Schwere Strahlenschäden kann die moderne Medizin nicht reparieren, sondern allenfalls Ihre Auswirkungen lindern. Das wichtigste Element der medizinischen Versorgung ist die konsequente Dekontamination. Zusätzlich bieten sich Maßnahmen an, die dafür sorgen, dass ein geringerer Teil der aufgenommenen Radioaktivität in den Stoffwechsel gelangt.
Nicht jeder, der einer leicht erhöhten radioaktiven Strahlung ausgesetzt ist, muss gleich unmittelbare oder lebenslange Folgen befürchten. Entsprechend den europäischen Richtlinien gelten 1 mSv (milliSievert) pro Jahr auch bei Kleinkindern oder Schwangern als akzeptables Risiko, bei Volljährigen ohne besondere Gefährdung (wie etwa einer Schwangerschaft) sind auch 20 mSv noch akzeptabel. Mitglieder von Rettungsdiensten dürfen sich sogar einmal in ihrem Leben im Katastrophenfall 250 mSv aussetzen.
Prävention: Abstand, Abschirmung, Expositionszeit
Ein einfacher, aber effektiver Schutz gegen Verstrahlung ist die physische Abgrenzung von der Strahlenquelle durch Kleidung oder spezielle Schutzanzüge. Kleidung, die nach dem Tragen auf Radioaktivität überprüft und im Zweifelsfall (sicher) entsorgt werden kann, schützt in 90 Prozent aller Fälle vor einer Kontamination mit Alpha-Strahlen. Atemschutzmasken schaffen eine zusätzliche Barriere gegenüber der Inkorporation radioaktiver Substanzen durch Einatmung. Am sichersten sind Vollmasken, als zweitbeste Lösung kommen Feinstaubmasken (FFP-3-Masken) in Betracht. Ein einfacher Mundschutz ist unwirksam. Eine zusätzliche Sicherheit gegenüber Gammastrahlung kann nur durch abgeschirmte Schutzanzüge erreicht werden, die aber entsprechend schwer und unhandlich sind. Wer sich im Haus - und dort vor allem im Keller - aufhält, den trifft nur etwa ein Fünftel bis ein Zehntel der Dosis im Freien. Schutzräume mit Beton- und Bleiabschirmung, die auch die energiereiche Gammastrahlung blockieren, sind im Katastrophenfall noch einmal um den Faktor zehn sicherer.
Die o.a. Maßnahmen sind nur erfolgsversprechend, wenn der Betroffene anschließend das von der Verstrahlung erfasste Gebiet verlassen kann. Bei einem längeren Aufenthalt ist eine Kontamination im Alltagsleben kaum zu vermeiden. Nach der Katastrophe von Tschernobyl empfahl die WHO bei einer Langzeitbelastung von mehr als 350 mSv eine Evakuierung des betroffenen Gebiets. Der Umzug ist somit auch eine der Säulen einer Prävention von Strahlenschäden. Denn mit zunehmendem Abstand zur Strahlen- bzw. Kontaminationsquelle verringert sich die Gefahr signifikant.
Ein entscheidender Faktor für die Folgen der Verstrahlung ist die Expositionszeit. So entsteht die typische Strahlenkrankheit viel häufiger bei einer einmaligen längeren Bestrahlung mit einer hohen Dosis als bei mehrmaligen Verstrahlungen mit geringeren Dosen in größeren Zeitintervallen. Dennoch: Ab 6-10 Gray (Gy) sind die Chancen auf ein Überleben nur mehr gering. Ab einer Bestrahlung von etwa 1 Gy treten die ersten Symptome der Strahlenkrankheit auf.
Körper und Haare waschen, Kleidung entsorgen
Sofortmassnahmen richten sich in erster Linien nach der Art der Bestrahlung. Bei einer Exposition ohne Aufnahme der Strahlenquelle, z.B. durch starke Gamastrahlung, kann die medizinische Versorgung im Allgemeinen nur die Symptome lindern, während die Hilfe bei einer Kontamination vor allem auf die Beseitigung der Gefahr im oder auf dem Körper zielt. Von der Hautoberfläche lassen sich radioaktive Verbindungen durch intensives Waschen meist gut entfernen. Das bedeutet in der klinischen Praxis: Behandlung von traumatischen Verletzungen und Dekontamination, bis der Geigerzähler nur mehr maximal den dreifachen Hintergrund-Wert anzeigt. Breitbandantibiotika unterstützen das schwächelnde Immunsystem im Kampf gegen bakterielle Infektionen. Infusionen können helfen, die Dehydratation des Körpers auszugleichen.
Ein wichtiger Teil der Erstversorgung von Patienten mit Strahlenschäden ist die kontinuierliche Überwachung des Blutbilds, besonders während der ersten Stunden. Mehrere Lymphozyten-Messungen im Zeitraum von acht bis zwölf Stunden geben wichtige Hinweise auf die effektive Dosis der Bestrahlung. Eine Chromosomen-Analyse kann das unmittelbare Ausmaß der Strahlenschäden ebenso bestätigen.
Berliner Blau gegen heißes Cäsium
Besonders bei Atom-Unfällen tritt häufig radioaktives Iod aus, das die Schilddrüse in ihren Stoffwechsel einbaut. Um das unerwünschte 131-Iod gar nicht erst an seine Bindungsstellen heranzulassen, dient nicht strahlendes 127-Iod, meist in Form von Tabletten oder einer Iodlösung. Aber Achtung: In starkem Übermass ist Iod toxisch, zum falschen Zeitpunkt gegeben wirkungslos. Nur unmittelbar vor und nach der Exposition hat die Einnahme Sinn. Schon mehrere Stunden danach ist der Effekt deutlich geringer. Wer ohne Not große Mengen Iodtabletten einnimmt, riskiert zudem auch Nebenwirkungen: Bei Einnahme großer Mengen von Iodid - jenseits des WHO-Tagesbedarfs von 200 Mikrogramm - werden die Iodidaufnahme, sowie die Synthese und Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen gehemmt.
Berliner Blau - eigentlich ein Farbpigment - bindet an Cäsium und Thallium und wird als Komplex vom Körper schnell ausgeschieden, eine Eigenschaft, die Ärzten vor allem bei Behandlung von Tschernobyl-Opfern half. Diethylen-triamin-pentaessigsäure (DTPA) ist ein Chelatbildner, der mit Elementen wie Plutonium oder Americium reagiert und die Ausscheidung beschleunigt. Auch Ammoniumchlorid sorgt für den schnellen Weg aus dem Körper heraus.
Trotz erheblicher Nebenwirkungen haben sich auch Radikalfänger wie Amifostin bei der Behandlung von Strahlenopfern bewährt. Bei allen diesen Wirkstoffen muss vor der Behandlung eine sorgfältige Risikoabschätzung stehen. Aufgrund ihrer Nebenwirkungen und toxischer Eigenschaften in höheren Dosen sind die meisten Substanzen oft nur zum „off-label“ Gebrauch zugelassen und sollten nur dann eingesetzt werden, wenn die Kontamination das Limit der jährlichen Strahlendosis von rund 50 mSv weit übersteigt. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat bisher den Einsatz von Kaliumiodid, Berliner Blau, DPTA und Amifostin zugelassen.
Bei starker Verstrahlung ist im Allgemeinen das Knochenmark schwer geschädigt. Neben Transfusionen gegen eine Anämie dienen zugeführte Wachstumsfaktoren dazu, die Regeneration von Leukozyten zu beschleunigen. G-CSF (Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor) bei Lenograstim oder Filgrastim beschleunigt die Vermehrung der wichtigen Zellen des Immunsystems. Nach dem Tschernobyl-Reaktorunglück versuchten daher Ärzte, erkrankten Personen mit einer Stammzell-Transplantation zu helfen. Den sehr mäßigen Erfolg dieser Strategie dokumentiert ein Artikel im New England Journal aus dem Jahr 1989. Von dreizehn Transplantat-Empfängern überlebten nur drei die nächsten drei Jahre. Alle diese Patienten nahmen eine Strahlendosis von 5,6 bis 13,4 Gray auf. Etwa die Hälfte der erfolglos Transplantierten starb an einer schweren Graft-versus-Host-Reaktion.
Klinikpersonal: Bei Umsicht geringes Risiko
Dagegen waren die Folgen für das medizinische Personal vor 25 Jahren eher harmlos. Nach der Dekontamination selbst stark betroffener Arbeiter setzen sich Ärzte und Pfleger einer Dosis aus, die nicht über 10 mGy hinausging. Dennoch gehören Schutzkleidung und Dosimeter zur Ausrüstung bei der Behandlung verstrahlter Patienten.
Auch bei größeren Strahlendosen beginnt eine ernsthafte Erkrankung oft erst Tage und Wochen nach einer vorläufigen Erholung. Eine kontinuierliche Überwachung des Blutbilds auch in der Phase der Rekonvaleszenz vermindert daher das Risiko. Oft viel schwerer zu behandeln ist das psychische Trauma, das verstrahlte Patienten belastet. Ein Strahlenunfall führt zu Alpträumen, Schlaflosigkeit und der ständigen Angst vor der drohenden Krebserkrankung viele Jahre danach. Psychotherapeuten spielen deshalb bei der Behandlung von Opfern der Strahlenkrankheit eine wichtige Rolle.