Hinter Knochenschmerzen kann sich ein bösartiger Tumor verbergen, das Osteosarkom. Ein Patentrezept zur Behandlung gibt es nicht. Vielmehr entscheiden Orthopäden und Onkologen je nach Lage und Größe, welches OP-Verfahren den besten Erfolg verspricht.
Kleine Kinder, große Sorgen: Schmerzen und Schwellungen deuten nicht nur auf den harmlosen Sturz beim Sport hin. Gerade in der Pubertät sind Osteosarkome die häufigste bösartige Erkrankung – rund 40 Fälle kommen jedes Jahr in Deutschland neu hinzu. Und so beginnt die Leidensgeschichte vieler junger Krebspatienten beim Orthopäden mit vermeintlichen Unfallfolgen, die sich als Tumor entpuppen.
Killer im Knochen
Osteosarkome entstehen in Phasen starken körperlichen Wachstums aus knochenbildenden Zellen, den Osteoblasten. Entartete Krebszellen produzieren dabei nur noch Osteoid, also ein Gemisch verschiedener Eiweiße der Knochengrundsubstanz. Kalk hingegen wird nicht mehr eingelagert. Wächst der Tumor in tiefere Schichten ein, verliert der Knochen an Stabilität, und es kommt zu pathologischen Frakturen. Beim Röntgen fällt dann oft als Zufallsbefund der Tumor auf, und zwar an den schnell wachsenden Enden der Röhrenknochen von Schienbein, Oberarm beziehungsweise Oberschenkel. Untersuchungen haben jetzt gezeigt, dass mehr als 50 Prozent der Osteosarkome im Bereich des Kniegelenks lokalisiert sind.
Die späte Entdeckung hat Folgen: Statistisch gesehen streuen primäre Tumore vor ihrer Entdeckung in rund 80 Prozent der Fälle. Vor allem Mikrometastasen, also Zellverbände unter zwei Millimetern Größe, lassen sich nur schwer fassen. Besonders häufig siedeln sich diese in der Lunge an – ein wichtiges Kriterium für die Prognose. Im Durchschnitt liegt neuerem Zahlenmaterial zufolge nämlich die Fünf-Jahre-Überlebensrate bei 60 bis 70 Prozent. Lassen sich Metastasen nachweisen, sinkt sie auf unter 40 Prozent.
Gene auf Abwegen
Molekularbiologisch betrachtet gleicht kaum ein Tumor dem anderen. Wissenschaftler fanden in mehr als 70 Prozent der Geschwülste eine Veränderung des Retinoblastom-Gens. Mittlerweile haben sie auch dessen Bedeutung entschlüsselt: Das zugehörige Eiweiß verlangsamt in funktionsfähiger Form Zellwachstum und Zellzyklus. Durch diesen Mechanismus verhindert es die explosionsartige Vermehrung von Zellen mit beschädigtem Erbgut. In anderen Osteosarkomen wiederum ließen sich Defekte am TP53-Gen nachweisen. Durch den Funktionsverlust kann das entsprechende Protein den Zellzyklus nicht mehr stoppen, um etwa beschädigte DNA zu reparieren oder den kontrollierten Zelltod einzuleiten.
Die Schlacht beginnt
„Unbehandelt führt die Erkrankung immer zum Tod“, weiß Professor Dr. Stefan Burdach von der Kinderklinik München-Schwabing. Nach einer umfangreichen Diagnostik mit bildgebenden und feingeweblichen Untersuchungsverfahren schließt sich nach heutigem Wissensstand eine neoadjuvante Chemotherapie mit Cisplatin, Doxorubicin und Methotrexat an. Im besten Falle schrumpft die Geschwulst vor der OP.
Dann müssen die Betroffenen unters Messer. Als Goldstandard gilt aus rein onkologischer Sicht die totale Entfernung des befallenen Körperteils. Patienten schrecken davor zurück – oftmals zu Unrecht, wie David S. Geller und Richard Gorlick, zwei Orthopäden aus New York, herausfanden. Bei ordentlicher Ausführung des Eingriffs haben sie oftmals eine deutlich bessere Beweglichkeit und könnten sogar wieder Leistungssport betreiben. Auch würden seltener Komplikationen beobachtet, und das Risiko eines erneuten Osteosarkoms sei geringer.
Schongang im OP
Dennoch sind Amputationen heute eher die Ausnahme: Studien belegen, dass in 80 Prozent aller Fälle das betroffene Körperteil erhalten werden kann. Der Erfolg des Eingriffs hängt davon ab, inwieweit es gelingt, den Tumor im Ganzen zu bergen. Danach lassen sich funktionale Strukturen durch Knochentransplantationen wieder aufbauen. Neben körpereigenem Material, etwa aus dem Beckenkamm, kommen auch Fremdknochen in Frage. Der Operationserfolg ist allerdings nicht immer gewährleistet: US-amerikanische Studien fanden in 15 Prozent Infektionen nach entsprechenden Eingriffen und bei 27 Prozent der Operierten traten später Frakturen auf. Als Alternative stehen heute gute Endoprothesen zur Verfügung. Auch Umkehrplastiken nach Borggreve-Van Nes sind eine Option. Bei diesem Eingriff entfernen Chirurgen einen Teil des Knochens am Oberschenkel. Dann drehen sie den gesunden Unterschenkel um 180 Grad und transplantieren ihn an den verbliebenen Stumpf. Das Sprunggelenk übernimmt somit die Aufgaben des Knies und Patienten haben im Vergleich zur kompletten Amputation eine deutlich bessere Beweglichkeit. Prinzipiell ist der Eingriff eine starke körperliche Belastung und geht mit einem erhöhten Infektionsrisiko einher. Kleinere Studien bescheinigen dem Verfahren jedoch gute Erfolge in punkto Beweglichkeit – auch Snowboarden und alpines Skifahren seien kein Problem.
Fittes Immunsystem – keine Metastasen
Nach dem Eingriff schließt sich eine weitere Chemotherapie an. Über lange Zeit verbesserte sich die Sterblichkeit der Patienten dennoch nicht signifikant. Seit einigen Monaten gibt es mit der Zulassung von Mifamurtid neue Hoffnung. „Die Substanz überzeugt, weil mit dem Immunmodulator erstmals seit mehr als 20 Jahren ein neues Medikament zur Behandlung des Osteosarkoms bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf den Markt gekommen ist“, sagte Professor Dr. Hartmut Morck, ehemaliger Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, anlässlich der Verleihung eines Innovationspreises für das Arzneimittel. In klinischen Phase III-Studien mit 800 Teilnehmern verringerte Mifamurtid zusammen mit anderen Chemotherapeutika das Sterberisiko junger Patienten um 28 Prozent. Und nach sechs Jahren lebten noch 78 Prozent der Behandelten im Vergleich zu 70 Prozent, die nur eine Chemotherapie nach dem Standardprotokoll erhielten.
Forscher gehen davon aus, dass diese eiweißartige Verbindung, ein Bestandteil der Zellwand von Mycobakterien, das menschliche Immunsystem stimuliert. „Mifamurtid akkumuliert vor allem in der Lunge“, so Burdach. Fresszellen nehmen dort wirkstoffhaltige Liposomen auf. Über eine Kaskade werden weitere Zellen aktiviert. Diese bekämpfen ihrerseits gezielt Mikrometastasen, die häufigste primäre Todesursache von Osteosarkomen.
Abgeschnürt und ausgeschaltet
Damit nicht genug: Texanische Wissenschaftler wiesen in Osteosarkomen eine hohe Aktivität des VEGF-Gens nach. Das zugehörige Eiweiß „Vascular Endothelial Growth Factor“ (VEGF) steuert vor allem Neubildung und Wachstum kleiner Blutgefäße. Damit wären auch monoklonale Antikörper wie Bevacizumab einsetzbar, die VEGF abfangen und dem Tumor quasi den Hahn zudrehen. Bei anderen Krebserkrankungen hat sich diese Therapie bereits zur Routine entwickelt.
Als weitere Angriffspunkte konnte Forscher spezielle Enzyme, nämlich Tyrosin-Kinasen oder Serin/Threonin-Kinasen identifizieren. Zahlreiche kleine Moleküle, die sich als Hemmstoffe eignen würden, befinden sich gerade im Test.