrollraum ein eigenes Keyboard hatte, gewissermaßen ein Improvisationsduett. Bei dieser Form der kreativen Improvisation kam es zusätzlich zu den schon beobachteten Veränderungen in unspezifischen Arealen auch noch zu einer Aktivierung der Broca-Areale im frontalen Gyrus, also der Sprachzentren des Gehirns. „Es könnte demnach sein, dass die Behauptung, Musik sei eine Form der Sprache, tatsächlich ein neurologisches Korrelat besitzt“, betonte Limb. Die entsprechenden Daten schreibt er gerade zusammen und will sie demnächst publizieren.
Freestyle-Rap macht buntes Hirn
Noch wilder scheint es im Gehirn von improvisierenden Rappern zuzugehen. Denn das war die dritte Stufe von Limbs Experimenten: Er ließ Rapper in der MRT-Röhre improvisieren, was bei dieser Musikrichtung bedeutet, aus zugeworfenen Schlüsselwörtern spontan einen Rap-Text zu „basteln“ und wiederzugeben. „Bei diesem Freestyle-Rap gibt es viele Analogien zur Jazzmusik“, betonte Limb. Und tatsächlich sah er erneut ähnliche Muster bei den MRT-Aktivierungen. Insgesamt war das Bild aber deutlich bunter: „Selbst bei geschlossenen Augen waren neben den Sprachzentren auch wichtige visuelle Rindenareale und wichtige Kleinhirnareale aktiv“, so Limb. Kreativität, so scheint es, nimmt in einigen Fällen das komplette Gehirn in Anspruch, inklusive Sehsinn und motorische Zentren.