Der Ärztemangel ist ein alter Hut, über Gründe und Lösungen wird aber weiter diskutiert. Auch die Medizinstudenten stehen im Fokus: gibt es zu wenige? Brechen zu viele das Studium ab? Wir stellen fest: die Medizinstudenten sind das kleinste Problem.
Am 01. März reagierte die Bundesärztekammer (BÄK) auf den erneuten Vorstoß der Spitzenverbände der Krankenkassen. Diese verlas am 28.02.2011 eine Pressemitteilung in welcher der manifeste Ärztemangel auf ein Verteilungsproblem zurückzuführen ist. Demnach sollen in überversorgten Gebieten 25.000 Ärzte zu viel niedergelassen sein, in unterversorgten lediglich 800 zu wenig. Eine Umverteilung würde also das Problem des Ärztemangels beheben. Einen Tag später reagierte der BÄK Präsident Hoppe und verwies auf manifeste Stellenunterbesetzung, auch in sog. strukturstarken Gebieten, ersichtlich allein an den steigenden Stellenangeboten im Ärzteblatt. Zudem bemerkte er die Altersstruktur praktizierender Ärzte, was in kommenden Jahren zu immensen Problemen führen soll.
Nach medizinstudentischer Manier kann man nun den Ärztepool beleuchten. Konkreter: wie viele Ärzte im System kommen wodurch hinzu, wie viele gehen warum verloren? Dies in Relation zur Bevölkerung wird sicher nicht der Komplexität des Systems gerecht, gibt aber sicher einen Anhalt über die Versorgungssituation.
Mehr Bewerber als Studienplätze
Nun, Mediziner, die in das System geschleust werden, kommen vorwiegend natürlich von uns Studenten. Die Anzahl der Studierenden, die in das Fach Humanmedizin eingeschrieben sind ist seit den frühen Neunzigern von ca. 90.500 auf unter 75.000 gesunken. Dass dies aber sicher mehr an Rationierungen und weniger an freibleibenden Studienplätzen liegt, beweist ein Blick auf den aktuellen NC (1,0-1,5 je nach Bundesland), welcher sich aus Interessenten und verfügbaren Studienplätzen ergibt.
Das Argument, dass die Abbruchquote unter Medizinern im Studium mit ca. 8-10% sehr hoch sei, ist zumindest im Vergleich mit anderen Hochschulfächern nicht haltbar, berücksichtigt man die Quoten bei Ingenieurswissenschaften um bis zu 30%, bei Sprach- und Kulturwissenschaften sogar um die 40%. Mediziner stellen sich im Vergleich also eher als beißerisch dar und beweisen ein gutes Durchhaltevermögen. Der damalige Vorschlag des Gesundheitsministers, die Studentenstruktur durch Auswahlgespräche im Sinne höherer Motivation verändern zu wollen, kann demnach nur wenig Potential haben. Statistisch liegt der größte Beratungsbedarf vorklinischer Studenten (hier ist die Abbruchrate am höchsten) vor allem im finanziellen Bereich. Ob dies der Hauptgrund für den Studienabbruch ist, bleibt Spekulation, ist aber durchaus denkbar, berücksichtigt man, dass aufgrund des NCs viele ältere Studenten über die Wartezeit beginnen, welche sie selbst finanzieren müssen. Die Unvereinbarkeit von Studium und Beruf ist also eine mögliche Erklärung.
Mit in den Pool kommen ausländische Ärzte, die z.Zt. einen Anteil von 5% ausmachen. Die Zuwanderungszahl steigt jährlich um ca. 10%. Diese gehen vorwiegend in den stationären Bereich in den neuen Bundesländern. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Approbation and go?
Auf der anderen Seite fragt man sich, wodurch dem Versorgungssystem Ärzte verloren gehen. Zum einen spielt die Sorge über die Altersstruktur sicher eine Rolle. Die Ärzteschaft wird im Mittel zunehmend älter. In den letzten 15 Jahren stieg das Durchschnittsalter um 40,3 Jahre auf 51,6 Jahre im Vertragsarztsystem. Die Gesamtbevölkerung im Vergleich um 2,8 Jahre. Die Ärzteschaft altert also bildlich schneller als ihr Klientel. Analog ist der Anteil der unter-35-jährigen Ärzte von knapp 25% auf 16,6% gefallen. Die Sorge, dass viele Ärzte kurz vor ihrer Berentung stehen und diese Lücke von unten nicht gefüllt werden kann, ist demnach berechtigt.
Es lohnt sich, auch einen Blick auf die Entwicklung der Arztgruppen zu werfen. Den stärksten Zuwachs von jährlich 3-6% findet man seit 20 Jahren im Bereich der nichtärztlichen Tätigkeiten, wie Unternehmensberatung, Pharmafirmen, etc., wodurch sowohl dem stationären als auch dem ambulanten Versorgungssektor wertvolle Arbeitskräfte verloren gehen.
Zu guter Letzt zieht es viele Approbierte ins Ausland, zum Beispiel in die Schweiz, Österreich und die USA. Die bessere Entlohnung, die aufgelockerten hierarchischen Strukturen sowie die attraktiveren Arbeitszeiten sind die häufigsten Argumente für diesen Trend. In Zahlen ausgedrückt sind im Jahr 2008 laut Bundesärztekammer 3065 in Deutschland ursprünglich tätige Ärztinnen und Ärzte ins Ausland abgewandert. Bei Absolventenzahlen von ungefähr 8.000-9.000 neuen Approbierten pro Jahr ist diese Zahl buchstäblich der Dolchstoß für das Gesundheitssystem, was auch durch Zuwanderung nicht ausgeglichen werden kann.
Fazit
Die beschriebene negative Entwicklung der Ärztezahlen und -struktur im deutschen Versorgungsgebiet fußt also im Wesentlichen auf dem Approbiertenverlust und weniger auf der Studierendenmüdigkeit. Das sind prinzipiell gute Nachrichten für uns, aber schlechte für die Gesundheitsversorgung der kommenden Jahr(zehnt)e. Die Misere des beschriebenen Mangels ist aber sicherlich auch ein Mischbild der Argumente beider o.g. Parteien. Es existiert nachweislich eine Verteilungsinhomogenität, und vor allem ein West-Ost Gefälle.
Eine simple Umverteilung durch beispielsweise finanzielle Anreize ist aber nicht genug und packt das Übel nicht an der Wurzel. Medizin muss für junge motivierte Ärzte wieder attraktiver werden, um einer Abwanderung ins Ausland und in fachfremde Disziplinen vorzubeugen. Zudem muss die Studentenzahl erhöht werden, damit auch mittelbar durch Erhöhung des NCs mehr junge Schulabgänger ins Studium und so früher in die Krankenhäuser finden.
Literaturverzeichnis