"Bestnoten" bescheinigte vorige Woche der Medizinische Fakultätentag (MFT) dem Medizinstudium an deutschen Hochschulen. Ist da etwas an uns Studenten vorbei gegangen?
Basierend auf den Ergebnissen des 11. bundesweiten Studierendensurveys des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), lobte der MFT letzten Mittwoch in einer Pressemitteilung das Medizinstudium in Deutschland. "Die bundesweite Studierendenbefragung zeigt, dass die Ausbildungsleistungen der 36 Medizinischen Fakultäten sehr große Anerkennung verzeichnen dürfen", lobt sich Prof. Dieter Bitter-Suermann selbst, Präsident des Medizinischen Fakultätentages1. Besonders stolz ist das Gremium, das sich aus den Studiendekanen aller medizinischen Fakultäten in Deutschland zusammen setzt, auf ihre modernen Unterrichtsformen, das Auswahlverfahren, welches besonders berufliche Vorerfahrung berücksichtigt und die sozialen und altruistischen Ansprüche der Studierenden. Nicht zuletzt die Gliederung des Studiums, die übersichtlichen Wahlmöglichkeiten und die klaren Prüfungsanforderungen führten zu den herausragenden Leistungen der medizinischen Ausbildung.
Klare Gliederung: Von Starrheit und Unflexibilität
Setzt man die "klare Gliederung" mit einer fast gänzlichen Verschulung gleich und ersetzt den Euphemismus "übersichtliche Wahlmöglichkeiten" mit einer Handvoll verpflichtenden Wahlfächern, machen die Aussagen durchaus Sinn. Auch die klaren Prüfungsanforderungen sind unstrittig. Sie werden Jahr für Jahr durch den Gegenstandskatalog des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) gewährleistet. Ob diese Prüfungsform und ein Fragenkatalog, der gerne das Wissen zu medizinische Randphänomenen überprüft und bei alltäglichen klinischen Problemen nicht selten zu kurz kommt, eine adäquate Vorbereitung auf die ärztliche Tätigkeit darstellt, sei dahin gestellt. Schon seit Jahrzehnten wird dieses Thema von der Studierendenschaft kritisiert.
Praktische Fähigkeiten: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Auch dass die Förderung praktischer Fähigkeiten im Medizinstudium einen höheren Stellenwert als in anderen Fächern hat, liegt auf der Hand. Träfe das nicht zu, würde jedem Patienten beim Gedanken an den nächsten Arztbesuch Angst und Bange werden. Schaut man sich die Zahlen des Surveys aber genauer an, ist ersichtlich, dass sich nur 23% der befragten Medizinstudierenden im Erlernen praktischer Fähigkeiten stark gefördert fühlen. Mit 48% der Befragten, fühlen sich immerhin knapp die Hälfte zumindest teilweise in ihren praktischen Fähigkeiten gefördert. Schaut man jedoch zu den Fachhochschulen, kommen dort im praktischen Bereich sogar Fächer wie Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften auf bessere Werte2.
Eine Befragung der Universität Freiburg, bei der Medizinstudierende zur Wichtigkeit der Vermittlung bestimmter Kompetenzen und ihrer Zufriedenheit mit deren Vermittlung im Medizinstudium befragt wurden, kommt zu einem noch drastischeren Ergebnis: "Die Befunde zeigen, dass starke Diskrepanzen zwischen der Einschätzung der Wichtigkeit ärztlicher Kompetenzen und der Zufriedenheit mit deren Vermittlung im Medizinstudium bestehen."3 Zwar wurden an den meisten Fakultäten mittlerweile didaktische Konzepte wie das problemorientierte Lernen (POL) oder Unterricht am Krankenbett eingeführt, steht man dann aber als Student auf Station, soll oft nur der Patient ein weiteres mal aufgenommen werden und man hat eher das Gefühl sich störend auf den Krankenhausalltag auszuwirken. Selbst im Praktischen Jahr (PJ) hört das nicht auf. Statt vernünftige praktische Lehre anzubieten, werden hier die PJler nicht selten als billige Arbeitskräfte zum Blutabnehmen missbraucht. Von Unterricht am Krankenbett keine Spur.
Berufliche Vorerfahrung: Zwischen Abitur und Studienplatz
Als weiteren Punkt, der zum Erfolg der Ausbildung beitragen soll, zählt der MFT ein Auswahlverfahren an, das berufliche Vorerfahrung besonders berücksichtige. Diese Aussage ist schlichtweg falsch. Zwar ermittelte das Survey, dass im Medizinstudium mit Abstand die meisten Studierenden berufliche Vorerfahrung haben (46%, nur noch getoppt von den Wirtschaftswissenschaften an Fachhochschulen mit 49%), aber das ist nur indirekt auf die Auswahlverfahren zurück zu führen. Ein Hochschulauswahlverfahren, bei dem die 60% Studienanfänger einer Fakultät nicht nur anhand des Numerus Clausus sondern auch an Merkmalen wie einer vorangegangen Berufsausbildung oder naturwissenschaftlicher Schulfächerkombinationen ausgewählt werden können, wird nur von sehr wenigen Universitäten tatsächlich durchgeführt. Persönliche Auswahlverfahren kosten nämlich schlichtweg Geld. Um das nicht ausgeben zu müssen, wird die 60%-Hochschulquote in den meisten Fällen an Hochschulstart (ehemals ZVS) zurück gegeben. Zu der hohen Quote an Studierenden mit beruflicher Vorerfahrung kommt es durch den exorbitant hohen Numerus Clausus. Der zwingt viele Abiturienten jahrelang auf einen Studienplatz zu warten und ermöglicht den Abschluss einer Berufsausbildung in dieser Warteperiode.
Im Rahmen der Ärztemangeldebatte wurde auch in den Medien das Gesamtkonzept des Auswahlverfahrens anhand des Numerus Clausus verstärkt diskutiert. Argumentiert wurde immer, dass der Numerus Clausus am zuverlässigsten negativ mit der Abbrecherquote korreliere. Dieses Konzept geht auf. Nicht unbegründet bringt der MFT die niedrige Abbruchquote an. Mit dem 1.0er-Abitur in der Tasche starten junge Menschen das Medizinstudium, die sicherlich schon wissen wie man richtig lernt oder denen Lernen sogar einfach leicht fällt. Die Frage, ob die Abiturnote auch mit den späteren Fähigkeiten eines guten Arztes korreliert, soll hier nur in den Raum geworfen werden.
Fehlende Vergleichbarkeit: Selbst innerhalb einer Fakultät
Generalisierte Aussagen wie die des MFTs machen keinen Sinn. Bei einer Befragung zur Studienzufriedenheit im Regel- und Reformstudiengang an der Charité Berlin, zeigten sich zum Beispiel, dass die Studierenden des Reformstudiengangs deutlich zufriedener als die des Regelstudienganges sind, obwohl sie an der selben Fakultät studieren4. Die einzelnen Studiengänge an den 36 medizinischen Fakultäten sind nur noch schwierig zu vergleichen, da alle mittlerweile ihr eigenes individuelles Lehrkonzept haben. Zur Verwirrung trägt bei, dass die Modellstudiengänge oft nur in einer veränderten Reihenfolge der einzelnen Module bestehen, was im Übrigen einen Studienortwechsel für die betroffenen Studierenden praktisch unmöglich macht.
Fazit
Auch wenn die medizinische Ausbildung in Deutschland sicherlich nicht zu den schlechtesten in Europa zählt, ist beileibe nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen und es besteht dringender Bedarf einige Aspekte des Studiums zu hinterfragen oder gar zu reformieren. Alles in allem fragt man sich warum der MFT es nötig hat, sich mit diesen falschen Lorbeeren zu schmücken. Einige Studierenden mögen zufriedener und einige Fakultäten in der Lehre besser sein als andere. Bestnoten hat die medizinische Ausbildung in Deutschland allerdings sicher nicht verdient.
Quellen
1 Pressemitteilung des MFT beim Informationsdienst Wissenschaft (IDW) 2 Studie (Download) 3 German Medical Science (GMS) 4 Ragna Kähler: Individuelle Einflussfaktoren auf Studienzufriedenheit und persönliche Ziele von Medizinstudierenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin