Wissenschaftler können zeigen, dass die Erwartungshaltung von Patienten einen großen Einfluss auf den Erfolg einer Schmerztherapie hat. Vor allem chronische Schmerzpatienten profitieren von den neuen Erkenntnissen.
Dass Arzneien einen positiven Effekt auf Patienten haben, der womöglich über die Wirkung der in ihr enthaltenen Inhaltsstoffe hinausgeht, vermuten Mediziner schon lange. Ein internationales Forscherteam hat nun festgestellt, dass eine Schmerztherapie deutlich besser wirkt, wenn Patienten sich viel von der Behandlung versprechen. Wie die Wissenschaftler um Ulrike Bingel und Katja Wiech in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine berichten, wird der Schmerz nur wenig bis gar nicht gelindert, wenn die Patienten dagegen keine oder gar eine schlechte Erwartung an die Therapie haben.
An den Untersuchungen nahmen 22 gesunde Probanden im Alter von 21 bis 40 Jahren teil. Allen wurde an einen ihrer Arme eine kleine Metallplatte angelegt, deren Temperatur variiert werden konnte. Vor Beginn des Experiments stellten die Forscher die Temperatur so ein, dass der dadurch ausgelöste Hitzereiz bei jedem Teilnehmer zu einem mittelstarken Schmerz führte. „Die Temperatur wird individuell kalibriert, da das Schmerzempfinden der einzelnen Teilnehmer stark variieren kann“, berichtet Wiech, die am Functional Magnetic Resonance Imaging of the Brain Centre an der University of Oxford arbeitet. Auf einer Skala von 0 bis 100 entsprach der Schmerz, den die Studienteilnehmer fühlten, einem Wert von 70, wobei 0 überhaupt nicht schmerzhaft ist und 100 der stärkste vorstellbare Schmerz wäre.
Positive Erwartungshaltung verringert Schmerzintensität
In der darauf folgenden Messreihe wurden die Probanden in regelmäßigen Intervallen immer wieder für einige Sekunden diesem Hitzereiz ausgesetzt. Über eine Infusionskanüle erhielten sie zusätzlich eine Kochsalzlösung. Die dabei empfundene Schmerzintensität betrug bei allen Testpersonen durchschnittlich 66. Dann wechselten die Forscher die Infusionslösung aus: Statt der Kochsalzlösung bekamen die Probanden nun das schnell wirksame Opiat Remifentanil verabreicht. Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einer Schmerzlinderung rechneten, sank die Schmerzintensität auf rund 55. Als die Forscher den Studienteilnehmern aber mitteilten, dass sie ab sofort das Medikament erhalten würden, sank die Schmerzintensität auf 39. „Es war spannend zu erleben, dass das Schmerzmittel nicht nur einen pharmakologischen Effekt hatte, sondern dass die Wirkung des Opiats durch eine positive Erwartungshaltung der Probanden erheblich verstärkt werden konnte“, erzählt Wiech.
Anschließend wollten die Forscher wissen, ob sich der schmerzlindernde Effekt von Remifentanil auch aufheben lässt: Sie sagten den Probanden, dass das Medikament abgesetzt werden würde und es deswegen stärker schmerzen könnte. Obwohl die Probanden weiterhin das Analgetikum erhielten, stieg die Schmerzintensität wieder fast auf den Ausgangswert an. Wiech: „Die negative Erwartung und die Angst vor dem Schmerz machten den Effekt des Opiats zunichte. Der Schmerz war bei den Probanden genauso stark, als hätten sie überhaupt kein Medikament bekommen.“
Aktivität bestimmter Gehirnregionen abhängig von Erwartungshaltung
Um die Schmerzverarbeitung im Gehirn sichtbar zu machen, war jeder einzelne Teilnehmer während des gesamten Versuchs in einem Magnetresonanztomografen positioniert. „Auf den Aufnahmen konnten wir erkennen, dass die schmerzverarbeitenden Regionen wie Thalamus, Insel und somatosensorischer Kortex um so aktiver waren, je größer der gefühlte Schmerz war“, sagt Wiech. „Eine positive Erwartungshaltung der Probanden verminderte die Gehirnaktivität in diesen Regionen. Sie wurde aber wieder stärker, sobald die Testpersonen nicht mehr an die Wirkung der Behandlung glaubten.“
Wiech hält die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor allem für die Behandlung chronischer Schmerzpatienten für bedeutsam: „Vielen von ihnen kann über Jahre nicht geholfen werden; sie werden verzweifelt und ängstlich, verlieren ihr Vertrauen in die Medizin.“ Jetzt sei klar, so die Wissenschaftlerin, dass auch negative Erwartungen an eine Therapie deren Erfolg beeinträchtigen und den Effekt von eigentlich wirksamen Schmerzmitteln ungünstig beeinflussen können. Nach Ansicht von Wiech sollte dies bei der Auswahl der Therapie künftig stärker berücksichtigt werden. Hierbei könne es schon helfen, wenn Ärzte ihre Patienten intensiver und gezielter als bisher über mögliche Behandlungen aufklärten, um positive Erwartungen zu wecken und negative zu vermeiden.
Keine Mehrkosten bei besserer Aufklärung der Patienten
Ulrike Bingel, die am Institut für Systemische Neurowissenschaften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf forscht, möchte die neuen Erkenntnisse nun in die klinische Praxis bringen und Ärzte davon überzeugen, dass eine verbesserte Interaktion mit ihren Patienten den Behandlungserfolg erhöht, ohne dass das mit Mehrkosten verbunden wäre. Darüber hinaus plant die Medizinerin weitere Studien, mit deren Hilfe die Wechselwirkung zwischen Medikamenten und dem körpereigenen schmerzhemmenden System optimiert werden soll, um für Patienten den maximalen Erfolg einer Therapie zu erreichen.