„On the record“ redet niemand darüber: Wenn sich Krankenhaus und Rettungsdienst in die Haare kriegen, wer für Transporte zuständig ist, dann gefährdet das im schlimmsten Fall den Patienten. Aber: Wer ist denn eigentlich zuständig? Eine Spurensuche im föderalen Deutschland…
So wie in diesem Beispiel soll es nicht laufen: Ein schwerverletzter Patient, der in ein mittelgroßes Krankenhaus eingeliefert wird, entwickelt eine schwere Herzbeuteltamponade. Ein Notfall, der eine Verlegung an die nahegelegene Universitätsklinik notwendig erscheinen lässt. Weil auf der interdisziplinären Intensivstation des verlegenden Krankenhauses gerade die Luft brennt, wird der Rettungsdienst angefordert, um die Verlegung abzuwickeln. Dessen Ärztlicher Leiter lehnt ab: Nicht zuständig, so die lapidare Begründung, während sich die Herzbeuteltamponade des Patienten weiter füllt.
In Berlin und NRW ist der Rettungsdienst am Ruder
Der geschilderte Patient, der vor einigen Monaten in Norddeutschland verunfallte, hat die Herzbeuteltamponade letztlich überlebt. Der Transport konnte organisiert werden, die Verlegung geschah gerade noch rechtzeitig. Befriedigend freilich ist das nicht. Denn wenn es um Leben und Tod geht, dann darf über Zuständigkeiten nicht gestritten werden. Da die Organisation des Rettungsdienstes in Deutschland Ländersache ist, hat sich DocCheck an mehrere zuständige Länderministerien gewandt und um Auskunft gebeten, wie in entsprechenden Situationen rein formal eigentlich die Rechtslage ist. Das Ergebnis erstaunt schon ein wenig. Nicht nur sind die Regelungen und auch das Problembewusstsein sehr unterschiedlich. Zumindest teilweise gibt es für die geschilderte Situation einfach überhaupt keine Regelungen. Und das in Deutschland.
Relativ klare Ansagen kommen aus Berlin und aus Nordrhein-Westfalen. In Berlin seien nach §2 Berliner Rettungsdienstegesetz arztbegleitete Verlegungen Aufgabe der Notfallrettung, teilt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit unmissverständlich mit. Nun sind die Distanzen zwischen den Krankenhäusern in Berlin nicht riesig. Auch deswegen ist die Realität dann doch häufig anders: Das abgebende Krankenhaus stellt in der Hauptstadt schon immer mal wieder den begleitenden Arzt. Wenn sich das aber nicht organisieren lässt, gibt es zumindest einen Paragraphen, auf den man sich beziehen kann. Ähnlich scheint die Situation im Flächenland Nordrhein-Westfalen zu sein. Auch dort hören wir aus dem Gesundheitsministerium Klartext, der im §11 des dortigen Rettungsdienstegesetzes auch justiziabel niedergelegt ist: Die Festlegung, ob eine Verlegung als Notfalltransport mit ärztlicher Begleitung durchzuführen ist, trifft das Krankenhaus und niemand sonst. Die organisatorische Zuständigkeit für die Verlegung liegt dann beim Rettungsdienst. Für einen intensivüberwachungspflichtigen Patienten sind dabei Notärzte und Rettungsassistenten mit besonderer intensivmedizinischer Qualifikation zuständig.
Schleswig-Holstein: Problem? Was für ein Problem?
Anders als an Rhein und Spree sieht die Sache in Schleswig-Holstein aus: „Eine konkrete Regelung über die Arztbegleitung bei Verlegungen existiert im Rettungsdienstgesetz Schleswig-Holstein nicht“, teilt das Referat VIII 451 – Rettungswesen mit. Eine Art informelle Regelung scheint es aber schon zu geben: „Es wird als Aufgabe des (abgebenden) Krankenhauses angesehen, die erforderliche Arztbegleitung sicherzustellen“, so das Referat weiter. Nur für den Fall, dass ein Krankenhaus objektiv nicht dazu in der Lage sei, könne für eine zeitkritische Akutverlegung oder für eine dringliche Intensivverlegung ein Notarzt des Rettungsdienstes eingesetzt werden. Hier sind Konflikte zumindest angelegt, stellt sich doch die nicht ganz unwichtige Frage, wer denn definiert, wann ein Krankenhaus „objektiv“ nicht zur Arztbegleitung in der Lage ist. Anders formuliert: Darf ein Krankenhaus dem Rettungsdienst im Fall der Fälle Weisung erteilen. Oder muss es betteln?
Auftritt: Der Verlegungsarzt
Interessant ist die Situation in einem weiteren Flächenland, in Bayern, wo das Thema derzeit tatsächlich politisch besetzt ist. Entsprechend ausführlich fiel die Antwort aus, die DocCheck vom dortigen Staatsministerium des Inneren erhalten hat. Das Bayerische Rettungsdienstegesetz weist die Verantwortung für die Arztbegleitung im Rahmen von Verlegungen weder primär dem Krankenhaus noch primär dem Notdienst zu. Stattdessen werden so genannte Verlegungsärzte in die Pflicht genommen. „Der Einsatz von besonderen Verlegungsärzten entlastet den Notarztdienst von den oft länger andauernden Verlegungstransporten und verhindert, dass der Notarztstandort unbesetzt ist“, so ein Sprecher des Staatsministeriums.
Der „Verlegungsarzt“ ist qua Gesetz ein Arzt mit Notarztausbildung, der außerdem über „sonstige für die Durchführung arztbegleitender Patiententransporte notwendige besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ verfügt. Die genauen Anforderungen legt die Bayerische Landesärztekammer fest. Alternativ könne auch ein Krankenhausarzt mit Notarztqualifikation sowie bei entsprechenden Sondervereinbarungen auch ein ambulanter Facharzt Transporte begleiten, so der Ministeriumssprecher.
Das interessante an Bayern ist nun, dass die Verlegungsärzte auf eine Infrastruktur zugreifen können, die sich derzeit im Aufbau befindet. An zunächst zehn Standorten – fünf sind schon im Betrieb – werden besondere Verlegungsarzt-Einsatzfahrzeuge vorgehalten werden, die wie Notarzt-Einsatzfahrzeuge ausgestattet sind. Mit diesen Wagen fährt der Verlegungsarzt an die abgebende Klinik und steigt dort auf den Rettungswagen um, mit dessen Besatzung er dann gemeinsam den Transport durchführt. Eins ist klar: Hier hat sich zumindest jemand über dieses Thema Gedanken gemacht.
Das Thema wurde angeregt von unserem Leser Jörg Polkehn.