Kausal wirksame Medikamente für eine Heilung der Alzheimer-Demenz sind nicht in Sicht. Eine Diagnose vor Auftreten der Demenz ist immerhin schon möglich. Die große Frage aber lautet: Was tun?
Bislang gibt es nur Medikamente, die den Krankheitsverlauf bei einer Alzheimer-Demenz bestenfalls verzögern. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich und auch nicht in Sicht. „Ich glaube nicht, dass wir das Rätsel in zehn Jahren gelöst haben“, sagt etwa Professor Dr. Harald Hampel von der Goethe-Universität in Frankfurt. Wie bei anderen chronischen Erkrankungen fokussiert sich die Hoffnung daher verstärkt auf die Prävention – durch nicht-medikamentöse Maßnahmen wie auch durch Medikamente. Gezieltes Vorbeugen setzt voraus, den Krankheitsprozess so früh wie möglich zu erkennen. Dank vieler Fortschritte in der Forschung ist eine frühe Diagnose heute möglich. Im Mittelpunkt stehen dabei Biomarker und bildgebende Verfahren. Doch nicht nur Hightech-Medizin spielt für die Frühdiagnose eine große Rolle.
Nach Angaben der Psychiater und Professoren Hermann-Josef Gertz von der Universität Leipzig und Alexander Kurz von der TU München kann die Alzheimer-Krankheit (AK) unterteilt werden in ein asymptomatisches Stadium und in zwei symptomatische Stadien – in das klinische Stadium der leichten kognitiven Beeinträchtigung (LKB oder auch „mild cognitive impairment“) sowie in das Stadium der Demenz.
Demenz-Diagnostik mit etwas Liquor, bunten Bildern und speziellen Tests
Etabliert ist die Diagnostik der Demenz (drittes Stadium). Sie beruht auf dem Nachweis von Störungen des Gedächtnisses plus mindestens einer weiteren kognitiven Störung, etwa einer Aphasie. Quantifizierende Aussagen über diese kognitiven Defizite ermöglichen neuropsychologische Tests gemäß CERAD („Consortium to Establish a Registry of Alzheimer’s Disease“). Begleitende Verhaltensstörungen sind zum Beispiel mit Hilfe des Neuropsychiatrischen Inventars (NPI) zu beurteilen. Charakteristischer Befund im MRT ist eine Atrophie des medialen Temporallappens, im Liquor eine erhöhte Gesamt-τ- bzw. Phospho-τ-Konzentration bei erniedrigter β-Amyloid-Konzentration und im PET zerebrale Stoffwechselstörungen sowie - mit Hilfe spezieller PET-Liganden - Ablagerungen von β-Amyloid in der Hirnrinde.
Auch ein erhöhtes Demenz-Risiko kann erkannt werden
Eine relativ sichere Frühdiagnose ist, wie die Psychiater in einer aktuellen Übersichtsarbeit berichten, heute allerdings auch schons im LKB-Stadium möglich, also noch bevor von einer Demenz gesprochen wird und die Indikation für eine Therapie mit Antidementiva wie Donepezil, Rivastigmin, Galantamin oder Memantin besteht. Möglich ist die frühe Diagnose mit dem Nachweis einer Gedächtnisstörung, etwa dem "Free-and-Cued-Selective-Recall-Reminding-Test“, der laut Gertz und Kurz eine fast 80-prozentige Sensitivität und knapp 90-prozentige Spezifität besitzt. Hilfreich kann auch im LKB-Stadium die MRT zum Nachweis einer Temporallappen-Atrophie sein. Möglicherweise wegweisend sei auch der Liquor-Befund mit einer erhöhten Gesamt-τ- bzw. Phospho-τ-Konzentration und einer erniedrigten β-Amyloid-Konzentration. Sehr viel aufwendiger und für die Routine-Diagnostik dagegen nicht geeignet sind PET-Untersuchungen, sei es zum Nachweis eines gestörten Glukosestoffwechsels in bestimmten Hirnregionen, sei es zur in-vivo-Darstellung von Amyloid mit speziellen PET-Liganden, etwa Florbetaben vom Leverkusener Unternehmen Bayer.
Wertvoll: die Angabe, vergesslich zu werden
So faszinierend vor allem bildgebende Verfahren zur Frühdiagnostik auch sind: Allein schon die Angabe eines Patienten, immer vergesslicher zu werden, sollte hellhörig machen. Denn selbst Patienten, die noch keine objektivierte LKB haben, aber besorgt sind über ihre Vergesslichkeit, entwickeln überdurchschnittlich häufig im Laufe der Jahre eine Demenz. Ergeben hat dies eine deutsche Längsschnitt-Untersuchung von Professor Frank Jessen (Universität Bonn) und seinen Kollegen, die vor knapp einem Jahr veröffentlicht worden ist („Archives of General Psychiatry“).
Frühe Diagnose: wirklich ein Segen?
Eine entscheidende Frage ist derzeit die, was eine frühe Diagnostik überhaupt nützt und ob sie nicht sogar schaden könnte. Denn die für Patienten wie Angehörige äußerst schwerwiegende Diagnose ist laut Gertz und Kurz derzeit noch „mit einer gewissen Unsicherheit behaftet“. Die positiven Ergebnisse zur Frühdiagnostik mit Biomarkern und bildgebenden Verfahren wurden in Studien, also unter „experimentellen“ Bedingungen erzielt. Im Versorgungsalltag sieht das womöglich weniger positiv aus. Andererseits ermögliche eine frühe Diagnose „die zeitige Auseinandersetzung mit einer Zukunft mit der AK“ und die „Entwicklung von Bewältigungsstrategien“, außerdem eine „veränderte Lebensplanung und Anpassung an die Krankheit“.
Das Hauptproblem aber ist, dass es keine kausal wirksame Therapien gibt, die eine Heilung ermöglichen. Was es bislang gibt, ist eine Vielzahl von nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Ansätzen. Viel diskutiert und empfohlen wird außer Maßnahmen zur kognitiven Stimulation und zum mentalen Training seit langem schon ein gesunder Lebensstil (zum Beispiel eine kalorien-reduzierte Ernährung und körperliche Aktivität). Dafür finden Wissenschaftler auch zunehmend gute Gründe: Immer mehr Beobachtungsstudien zeigen einen Zusammenhang zwischen einem kognitiven Leistungsabbau einerseits und einem metabolischen Syndrom, einer diabetischen Stoffwechsel-Lage und Übergewicht andererseits. Hinzu kommen Beobachtungsstudien, die vermuten lassen, dass Interventionen gegen Insulinresistenz und Übergewicht, etwa leichte körperliche Bewegung wie Spazierengehen, den kognitiven Leistungsabbau vielleicht verlangsamen.
Immerhin: viele Ansätze
Diskutiert werden natürlich seit langem schon auch pharmakologische Ansätze zur frühen Intervention, etwa Substanzen gegen mitochondriale Dysfunktionen und zur Stimulation der Neurogenese und Synaptogenese, etwa Bilobalide und Querceptin ("Journal of Alzheimer’s Disease“). Selbst dem Koffein werden neuroprotektive Wirkungen bei Gedächtnisstörungen und Alzheimer-Demenz zugeschrieben, wie im vergangenen Jahr in einem - von der spanischen Kaffee-Industrie finanzierten - Supplement des renommierten „Journal of Alzheimer's Disease" dargestellt wurde. Das alles ist aber überwiegend noch Forschung, in der es natürlich auch Rückschläge gibt. Der „Hoffnungsträger“ Dimebon etwa, von dem vermutet wird, dass er die Mitochondrien-Funktion verbessert, hatte in einer Phase-III-Studie mit knapp 600 Patienten das Placebo-Präparat nicht übertrumpfen können, wie Pfizer und sein Partner Medivation letztes Jahr melden mussten.
Ernüchternde Erkenntnis: Viel Forschung, wenig Beweise
Keine besonders positive Nachricht verkündete im April 2010 vor allem ein US-amerikanisches Experten-Gremium, das im Auftrag des US-Gesundheitsministeriums die verfügbare wissenschaftliche Literatur analysiert hatte. Schlussfolgerung der Wissenschaftler war, dass bislang keine nicht-pharmakologische und pharmakologische Maßnahme verfügbar sei, die eine Alzheimer-Demenz verhindern könnte. Nach der derzeitigen Datenlage gebe es für keine Maßnahme, sei es körperliche Bewegung, sei es Fischöl, einen sicheren Beweis, sagte Dr. Martha Daviglus (Northwestern University in Chicago), die Leiterin des Gremiums. Die meisten Studien zeigten nur einen Zusammenhang, aber keine Kausalbeziehung. Und das ist in der strengen Wissenschaft eben zu wenig.