Das Gefahrenpotenzial von Neuroleptika wurde zuletzt intensiv diskutiert. Unter anderem war von Veränderungen des Hirnvolumens die Rede. Den Einsatz von Neuroleptika bei Psychosen sollte man dennoch sachlich und differenziert betrachten, fordert nun ein Expertenteam.
„Neuroleptika sind ein zentraler Bestandteil der Behandlung akuter Psychosen“, erklärt Prof. Dr. Peter Falkai, Direktor der Psychiatrischen Klinik am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Die Vorteile dieser Medikamente sind sehr gut belegt und wiegen die potenziellen Nebenwirkungen auf“, sagt der Psychiater weiter. Auch sein Forschungspartner von der Medizinischen Universität in Innsbruck und Co-Autor der Studie, Prof. Wolfgang Fleischhacker, pflichtet ihm bei: „Nach genauer Prüfung der Fakten kommt die internationale Expertengruppe zur Ansicht, dass für die meisten Patienten der Nutzen der Verschreibung von Antipsychotika das Risiko überwiegt.“ Allein in Deutschland nehmen geschätzt 400.000 Patienten mit Psychosen Neuroleptika ein. Zu den Psychosen zählt beispielsweise die Schizophrenie. Diese Erkrankungen sind geprägt von Denk- und Wahrnehmungsstörungen. Unbehandelt können Psychosen zu „einen großen psychosozialen Schaden führen“, wie Falkai es ausdrückt. So haben Patienten häufig krankheitsbedingt Schwierigkeiten, Arbeit zu finden und langfristig soziale Beziehungen zu halten. Ärzte verordnen Neuroleptika auch gegen Schlafstörungen oder Unruhezuständen bei Demenzerkrankungen und bei schweren Depressionen gegen Wahnsymptome. In den vergangenen Jahren tauchten in der medizinischen Fachliteratur allerdings Hinweise auf, dass Neuroleptika zu Gehirnveränderungen wie einer Volumenminderung führen können. Dafür gibt es auch „eine gewisse Evidenz“, betont Falkai.
Das Gehirnvolumen unter Neuroleptika schrumpft im Mittel um ein bis zwei Prozent. Dieser auch in den Medien diskutierte Befund hat viele Patienten verunsichert. „Überoptimistische Berichte über positive Krankheitsverläufe ohne Medikamente beruhen primär auf einigen wenigen wissenschaftlich mangelhaften Studien“, ergänzt Prof. Fleischhacker, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik an der Medizinischen Universität Innsbruck. Zwei Drittel dieser Veränderungen seien aber eher auf die Krankheit und den Lebensstil (zum Beispiel Rauchen, Alkoholgenuss) an sich zurückzuführen. Bei einer psychischen Erkrankung, erklärt der Psychiater, „ist außerdem die Informationsverarbeitung im Gehirn häufig beeinträchtigt.“ Das führt zu einer „funktionellen Atrophie“, die in einer Hirnvolumenreduktion mündet. „Übrigens sind Fluktuationen im Hirnvolumen gar nicht so ungewöhnlich“, sagt Falkai – zum Beispiel in längeren Stressphasen oder durch Schlaflosigkeit.
Dem Experten zufolge profitieren die meisten Patienten mit einer akuten Psychose von der Behandlung mit Neuroleptika, „da diese Menschen so die Möglichkeit haben, ihr Leben erfolgreicher zu bewältigen.“ Nach einer sorgfältigen Diagnose sollten Ärzte ihre Patienten über diese Medikamente aufklären und sie in der kleinstnötigen Dosis verschreiben. Nach Erstauftreten einer Psychose dauert die Behandlung zunächst ein Jahr. Kehrt die Erkrankung regelmäßig wieder, sei gegebenenfalls eine jahrelange Therapie mit Neuroleptika nötig, „wozu es leider im Augenblick keine Alternative gibt.“ Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität München. Quelle: The Long-Term Effects of Antipsychotic Medication on Clinical Course in Schizophrenia Donald C., Goff et al.; American Journal of Psychiatry, doi: 10.1176/appi.ajp.2017.16091016; 2016