Großstädter sind täglich Feinstaub, Abgasen und Lärm ausgesetzt. Damit erhöht sich ihr Risiko für zahlreiche Krankheiten. Doch diejenigen, die auf dem Land wohnen, leben nicht unbedingt gesünder. Ein Stadt-Land-Vergleich aus medizinischer Sicht.
Luftverschmutzung beeinträchtigt unsere kognitiven Fähigkeiten, so das Ergebnis einer Studie von September 2018, die quer durch die Medien wandert. Das Hirn soll angeblich durch die Belastung geschädigt werden bzw. schrumpfen. Und nicht nur das: Menschen, die in Städten mit hohem Feinstaub- und Stickoxid-Gehalt in der Luft leben und Straßenlärm ausgesetzt sind, haben auch für viele andere Krankheiten ein erhöhtes Risiko. Dazu zählen Lungen- und Atemwegserkrankungen, Asthma und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Aus gesundheitlicher Sicht liegt für Städter die Überlegung nahe, aufs Land zu ziehen. Ist die Welt denn dort in Ordnung? Um einen Vergleich zu ermöglichen, muss erst einmal geklärt werden, welche Teile der Luft schädlich sind bzw. sein können. „3,3 Millionen Menschen sterben jedes Jahr vorzeitig aufgrund der Luftverschmutzung. Das ist eine Riesenzahl“, sagt Johannes Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. Er hatte zusammen mit seinen Kollegen aus Deutschland, den USA, Zypern und Saudi-Arabien 2015 erstmals untersucht, wie sich Luftverschmutzung aus unterschiedlichen Emissionsquellen auf die Sterberaten auswirkt. In Deutschland sterben jährlich, so die Autoren, etwa 35.000 Menschen an den Folgen der Feinstaub- und Ozonbelastung. Etwa 70 % der Todesfälle ließen sich auf einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zurückführen und 30 % auf Atemwegserkrankungen und Lungenkrebs. Ursachen von Lungenkrebs sowie Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind eher Feinstaubpartikel als Ozon. Denn die kleinen Partikel gelangen mit der Atemluft tief in die Lunge und womöglich sogar in die Blutgefäße. Nach Angaben des Max-Planck-Instituts für Chemie existieren sogar Hinweise, dass sie dort an der Bildung von Plaques beteiligt sind und dadurch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen. Ozon dagegen soll eher Lungenkrankheiten mit chronischem Husten und Atemnot hervorrufen können.
„Eine Zigarette produziert einen Feinstaub in einer Menge wie ein Dieselmotor innerhalb von eineinhalb Stunden. Das heißt, Nichtrauchen in Innenräumen ist die wichtigste Maßnahme, die Feinstaubbelastung zu senken. Im Außenbereich haben wir andere Quellen. Hier treten in den Vordergrund: Verkehr, Industrie und Gebäudeheizung,“ erklärt Professor Kohlhäufl, Chefarzt der Abteilung für Pneumologie an der Klinik Schillerhöhe, in einem Video. https://www.youtube.com/watch?v=U5zniIkAO4U In diesem Zusammenhang ist oft von Smog die Rede. Das Wort setzt sich aus den englischen Wörtern smoke und fog zusammen. Damit sind Emissionen gemeint, die z.B. durch Rauch und Abgase von Autos oder Industrieanlagen in die Luft gelangen und eine Schicht bilden, die wie ein rauchiger Nebel über der Stadt „hängt“. Während in Indien und China die häuslichen Kleinfeuer den größten Teil des Smogs verursachen, seien in Europa und im Osten der USA überraschenderweise die Landwirtschaft Schuld an der schlechten Luft. Der Ammoniak, der durch die übermäßige Verwendung von Düngemitteln und die Massentierhaltung in die Atmosphäre gelange, würde sich, so die Autoren um Lelieveld, über verschiedene Reaktionen in Ammoniumsulfat und Nitrat umwandeln. Diese beiden Stoffe würden jedoch maßgeblich zur Bildung von Feinstaubpartikeln beitragen.
Weltweit soll ein Fünftel aller Todesfälle durch Luftverschmutzung auf das Konto der Landwirtschaft gehen. In manchen Ländern, wie z. B. Deutschland, soll der Anteil sogar mehr als 40 % betragen. Fossile Kraftwerke, Industrie, die Verbrennung von Biomasse und der Straßenverkehr sollen zusammen etwa 30 % der Todesfälle verursachen. Dass es in Deutschland mehr Smog-Tote als in den anderen europäischen Ländern gibt, liegt laut Lelieveld an der zentralen Lage des Landes in Europa. „Die Deutschen müssen auch die verschmutzte Luft aus anderen Ländern einatmen“, bekräftigt er. Aber Deutschland produziert mit seiner Industrie, der intensiven Landwirtschaft und dem hohen Verkehrsaufkommen auch selbst einen Großteil der Emissionen. Etwa ein Jahr nach der Publikation der Studie von Lelieveld erschien in der Fachzeitschrift Nature eine Studie deutscher und amerikanischer Wissenschaftler [1 [Paywall], 2], die sich mit den chemischen Effekten von Luftschadstoffen auf die menschliche Gesundheit befasste. Neben einigen anderen Erkenntnissen zeigte sich, dass Kupfer- und Eisen-Ionen zu den gefährlichsten Feinstaub-Komponenten gehören. Diese Ionen stammen zum Großteil aus Verkehrsemissionen wie Brems- und Reifenabrieb. Herausgefunden hatten die Wissenschaftler dies mithilfe von Modellrechnungen, die mit toxikologischen Untersuchungen übereinstimmen.
Für Feinstaub und Ozon hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Luftgüteleitwerte definiert, wobei diese Grenzen strenger sind als die der Europäischen Union. Jenseits dieser Grenzen sollen laut WHO die Gesundheitsrisiken deutlich ansteigen. In den Ballungsräumen mit mehr als 250.000 Einwohnern überschreiten die durchschnittlichen Feinstaub-, aber auch Ozon-Konzentrationen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation deutlich. Für Feinstaub lag die mittlere Konzentration etwa 20 % über den Empfehlungen – und das, obwohl sich die Belastung in den letzten 15 Jahren verbessert hat. Spitzenreiter ist Stuttgart. In keinem anderen Ort wurde 2017 die Feinstaub-Tagesmittelwerte von 50 µg/m3 öfters überschritten. Platz zwei bis zehn belegen kleinere Städte wie Reutlingen, Esslingen, Ludwigsburg, Markgröningen (alle Nähe Stuttgart), Hagen, Zittau (Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechen) sowie Großstädte wie Gelsenkirchen, Berlin und Essen. Im Schwarzwald dagegen wurden die Feinstaubwerte kein einziges mal überschritten.
Auch erhöhte Stickstoffdioxid-Konzentrationen in der Luft sollen laut einer Studie des Umweltbundesamtes Krankheiten wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Schlaganfall, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Asthma auslösen können. Ursache von 8 % der bestehenden Diabetes- und 14 % der Asthma-Erkrankungen soll dabei das Stickstoffdioxid in der Außenluft sein. Ähnlich wie bei der Feinstaub-Belastung sinkt der Stickstoffdioxid-Gehalt in der Luft zwar seit einigen Jahren leicht, liegen jedoch immer noch in Ballungsräumen mit mehr als 250.000 Einwohnern etwa 10 % über den Empfehlungen der WHO. „Eine bedeutende Ursache für schädliche Stickoxide in der Atemluft sind eindeutig Diesel-Pkw – auch außerhalb der hochbelasteten Straßen“, so Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes. https://www.youtube.com/watch?v=eBcGXA9DJLs
Wie eine Studie des Robert-Koch-Instituts ergab, erkranken Großstädter am häufigsten an Asthma und Allergien – egal, ob es sich hier um Heuschnupfen, Nahrungsmittelallergien oder Neurodermitis handelt. So leiden
der dort lebenden Menschen an Asthma und Allergien. Häufigkeit allergischer Erkrankungen in Deutschland und Einflussfaktoren © rki Ein besonders hohes Risiko für Allergien haben dabei Erwachsene aus den alten Bundesländern und Berlin, Frauen mit großurbanem Wohnumfeld und Erwachsene mit einem hohen sozioökonomischen Status.
Doch nicht nur die Luft, auch die soziale Dichte und das Gefühl der Einsamkeit machen Stadtbewohnern zu schaffen, über die negativen Auswirkungen der Einsamkeit berichtete DocCheck bereits. Laut dem Berliner Mazda Adli [Paywall] kann sich dieser Mix zu krank machendem sozialen Stress summieren. Menschen, die in einer Großstadt leben, leiden daher auch häufiger unter Stressfolgeerkrankungen wie Depressionen als „Dörfler“. https://www.youtube.com/watch?v=qh7KayNnMLk Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch das Robert-Koch-Institut in Berlin. Mit der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ hat das Institut von 2008 bis 2011 etwa 8.000 in Deutschland lebende Erwachsene befragt und untersucht. Unter anderem stellte sich heraus, dass Personen, die in Großstädten (≥ 100.000 Einwohner) leben, am häufigsten unter einer depressiven Symptomatik leiden (9,4 %). Leute, die in einer Stadt mittlerer Größe (20.000 ≤ 100.000 Einwohner) leben, und Landbewohner (≤ 5.000 Einwohner) wiesen dagegen eine Prävalenz von 9,1 % bzw. 7,4 % auf. Am wenigsten von einer depressiven Symptomatik betroffen waren jedoch Menschen aus der Kleinstadt (5.000 ≤ 20.000 Einwohner) mit einer Prävalenz von 5,8 %. Ähnlich sah es auch mit der Diagnose „Depression“ aus. An der krankhaften psychischen Störung litten laut dem Robert-Koch-Institut besonders häufig Großstädter (Lebenszeitprävalenz: 13,7 %), gefolgt von Menschen aus einer Stadt mittlerer Größe (Lebenszeitprävalenz: 11,4 %) und Landbewohnern (Lebenszeitprävalenz: 10,5 %). Am niedrigsten war die Lebenszeitprävalenz bei Einwohnern von Kleinstädten (9,9 %). Allerdings ist sich die Forschung in dieser Frage nicht einig: Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2014 kam etwa zu dem Ergebnis, dass die Prävalenz von psychischen Störungen in den meisten städtischen Gebieten aber nicht höher als in ländlichsten Gebieten ist.
Der Frage ob das Leben in Städten das Gehirn verändern sind die Forscher des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim bereits 2011 [Paywall] nachgegangen. Laut der Wissenschaftler wirkt sich das Großstadtleben nachhaltig auf das Gehirn aus. So ist der Mandelkern, die Amygdala, von Menschen, die in der Stadt wohnen, aktiver als die von Landbewohnern. Diese Gehirnregion ist an der Entstehung von Depressionen und der Verarbeitung von Angst beteiligt.
Doch man muss nicht gleich auf das Land ziehen, um sein Risiko für psychische Erkrankungen zu senken – mehr „Grün“ in der Umgebung genügt schon. Wissenschaftler der University of Exeter analysierten Daten von über 1.000 Teilnehmern der British Household Panel Survey. Dabei fanden sie heraus, dass sich bei Städtern, die von einem dicht bebauten in ein grüneres Viertel gezogen waren, sofort nach dem Umzug als auch drei Jahre später die psychische Gesundheit verbesserte. Auch das Team um Simone Kühn vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat untersucht, wie sich wohnortnahe Natur auf die Hirngesundheit von Großstädtern auswirkt. Dabei fanden die Forscher bei denjenigen Stadtbewohnern, die nahe am Wald wohnten, vermehrt Hinweise auf eine physiologisch gesunde Struktur der Amygdala. Kühn und Kollegen schließen daraus, dass diese Leute vermutlich besser mit Stress umgehen können. Keinen Zusammenhang fanden sie jedoch zwischen städtischen Grün- oder Wasserflächen sowie Brachland und den untersuchten Hirnregionen. Ob sich allerdings der Wald in der Nähe des Wohnorts tatsächlich positiv auf die Amygdala auswirkt oder ob einfach nur Menschen mit einer gesünderen Amygdala lieber in der Nähe eines Waldes wohnen, lässt sich aus den Daten nicht herauslesen. Die Wissenschaftler vermuten jedoch Ersteres.
Doch anders als man nun meinen könnte, lebt es sich auf dem Land keinesfalls gesünder als in der Stadt. Ein Beispiel ist die medizinische Versorgung. Sie ist in der Stadt deutlich besser als auf dem Land. Im Jahr 2016 beispielsweise hat die gesetzliche Krankenkasse Pronova-BKK die Studie „Gesundheitsversorgung 2016“ veröffentlicht. Laut Bericht benötigen Patienten aus kleinen Orten etwa 42 Minuten in die nächste Klinik, Stadtbewohner dagegen sind etwa 15 Minuten kürzer unterwegs. Ähnlich verhält es sich auch bei dem Weg in die nächstgelegene Facharztpraxis: Während Städter etwa 20 Minuten benötigen, müssen Menschen vom Land bereits zehn Minuten mehr einplanen. Vorschläge, den Ärztemangel im ländlichen Raum aufzuheben, gibt es einige. Bei Medi-Zimmer werden beispielsweise Patienten von Dorfschwestern betreut und telemedizinisch von Ärzten versorgt.
Wer in der Stadt wohnt, kann dennoch sein Risiko für Erkrankungen vermindern: Anfang des Jahres beispielsweise fanden britische Wissenschaftler heraus, dass gesunde Stadtbewohner und vor allem solche, die an einer COPD oder einer ischämischen Herzkrankheit leiden, vielbefahrene Straßen zum Spazieren gehen meiden sollten. Die positiven Effekte der körperlichen Aktivität würden sonst durch die negativen Auswirkungen der Luftverschmutzung aufgehoben. Für diese Erkenntnis hatten die Forscher zwischen Oktober 2012 und Juni 2014 40 gesunde Teilnehmer sowie 40 unter einer COPD und 39 unter einer ischämischen Herzkrankheit leidende Teilnehmer untersucht. Jene Personen, die zwei Stunden im Hyde Park Spazieren gegangen waren, zeigten alle eine verbesserte Lungenfunktion. COPD-Betroffene, die jedoch in der Nähe der Oxford Street Spazieren gegangen waren, klagten über vermehrten Husten mit Auswurf und Kurzatmigkeit. Einen ebenfalls negativen Effekt der Schadstoffbelastung fanden die Forscher bei gesunden Probanden, die in der Nähe der viel befahrenen Straße unterwegs gewesen waren. Bei den Teilnehmern mit einer ischämischen Herzkrankheit dagegen konnte, so die Vermutung der Autoren, die Medikation die negativen Auswirkungen der Luftverschmutzung reduzieren.
Was kann in den Städten getan werden? Thomas Pugh, vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Bereich Atmosphärische Umweltforschung (1, 2[Paywall]), empfiehlt eine stärkere Begrünung der Innenstädte. Denn Bäume, Büsche oder Kletterpflanzen könnten in den „Häuserschluchten“ die Luftverschmutzung um bis zu 30 % reduzieren. „Gerade dort ist die Belastung ja am höchsten. Diese Grünflächen könnten Straße für Straße angelegt werden, ohne große oder teure Initiativen“, schlägt er vor. Mit Gras, Efeu oder anderen Pflanzen begrünte Wände würden Stickstoffdioxid und Feinstaub-Partikel besser aus der Luft filtern als Pflanzen in Parks oder auf Dächern. Ähnlich gut würden nur Bäume an der Straßenseite die Luft filtern, allerdings nur in weniger belasteten Straßen, da andernfalls die Baumkronen die verschmutzte Luft am Boden hielten.
Ganz so eindeutig lässt sich die Frage, ob ein Leben in der Stadt oder auf dem Land gesünder ist, also nicht beantworten. Stadt ist eben nicht gleich Stadt – die physische Gesundheit von Großstädtern ist zwar tendenziell mehr gefährdet als die von Kleinstädtern. Wer aber eine Wohnung am Stadtrand Berlins hat, befahrene Straßen meidet und viel Zeit in Parks verbringt, lebt womöglich gesünder als jemand, der in einer kleinen Gemeinde direkt an der Hauptstraße wohnt und alle Wege mit dem Auto zurücklegt. Auch in Hinsicht auf die psychische Gesundheit lässt sich keine eindeutige Aussage treffen. Großtstadtlärm tut nicht gut, das Dorfleben aber auch nicht unbedingt. Beispielsweise wird aus Studienergebnissen ersichtlich, dass die Prävalenz allergischer Erkrankungen sowie depressiver Symptome bei Menschen, die auf dem Land leben, deutlich höher ist als bei Kleinstädtern.