Am 2. März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass es unter sehr strengen Voraussetzungen erlaubt werden kann, ein Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu kaufen – DocCheck berichtete. Jetzt liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor.
Im Zentrum der Urteilsbegründung des BVerwGs stehen Ausführungen zum § 5 Abs. 1 Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz (BtMG), der besagt: „Die Erlaubnis [zum Erwerb von Betäubungsmitteln] ist zu versagen, wenn [...] der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, […] vereinbar ist.“ Von diesem Verbot muss es Ausnahmen geben. In Extremfällen für schwer und unheilbar kranke Patienten, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative zur Verfügung steht, so das Gericht (aaO, Leitsätze 2 und 3, Rn 31). Das ist der Fall, wenn erstens die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können (vgl. Lindner, NJW 2013, 136 <138>; Roxin, NStZ 2016, 185 <187>), zweitens der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und ihm drittens eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht.
Ergänzend zum Beitrag vom März 2017 wird hier nur zu diesem Aspekt der Begründung berichtet. Das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert jedem zu, frei über sich selber zu verfügen und das Schicksal selber zu gestalten. Das kommt auch im Umgang mit Krankheit zum Ausdruck, weshalb jeder heilende Behandlungen ablehnen darf. Daher umfasst das Persönlichkeitsrecht auch das Recht, den Zeitpunkt des Sterbens zu bestimmen. Dieses Recht beschränkt sich nicht auf Menschen, bei denen der Sterbeprozess bereits begonnen hat. Es schließt schwer und unheilbar Kranke ein, die ihr Leben vor dem Erreichen der Sterbephase beenden wollen, sofern diese ihren Willen frei bilden und danach handeln können. Das Verbot des § 5 Betäubungsmittelgesetzes ist geeignet, dieses geschützte Recht zu beschränken. Der fehlende Zugang zu einem Betäubungsmittel kann zur Folge haben, dass Menschen ihren Sterbewunsch nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen realisieren können. Das Gericht grenzt ab: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird durch die staatliche Schutzpflicht für das Leben begrenzt. Deshalb ist es verfassungsrechtlich gerechtfertigt, dass aktive Sterbehilfe unter Strafe gestellt ist. Auch kann der Einzelne vom Staat nicht verlangen, Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, die den Suizid ermöglichen und erleichtern. Ebenso ist das grundsätzliche Verbot zum Erwerb von Betäubungsmitteln für einen Suizid gerechtfertigt, um Menschen vor voreiligem oder mangels Einsichtsfähigkeit nicht frei verantwortlich getroffenem Erwerb zu schützen.
Diese Schutzpflicht des Staates für das Leben rechtfertigt aber nicht das Verbot, Betäubungsmittel zum Zwecke des Suizids zu kaufen, wenn sich der Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Krankheit in einer Notlage befindet. Das liegt vor, wenn
Derart Betroffene sind ihrer Krankheit also ausgeliefert. Achtung des Selbstbestimmungsrechts bedeutet jetzt, dass die Umsetzung des frei getroffenen Sterbewunsches nicht unmöglich gemacht werden darf. Wenn die Einnahme einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels die einzig zumutbare Möglichkeit ist, den Sterbewunsch umzusetzen, würde ein Verbot bedeuten, dass der Mensch gezwungen wäre, die unerträgliche Leidenssituation ohne Aussicht auf Besserung erdulden zu müssen.
Die erste ablehnende Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erging 2004. Fraglich ist, ob die Betroffene damals eine alternative Sterbemöglichkeit gehabt hätte, denn sie wurde künstlich beatmet. 2004 bestand große Rechtsunsicherheit, ob das palliativmedizinisch begleitete Abschalten einer künstlichen Beatmung erlaubt sei. Das maßgebliche Urteil des Bundesgerichtshofs hierzu erging erst 2010.