Diabetiker haben oft nicht nur mit ihrem Blutzucker zu kämpfen, sondern auch mit Problemen im Bett. Sexualstörungen sind die häufigste Begleiterscheinung, an der Männer und Frauen mit Diabetes mellitus leiden. Und die Gruppe der Betroffenen wächst.
Wenn es im Bett nicht richtig klappt, wird aus der angeblich natürlichsten Sache der Welt schnell ein alles beherrschendes Thema. Denn plötzlich geht es um sehr viel mehr als Sex. Es geht um Leistung, um Selbstwert, um das Gefühl, bestehen zu wollen und auch um die eigene Partnerschaft. Ursachen für eine Flaute im Bett gibt es viele. Einige bereiten nur vorübergehend Probleme. Stress bei der Arbeit, Ärger in der Familie oder depressive Verstimmungen sind wahre Lustkiller. Sobald sich die Lage im Job entspannt oder der Streit mit dem Partner geklärt ist, geht es jedoch oft auch mit der Sexualität wieder aufwärts. Dauern die Probleme im Bett dagegen an, stecken vielleicht noch ganz andere Auslöser dahinter, wie etwa unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten oder körperliche Störungen. Diabetes etwa bringt nicht nur den Zuckerstoffwechsel der Patienten durcheinander, sondern oft auch ihr Liebesleben. „Sexuelle Störungen sind die häufigste Folgekomplikation beim Diabetes mellitus“, sagt Thomas Haak, vom Diabeteszentrum Mergentheim. Schätzungen zufolge leiden etwa die Hälfte der Männer mit einem seit mehreren Jahren bestehenden Diabetes an einer erektilen Dysfunktion. „Dabei handelt es sich um eine Potenzstörung, bei der der Penis nicht ausreichend steif wird oder die Erektion nicht lange genug anhält“, erklärt der Haak.
Aber auch ein ausbleibender Samenerguss, ein verzögerter oder fehlender Orgasmus oder eine Eichelentzündung können Diabetikern Probleme bereiten. Noch weniger weiß man darüber, wie verbreitet sexuelle Störungen bei Frauen mit Diabetes sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen sich mit diesem Problem nur selten zum Arzt trauen und das vermeintliche Tabuthema nicht ansprechen wollen. Sicher ist jedoch, dass auch sie darunter leiden. Bei einer Befragung von Frauen im Alter von 40 bis 80 Jahren, stellten amerikanische Wissenschaftler fest, dass Diabetikerinnen seltener mit ihrem Sexleben zufrieden sind. Nach dem kürzlich erschienenen Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2017 leiden in Deutschland mehr als sechs Millionen Menschen an Diabetes, und es werden auch jedes Jahr etwa 300.000 mehr. Mit den stetig steigenden Zahlen der Stoffwechselstörung wächst auch die Gruppe derjenigen, die unter sexuellen Störungen leidet. Je länger der Diabetes besteht, und je höher das Alter, desto größer sind die negativen Auswirkungen auf die sexuelle Erregbarkeit und die Lust der Patienten. Der erhöhte Blutzucker schädigt mit der Zeit zum Beispiel das Nervensystem. „Die Schäden an den Nerven wiederum können dazu führen, dass Penis und Klitoris nicht mehr wie gewohnt auf sexuelle Reize reagieren“, sagt Haak. Bei Männern entwickeln sich mitunter Erektions- und Ejakulationsstörungen, Frauen klagen über Orgasmusprobleme oder verminderte Lust. Bei Frauen beeinträchtigen hohe Zuckerwerte zudem die Durchblutung der Schleimhaut. Die Scheide muss gut durchblutet sein, damit sie beim Geschlechtsverkehr feuchter wird. Fehlt hier Feuchtigkeit, kann der Sex für die Frau unangenehm und schmerzhaft werden. „Außerdem steigt mit schlechten Blutzuckerwerten ihre Gefahr, Infektionen mit Pilzen oder Bakterien zu bekommen“, so Haak.
Bei einigen Männern, die wegen Erektionsstörungen einen Arzt aufsuchen, ist das Auftreten einer erektilen Dysfunktion auch der erste Hinweis auf das Vorliegen einer beginnenden Gefäßerkrankung, aus der dann später eine Arteriosklerose. Beginnen die Arterien sich zu verhärten und zu verkalken, fließt nicht genügend Blut in den Penis. Eine Erektion wird so oft schon zu einem sehr frühen Krankheitsstadium geschwächt. Außerdem beeinträchtigen Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte, die häufige Begleiter eines Diabetes sind, ebenfalls die Blutgefäße. Wer seinen Problemen beim Sex nachgeht, kann daher unter Umständen auch einem Herzinfarkt rechtzeitig vorbeugen. Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt oder der Diabetologe. Sie können herausfinden, was hinter den Problemen im Bett steckt, ob Nerven angegriffen sind oder Blutgefäße, oder ob Medikamente schuld an der Flaute sind. Außerdem muss er sicherstellen, dass der Zucker gut eingestellt ist und die Blutzuckerschwankungen möglichst gering gehalten werden. Ist die Ursache für die sexuellen Probleme einmal identifiziert, kann man das Problem gezielt angehen.
Die Therapien für Männer reichen von Tabletten bis hin zur Operation. PDE-5-Hemmer bewirken, dass bei sexueller Erregung mehr Blut in die Schwellkörper strömt. „Sie verbessern die Erektionsfähigkeit mit einer Ansprechrate von etwa 60 Prozent“, sagt Diabetesexperte Haak. Drei Wirkstoffe arbeiten nach diesem Muster: Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil. „Vor allem Menschen mit einer schlechten Herzleistung sollten die Einnahme vorher jedoch mit ihrem Arzt abklären.“ Ein mechanisches Hilfsmittel ist die Vakuumpumpe, ein hohler Kunststoffzylinder, den sich der Mann vor dem Sex über den Penis stülpt. „Pumpt man anschließend die Luft heraus, strömt durch den Unterdruck Blut in den Penis und er wird steif“, erklärt Thomas Haak. „Damit das Blut nicht wieder abfließt, werden die Venen für maximal 30 Minuten mit einem Gummiring abgeklemmt.“ Deutlich seltener zum Einsatz kommt die Schwellkörper-Autoinjektionstechnik (SKAT), bei der man ein gefäßerweiterndes Mittel in den Penis spritzt. Wird eine Tablette in die Harnröhre gegeben, die den Blutfluss steigert, sprechen Ärzte meist von MUSE. In sehr seltenen Fällen macht es Sinn, den Blutfluss im Penis durch eine Operation zu verbessern. Bei Frauen mit hormonellen Veränderungen können hormonhaltige Salben oder Zäpfchen Probleme wie Scheidentrockenheit oder Schmerzen beim Sex bessern“, sagt Haak. Gleitcremes befeuchten die Scheide, während Beckenbodentraining mit Gymnastik die Durchblutung im Vaginalbereich und das Lustempfinden fördert. Und auch Vaginaltrainer und Dilatatoren zum Weiten der Vagina können dabei helfen, dass Frauen den Sex wieder genießen können. Thomas Haak ist sich sicher: „In den meisten Fällen lässt sich die Zufriedenheit im Sexualleben der Patienten deutlich verbessern.“