Organismen entsorgen normalerweise rasch Proteine, die sie nicht mehr benötigen. Kommt es zu Fehlern in diesem Prozess, häufen sich die Proteine in den Zellen an. Forscher haben nun beobachtet, dass das offenbar kein Nachteil sein muss und sogar das Altern verzögert.
Proteine sind ein wichtiger Baustein aller Organismen. Haben sie ihre Aufgabe erfüllt oder funktionieren sie nicht mehr korrekt, sorgt die zelluläre Qualitätskontrolle dafür, dass sie rasch abgebaut werden. Schleichen sich Fehler dabei ein, können die Proteine miteinander verklumpen und große Aggregate bilden, die sich in den betroffenen Zellen anhäufen. Besonders häufig passiert das in den Nervenzellen des Gehirns. Die Folge können neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Huntington oder Parkinson sein.
Nun haben Forscher der Universität Köln das Wechselspiel zweier Faktoren aufgedeckt, die bei der Regulation des Proteinabbaus eine wichtige Rolle spielen. Wie Professor Thorsten Hoppe und seine Kollegen in der Fachzeitschrift Nature Cell Biology berichten, ist einer der beiden Faktoren das Protein ATX-3. Eine mutierte Version dieses Proteins gilt als Auslöser der seltenen Machado-Joseph-Krankheit – einer spinozerebellären Ataxie, die bei betroffenen Personen zu Bewegungsstörungen, ungewöhnlichen Augenbewegungen und Gedächtnisverlust führt.
Proteine erhalten Abbau-Markierung
Das Team um Hoppe erzielte die neuen Ergebnisse durch Versuche mit dem nur einen Millimeter langen Fadenwurm C. elegans. „Der Proteinabbau läuft weitgehend identisch ab zwischen Mensch und Wurm“, sagt Hoppe, der eine Arbeitsgruppe am Institut für Genetik der Universität Köln leitet. Wie auch beim Menschen werden bei C. elegans falsch gefaltete Proteine mit einer speziellen Markierung versehen, die aus mehreren Molekülen des Proteins Ubiquitin besteht. Derart gekennzeichnete Proteine werden vom Proteasom, dem Fleischwolf der Zelle, erkannt und dort in ihre Bestandteile zerlegt.
Ein Schlüsselfaktor in diesem Prozess ist das Protein CDC-48: Es stellt sicher, dass Proteine, die für den Abbau bestimmt sind, mit der richtigen Anzahl an Ubiquitin-Molekülen versehen und effizient zum Proteasom transportiert werden. CDC-48 verrichtet diese Arbeit nicht alleine, sondern wird dabei von einem weiteren Protein unterstützt. „ATX-3 schneidet überzählige Ubiquitin-Moleküle ab“, sagt Hoppe. Interessanterweise scheint ATX-3 genauso wie CDC-48 nicht lebensnotwendig für die Fadenwürmer zu sein: Fehlt den Tieren eines der beiden Proteine, leben sie ganz normal weiter.
Wurm-Mutanten haben deutlich längere Lebensspanne
Als Hoppe und seine Mitarbeiter bei den Würmern jedoch beide Proteine mit Hilfe von gentechnischen Methoden ausschalteten, machten sie eine überraschende Beobachtung: Die veränderten Würmer starben erst nach 30 Tagen, lebten also um die Hälfte länger als ihre normalen Artgenossen. In weiteren Versuchen konnte Hoppes Arbeitsgruppe herausfinden, dass der lebensverlängernde Effekt in den Würmern durch den so genannten IGF-1-Signalweg vermittelt wird. Der insulinähnliche Wachstumsfaktor IGF-1 steuert über eine aus mehreren Molekülen bestehende Reaktionskaskade eine Vielzahl von Reifungsprozessen in mehrzelligen Organismen.
Experimente mit Würmern, Fliegen und Mäusen haben in den vergangenen Jahren den Beweis erbracht, dass Abweichungen im IGF-1-Signalweg die Lebensspannen dieser Tiere deutlich erhöhen. Hoppe vermutet, dass bestimmte Proteine, die den IGF-1-Signalweg regulieren und einen positiven Einfluss auf die Lebenszeit haben, normalerweise rasch abgebaut werden. Wenn aber ATX-3 und CDC-48 fehlten, so der Biologe, könne das Ubiquitin-Proteasom-System die Proteine nicht mehr erkennen. Diese würden stabilisiert und könnten so lebensverlängernd wirken.
Leben Menschen länger mit aktiverem Abbausystem?
Nach Ansicht von Professor Erich Wanker vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin zeigen die Experimente der Kölner Forscher sehr schön, wie weitreichend die Auswirkungen für einen Organismus sein können, wenn der Abbau bestimmter Proteine gestört ist. Wanker kann sich gut vorstellen, dass es auch beim Menschen unterschiedliche Varianten des Ubiquitin-Proteasom-Systems gibt, die entweder einen positiven oder negativen Einfluss auf die Lebensdauer haben.
„Vielleicht gelingt es eines Tages, Medikamente zu entwickeln, die den Proteinabbau günstig beeinflussen können“, sagt Wanker. Da es im Moment aber noch zu wenig experimentelle Beweise gebe, sei es noch nicht endgültig klar, ob ein funktionell beeinträchtigtes Ubiquitin-Proteasom-System tatsächlich neurodegenerative Erkrankungen auslöse. Deswegen, findet der Biotechnologe, müsse man vorsichtig sein und dürfe aus Grundlagenforschung nicht vorschnell Rückschlüsse auf die Therapie von humanen Krankheiten ziehen.