Reine pro forma-Forschung für das Türschild der Arztpraxis oder elementarer Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung? Die medizinische Doktorarbeit wird unter Akademikern kritisiert und belächelt. Ist sie noch zeitgemäß?
80% aller Medizinabsolventen promovieren. Ein immenser Wert, vergleich man ihn mit anderen Fächern wie zum Beispiel den Ingenieurwissenschaften. Hier setzen nur 12,8% ihrem Studium noch eine Doktorarbeit auf1. Das mag bei den Medizinern am deutlich geringeren Umfang und wissenschaftlichen Anspruch liegen oder daran, dass sie schon während des Studiums angefertigt werden kann. Aus diesem Grund wird sie auch nicht vom European Research Council als gleichwertig mit Dissertationen anderer Fächer oder gar dem im angelsächsischen Raum üblichen PhD-Titel anerkannt.
Wissenschaftsrat gegen derzeitige Form
Auch der Wissenschaftsrat, der die Bundesregierung hinsichtlich der strukturellen und inhaltlichen Entwicklung von Hochschulen, Forschung und Wissenschaft berät, bemängelt die Praxis der Verleihung von medizinischen Doktortiteln immer wieder. "(...) es hat sich eine Art akademisches Gewohnheitsrecht entwickelt, demzufolge die Verleihung des Doktorgrades weitgehend unabhängig von der Qualität der Promotionsleistungen erfolgt", so der Wissenschaftsrat schon in 20042. Er fordert weiterhin die Bindung der Verleihung des Doktorgrades an entsprechende Maßstäbe, die mit den übrigen Naturwissenschaften vergleichbar sind.
Alles nur Prestige?
Aber ist das die Lösung des Problems? In der Bevölkerung ist die Gleichsetzung der Begriffe "Doktor" und "Arzt" weit verbreitet. So reicht im Krankenhaus oft das tragen eines weißen Kittels um mit Herr oder Frau Doktor angesprochen zu werden. Umgekehrt werden promovierte Patienten zunächst panisch gefragt ob es sich bei ihnen um Fachkollegen handle. Fragt man junge Mediziner, befürchten sie gerade als niedergelassene Ärzte einen Ansehensverlust wenn kein "Dr. med." auf ihrem Praxisschild stände. Die Zeiten, in denen die Promotion einen Vorteil im Bewerbungsgespräch darstellte, sind dank des Ärztemangels schon seit einiger Zeit vorbei. Allerdings ist sie prestigesteigernd wie kaum in einem anderen Fach. Chefarzt zu werden, gerade an einem Uniklinikum, ist ohne einen Doktortitel praktisch unmöglich. Und das obwohl es unter den promovierten und nichtpromovierten Kollegen sicherlich kaum einen Kompetenzunterschied gibt.
Der Dr. med. ist kein "richtiger" Doktor
In akademischen Kreisen wird der medizinische Doktortitel belächelt. Nicht zu unrecht, so ist die Arbeit meist vom Umfang her mit Diplom- oder Masterarbeiten zu vergleichen und auf gar keinen Fall mit Dissertationen in anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Dennoch tun sich viele Medizinstudenten mit dem Abschluss ihrer Arbeiten schwer. Wird eine aufwändigere Arbeit angefertigt, um zum Beispiel später in die Forschung gehen zu können, ist eine Verlängerung der Studienzeit auf Grund der Doppelbelastung fast immer unausweichlich. Nicht selten wurden vor dem erfolgreichen Abschließen einer Promotion schon die eine oder andere abgebrochen. Das liegt zum einen am zeitlichen Aufwand, der dann doch nicht parallel zum Studium aufwendbar ist, oder an einer unzureichenden Betreuung. Die starken Unterschiede in Qualität und wissenschaftlicher Relevanz, machen eine einheitliche Wertschätzung unmöglich.
Quo vadis Doktorarbeit?
Während viele die Abschaffung der traditionellen Form und die Vergabe des Titels mit Abschluss des Studiums befürworten, plädieren andere für das Erlernen von wissenschaftlichem Arbeiten durch die Anfertigung der Doktorarbeit. Auch unter den Studenten herrscht Uneinigkeit bei dem Thema. Als eine Möglichkeit sehen einige die Anlehnung an das US-amerikanische System. Die direkte Vergabe des Titels an Absolventen in Form eines MD (Medizinischer Doktor), der dem Namen angehängt wird. Qualitativ hochwertige Forschung könnte trotzdem, beispielsweise in Form eines PhDs, belohnt werden. An einigen Universitäten ist es sowieso schon seit einiger Zeit Gang und Gäbe, dass die Studenten wissenschaftliche Arbeiten im Rahmen des Studiums anfertigen müssen und die Lehre akademischer Arbeitstechniken damit bereits Teil des normalen Curriculums ist.
Fazit
Sowohl die Deutsche Forschungsgesellschaft als auch der Wissenschaftsrat kritisieren die derzeitige Situation. Aber die deutsche Hochschulmedizin ist träge und traditionell geprägt. Auf Veränderungen werden wir wohl noch lange warten müssen. Als Studenten stehen wir auch weiterhin vor der schwierigen Entscheidung ob es wichtiger ist, sich auf sein Studium zu konzentrieren, keine Zeit zu verlieren oder einen nichtssagenden Titel vor dem Namen zu tragen. Professoren und Klinikchefs sollten sich daher in Zukunft noch mehr fragen: Was sagt ein Doktortitel wirklich aus?
Quellen
1 Quo vadis Promotion? Doktorandenausbildung in Deutschland im Spiegel internationaler Erfahrungen, www.hrk.de (Datei) 2 Empfehlungen zu forschungs- und lehrförderlichen Strukturen in der Universitätsmedizin, Wissenschaftsrat (2004)