Für Tausende von Dialyse-Patienten kommt die Nachricht wie ein Schock: Die Strahlenbelastung durch CT- oder Röntgenaufnahmen soll das Krebsrisiko erhöhen.
Zwischen den Meldungen der letzten Wochen ging die Publikation im Fachblatt Journal of the American Society Nephrology (JASN) etwas unter. Und doch: Die Lektüre lohnt auch im Nachhinein. Denn glaubt man den akribisch zusammengetragenen Fakten, weisen Dialysepatienten eine bis zu 1,5 Mal höhere Krebsrate auf, als Menschen ohne entsprechende Therapie. Die signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, während einer Dialyse an Krebs zu erkranken, hat den Medizinern zufolge einen einfachen Grund: Viele müssen sich im Lauf der Jahre immer wieder Röntgenuntersuchungen unterziehen. Dennoch scheint die Weitsicht unter Radiologen im Klinikalltag nicht gegeben, wie das italienische Ärzteteams um Marco Brambilla vom Universitätskrankenhaus “Maggiore della Carità” in Novara nun feststellt.
Drei Jahre lang beobachteten die Wissenschaftler eine repräsentativ gewählte Gruppe von 106 Dialysepatienten, und berechneten die Strahlenbelastung der Probanden anhand von Krankenhaus-Datensätzen. Resümee der Studie: Insgesamt kam die Computertomographie 248 Mal zum Einsatz, meist suchten Radiologen nach Ursachen von neurologischen, hämorrhagischen oder respiratorischen Komplikationen. 1300 radiologische Untersuchten erfolgten im Beobachtungszeitraum insgesamt, statistisch betrachtet ließ sich jeder Dialysepatient 4,3 Mal röntgen.
Rund 76 Prozent der aufgenommenen Strahlenmenge stammte aus Untersuchungen mit Hilfe der Computertomographie (CT), während konventionelle Röntgenaufnahmen mit 19 Prozent zur Gesamtbelastung beitrugen. Nur 22 der 106 Studienteilnehmer waren Dosen von weniger als 3 Millisievert ausgesetzt worden, für über ein Drittel aller Beteiligten lag die Gesamtbelastung mit weit über 50 Millisievert eindeutig zu hoch. 16 Prozent der Gesamtgruppe hatte mit 100 Millisievert pro Jahr sogar Strahlendosen abbekommen, die mit einer erheblichen Zunahme des Risikos für Krebstodesfälle assoziiert wird. Denn die Mediziner bewerteten die kumulierten Strahlendosen und berufen sich auf statistische Erfahrungen mit Überlebenden der Atombombenexplosion von Hiroshima. Dort zeigte sich, dass kumulierte Strahlendosen von 100 Millisievert pro Jahr ein enormes Risiko bergen.
Die Mediziner David Pickens und Martin Sandler von der amerikanischen Vanderbilt School of Medicine sehen das Problem in der zu schnellen Anwendung von Röntgenstrahlen bei Dialysepatienten. "Bestimmte Verfahren kommen zu oft zum Einsatz, weil eine große Menge an Informationen innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung stehen“, kritisieren sie in einem Begleitartikel des Journals die Problematik mit CT & Co.
Für die 1966 gegründete American Society of Nephrology (ASN) sind die italienischen Befunde ein wichtiges Indiz für die Umstellung des real existierenden Röntgenbetriebs im Klinikalltag – aber auch ohne Röntgenstrahlung scheinen Nierenkranke besonders stark krebsexponiert. Denn laut Co-Autorin Andreana de Mauri lösen bisher unverstandene Mechanismen höhere Krebsraten aus. So führt eine Nierentransplantation zu einer fünffach höheren Wahrscheinlichkeit vom Krebs – warum das aber so ist, vermag bis heute niemand zu erklären. Zu viel Röntgenstrahlung, so die Befürchtung der Studienautoren, verstärkt womöglich diesen Trend.
Bundesamt für Strahlenschutz warnt vor unbedachten CT-Einsätzen
Mit ihrer Kritik an den vorschnellen Einsatz der belastenden Verfahren stehen die Italiener nicht allein. Hierzulande monierte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) im Juli 2010, dass „in Deutschland im internationalen Vergleich zu viel geröntgt“ werde, und: „Gerade dosisintensive Untersuchungen wie die Computertomographie haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Ziel ist es, die Belastung auf das notwendige Minimum zu reduzieren“.
Tatsächlich hat das BfS bereits im August 2003 sogenannte diagnostische Referenzwerte (DRW) eingeführt, die im Sommer vergangenen Jahres aktualisiert wurden. So liegt der neue diagnostische Referenzwert für eine Röntgenaufnahme des Beckens um 40 Prozent niedriger als der alte Wert. Der Clou: Das Strahlenrisiko aus der Röntgenuntersuchung verringert sich um den gleichen Prozentsatz. Damit zeige sich „der erhoffte Trend in Richtung einer Reduzierung der Strahlenbelastung bei der einzelnen Untersuchung“. Neu war auch die Einführung von Referenzwerten für vier Computertomographie-Untersuchungsarten an Kindern.
Als besonders alarmierend betrachtet das Team um Brambilla hingegen bei Dialysepatienten vor allem einen Aspekt: Gerade junge Menschen, die auf ein Transplantat warten, sind der Röntgenstrahlen besonders stark ausgesetzt. Kumulierte Strahlendosen von 60 Millisievert und mehr in den einzelnen Organen scheinen dabei die normale Folge der Röntgen-Untersuchungen zu sein. Zum Vergleich: Die effektive Dosis infolge medizinischer Anwendungen beträgt bei Nicht-Dialysepatienten im Druchschnitt 1,9 mSv - pro Jahr.