Die Angst vor einer atomaren Katastrophe in Japan wächst, und zahlreiche Kollegen erinnern sich mit Schrecken an die Bilder des Reaktorunglücks von Tschernobyl. Vor allem bei akuten Ganzkörperbestrahlungen bestimmt die Dosis, wie schwerwiegend gesundheitliche Folgen sein werden.
Strahlung ist nicht gleich Strahlung: Verschiedene Arten der verhängnisvollen Partikel oder Wellen haben ganz unterschiedliche Effekte. Alphastrahlung etwa besteht aus geladenen Heliumkernen, und Beta-Strahlung ist aus Elektronen aufgebaut. Beide Spezies haben in Luft keine große Reichweite – bereits Mauern oder dünne Metallfolien schirmen wirkungsvoll ab. Gelangen Alpha- oder Beta-Strahler allerdings über Nahrung oder Trinkwasser in den Körper, hat das verheerende Folgen für die Zellen, die quasi von innen heraus unter Beschuss genommen werden.
Energiereiche Gamma-Strahlung, wie sie aus Cäsium-137, einem Spaltprodukt im Atomreaktor, freigesetzt wird, lässt sich so leicht nicht stoppen. Sie durchstrahlt alle Strukturelemente des Körpers mehr oder minder stark. Das gilt auch für Neutronen, ungeladene Partikel, die im Kraftwerk für den Zerfall der Urankerne und damit für die Freisetzung von Energie sorgen. Beim seltenen Zusammenstoß mit Atomkernen des menschlichen Körpers entstehen weitere beschleunigte Teilchen, die große Schäden verursachen können. Zum Vergleich: Röntgenstrahlung, relativ energiearm, sprich „weich“, wird bereits von Knochen stark abgeschirmt. Dementsprechend erscheinen Strukturen hoher Dichte im Röntgenbild als Schatten.
Molekulares Massaker
Vor allem Menschen, die sich in der Nähe eines havarierten Kernkraftwerks befinden, bekommen in kurzer Zeit hohe Dosen ab: durch Strahlung aus der Anlage selbst sowie durch hohe Konzentrationen an gasförmigen Spaltprodukten. Im weiteren Umfeld macht sich der Fallout bemerkbar. Niederschläge waschen radioaktive Stoffe aus der Luft, und über die Nahrungskette bzw. das Trinkwasser gelangen Nuklide in den Körper.
Auf molekularer Ebene schädigen die hochenergetischen Teilchen das menschliche Erbgut. Bei geringen Strahlendosen gelingt es körpereigenen Enzymen zwar, den Schaden durch Reparaturprozesse schnell zu beheben. Reißen alle Stricke, zerstört der programmierte Zelltod, die Apoptose, was noch übrig geblieben ist. In gewissem Rahmen kann der Körper dies verschmerzen, bei hohem Verlust aber kommt es zum Ausfall wichtiger Funktionen und Symptome der Strahlenkrankheit treten auf. Von den Folgen werden nicht alle Strukturen gleichermaßen in Mitleidenschaft gezogen. Gewebe, die der Körper selbst relativ rasch austauscht, trifft es besonders arg, indem dessen Reservoir an Vorläuferzellen zu Grunde geht. Die ausgereiften Zellen selbst sterben oftmals nicht direkt ab, können aber nicht mehr erneuert werden. Besonders empfindlich ist dabei die Schleimhaut im Magen-Darm-Trakt. Und das Knochenmark verringert die Bildung von Vorläufern entsprechender Blutzellen. Auf der Haut entstehen zudem Geschwüre bzw. verbrennungsartige Symptome, auch hier versagt das körpereigene Ersatzteillager. Sievert: das Maß aller Dinge
Nach einem Strahlenunfall zeigen sich Frühschäden innerhalb von wenigen Stunden in Form unspezifischer Symptome, gefolgt von einer relativ beschwerdefreien Latenzphase. Schließlich entwickelt sich das volle Krankheitsbild, indem immer mehr Zellen zu Grunde gehen. Je nach Dosis erholen sich Strahlenopfer dann langsam – oder versterben. Letztlich bestimmt die vom Körper aufgenommene Strahlungsenergie die Stärke der Schäden und damit auch die Überlebensrate. Als Einheit ist das Gray (Gy) geläufig. Die von einem Organ absorbierte Energie wird auch als "Organenergiedosis" bezeichnet. Um die Strahlenwirkung auf den Körper abzuschätzen, reicht die alleinige Angabe der Energiedosis allerdings nicht aus. Der Grund dafür ist, dass die verschiedenen Strahlungsarten (Alpha-, Beta-, Gamma-Strahlen) bei gleicher Energiemenge im Gewebe unterschiedliche biologische Wirkungen entfalten. Die biologische Wirksamkeit der Strahlung wird deshalb durch so genannte Wichtungsfaktoren erfasst. Das Produkt aus Organenergiedosis und dem Wichtungsfaktor heißt dann "Organdosis". Ihre Maßeinheit ist das Sievert (Sv).
Bei Belastungen zwischen einem und sechs Sievert stehen neben Übelkeit oder Erbrechen Schäden des blutbildenden Systems im Mittelpunkt. Radioaktivität zerstört bei dieser hämatopoetischen Form der Strahlenkrankheit diverse Vorläuferzellen im Knochenmark – das Infektionsrisiko steigt rapide an und unspezifische Blutungen treten auf. Ohne adäquate Therapie versterben etliche Patienten, die Mortalität steigt bis auf 60 Prozent bei Werten um sechs Sievert. Bereits ab etwa drei Sievert zeigt die Haut erste Schäden, die auf den ersten Blick Verbrennungen ähneln. Erhöht sich die Belastung weiter, sprich betragen die Strahlendosen fünf bis 20 Sievert, gehen Zellen des Magens und des Darms zu Grunde. Diese gastrointestinale Form der Strahlenkrankheit ist mit starken Blutungen und dem massiven Verlust von Elektrolyten verbunden. Ein Teil erholt sich zwar subjektiv. Nach dieser sprichwörtlichen Walking-Ghost-Phase tritt aber unweigerlich der Tod ein. Ohne intensivmedizinische Maßnahmen liegt die Mortalität bei nahezu 100 Prozent. Über 20 Sievert hinaus beobachten Fachärzte Schäden am zentralen Nervensystem, und das Herz wird in Mitleidenschaft gezogen – eine realistische Überlebenschance für die Patienten besteht nicht mehr. Schwache Dosis – langsame Wirkung
Dass auch relativ geringe Strahlendosen unter 0,5 Sievert Krebsraten erhöhen, mag zunächst erstaunen. Akute Symptome finden Kollegen bei dieser Gruppe von Strahlenopfern meist nicht. Dennoch laufen zelluläre Prozesse auf Hochtouren. Versagen dabei Apoptose oder Reparatur, wird es kritisch. Über viele Jahre hinweg können dann entsprechend vorgeschädigte Zellen in den Prozess der Krebsentstehung eintreten, und schlussendlich teilt sich eine Zelle unkontrolliert. In Hiroshima und Nagasaki etwa konnten Epidemiologen auch bei relativ weit vom Abwurfort entfernten Menschen weitaus mehr Todesfälle durch Leukämie bzw. durch solide Tumoren nachweisen. Allerdings zeigen sich Auswirkungen des veränderten Erbguts möglicherweise erst bei späteren Generationen.
Im Falle eines Falles
Bei strahlenmedizinischen Notfällen ist umsichtiges Handeln wichtig, um nicht sich und andere Kollegen zu gefährden: Notfallteams klären zuerst mittels Messgeräten, ob sich am Patienten selbst noch radioaktive Stoffe nachweisen lassen. Falls ja, sind Maßnahmen der Dekontamination wie die Entfernung der Kleidung sowie das gründliche Abduschen unerlässlich. Als medizinische Sofortmaßnahme werden fehlende Elektrolyte ergänzt, und zur Infektionsprophylaxe sind Antibiotika sinnvoll. Anschließend untersuchen Hämatologen, wie weit die Schädigung des Blut bildenden Systems vorangeschritten ist. In schlimmeren Fällen ist die Gabe von Stammzellen erforderlich, zur Akutversorgung helfen Bluttransfusionen.
Inkorporationen, also vom Körper aufgenommene Strahler, erweisen sich selten als derart stark, dass sie zu akuten Strahlenschäden führen. Allerdings reichern sich bestimmte Nuklide organspezifisch an, und es kann zu Langzeitfolgen kommen.
Lesen Sie morgen den zweiten Teil der Serie zum Thema "Isotope".