Apotheken können viel für Patienten mit Neurodermitis tun. Im Mittelpunkt steht eine individuelle Basispflege. Hier gilt es, die richtige Galenik zu ermitteln. Aber auch bei Rx-Präparaten besteht Beratungsbedarf.
Etwa drei Prozent aller Erwachsenen sowie 20 Prozent aller Säuglinge und Kleinkinder leiden unter Neurodermitis. Diese Menschen quält starker Juckreiz, sie kratzen sich blutig, die Hautpartien entzünden sich. Und Hautabschilferungen bzw. Schuppungen werden oft als extrem stigmatisierend empfunden.
Forscher entschlüsselten in den letzten Jahren mehrere genetische Risikofaktoren mit Einfluss auf die Epidermis sowie auf das Immunsystem. Vor allem Filaggrin scheint hier eine zentrale Rolle zu spielen: Defekte dieses Eiweißes wirken sich negativ auf die Vernetzung des Keratins aus und schwächen die Barrierefunktion der Haut. Allergene können leichter eindringen, und der Körper regiert aggressiv. Wie Professor Johannes Ring, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie an der Technischen Universität München jetzt berichtete, hilft diesen Patienten möglicherweise auch eine Hyposensibilisierung.
Kein Fehlstart ins Leben
Für vorbeugende Maßnahmen ist es nie zu früh – mittlerweile gibt es für Risikomütter zahlreiche Empfehlungen mit hoher Evidenz. Rauchen etwa ist tabu, und die ersten vier Monate sollte gestillt werden. Danach kann man zufüttern – Kohortenstudien zeigten bei längerem Abwarten allenfalls schwache Effekte. Als Alternative steht hypoallergene Säuglingsnahrung (HA) aus hydrolysierten Milcheiweißen zur Verfügung. Pädiater zeigten nun bei 2252 Neugeborenen, dass HA-Kinder deutlich seltener Neurodermitis entwickeln als kleine Patienten, die mit Kuhmilch gestillt wurden bzw. andere Ersatznahrung erhielten.
Basispflege und Beratung
Jedoch gleicht kein Krankheitsverlauf dem anderen. Pädiater aus Nottingham bewerteten die statistische Verteilung der Symptome bei Kindern. Sie fanden in 84 Prozent der Fälle leichte Beschwerden, und 14 Prozent zeigten mittelschwere Ausprägungen der Krankheit. Stark litten lediglich zwei Prozent der Untersuchten. Damit können Apotheken die Versorgung von fast 90 Prozent der Geplagten übernehmen, die restlichen zehn Prozent liegen in der Hand von Ärzten.
Neue Erkenntnisse lieferte eine Pilotstudie: 22 Babys mit hohem Neurodermitis-Risiko wurden ab der Geburt konsequent eingecremt. Nach 547 Tagen, dem Ende des Beobachtungszeitraums, zeigten nur drei kleine Patienten Symptome. „Eine regelmäßige, am besten morgens und abends durchgeführte Basispflege kann zu einer wesentlichen Stabilisierung der Hautbarriere beitragen und neue Krankheitsschübe verhindern oder doch zumindest hinauszögern“, so der Münchener Dermatologe Professor Dr. Dietrich Abeck. Für chronische, trockene Verlaufsformen ist speziell eine Wasser-in-Öl-Basis zu empfehlen. Falls erforderlich, können Glycerin bzw. Harnstoff zur Feuchthaltung der Haut eingearbeitet werden. Bei nässenden Hautirritationen eignen sich hingegen feuchte Zubereitungen. Bis Kunden den Mehrwert dieser selbst zu bezahlenden Maßnahmen erkennen, müssen Apothekenmitarbeiter viel Überzeugungsarbeit leisten: Wissenschaftler aus dem britischen Sheffield fanden nach adäquater Beratung einen Anstieg der Basispflege um 800 Prozent. Parallel dazu gingen in knapp 90 Prozent der Fälle die Symptome deutlich zurück. Der Verbrauch an Steroiden blieb unverändert.
Am Rande des HV-Tischs
Apotheken können ihren Patienten noch mehr auf den Weg geben, etwa Lactobacillus rhamnosus GG. Eine ältere skandinavische Arbeit sorgte für große Euphorie – werdende Hochrisiko-Mütter hatten im letzten Drittel der Schwangerschaft entsprechende Kapseln eingenommen. Bei ihren Kindern reduzierte sich die Neurodermitis statistisch im Vergleich zu Placebo um die Hälfte. Auch in den Folgejahren, die Forscher untersuchten alle Sprösslinge weiter, war die GG-Gruppe im Vorteil. Der Wermutstropfen: Andere Arbeitsgruppen scheiterten bis dato daran, die Resultate zu reproduzieren. Dennoch lohnt der Versuch.
Auch Stutenmilch hat sich bewährt, wie Privatdozent Dr. Rainer Schubert von der Uni Jena im Rahmen einer kleinen Studie zeigen konnte. „Mehr als 90 Prozent aller Befragten mit Hauterkrankungen haben angegeben, dass sich die Symptome wie Juckreiz und damit verbundene Schlafstörungen verbessert haben“, so Schubert. Alle Teilnehmer erhielten über sechs Monate durchschnittlich einen viertel Liter pro Tag.
Keine halben Sachen
Bei schweren Neurodermitisformen hilft nur schweres Geschütz. „Aus falscher Angst vor den Medikamenten werden oft nur halbe Sachen gemacht“, weiß Privatdozent Dr. Jochen Schmitt vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden. Vor allem topische Steroide der vierten Generation haben kaum noch Nebenwirkungen. Im Gegensatz zu älteren Veröffentlichungen empfehlen Dermatologen heute die proaktive Intervalltherapie: behandeln, bis die Entzündung abgeklungen ist, und dann zwei Mal pro Woche das Präparat auf entsprechenden Körperregionen anwenden. Mehrere Untersuchungen zeigten den hohen Nutzen dieses Schemas im Vergleich zur ausschließlichen Behandlung bei Ekzemschüben. Nur im Gesicht bzw. im Genitalbereich ist aufgrund hoher resorptionsraten Vorsicht angebracht.
In diesen Regionen kommen Tacrolimus und Pimecrolimus zum Einsatz. Die Wirkstoffe gelten auch als Alternative, sollten Steroide nicht zum gewünschten Erfolg führen. Jedoch hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA bereits 2005 den Verdacht geäußert, dass die Präparate am Entstehen von Krebserkrankungen beteiligt sein könnten. Angesichts eines 43-jährigen Patienten, der nach dreijähriger Behandlung mit Tacrolimus eine multiple aktinische Keratose entwickelte, ist auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hellhörig geworden. Die retrospektive Kohortenanalyse brachte keine Klarheit. Jedoch war das Risiko, ein multiples Myelom zu entwickeln, leicht erhöht. Das Fazit: Da Langzeiterfahrungen bzw. Studien mit großen Patientenzahlen derzeit noch fehlen, sollten die Präparate nur zur Zweitlinienbehandlung in Frage kommen. Und für immungeschwächte Patienten bzw. Kinder unter zwei Jahren sind Tacrolimus bzw. Pimecrolimus tabu.
Neue Arzneistoffe, neues Glück
Die leichte und mittelschwere Neurodermitis ist mittlerweile gut therapierbar. Zurzeit liegen Defizite vor allem bei der Versorgung schwerer Verlaufsformen. Doch die Pipeline ist gut gefüllt – etliche Wirkstoffe befinden sich in verschiedenen Stadien der Zulassung. Die Forscher setzen besonders hohe Erwartungen in eine neue Klasse der selektiven Glucocorticoid-Rezeptor-Antagonisten. Diese hemmen ausschließlich die Synthese von Botenstoffen, die Entzündungen triggern. Erste positive Ergebnisse hat auch die topische Therapie mit Johanniskraut-Extrakten geliefert. Allerdings sind die Fallzahlen aus entsprechenden Veröffentlichungen noch recht gering.