Was tun, wenn der Nachwuchs immer dicker wird? Die bayerischen Kinderärzte wollen nicht länger tatenlos zusehen und starten jetzt ein Onlineprojekt. Es soll Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Lebensgewohnheiten nachhaltig zu verändern. Ob es hilft?
Wer den Internetauftritt des Coaching-Programms SynX besucht, findet auf Anhieb eine klare Ansage: „Keine Diät. Kein Intensivsport. Keine Gehirnwäsche.“ Klingt schon mal gut. Auch sonst ist der Tonfall betont locker: Von einem „langfristig coolen Gewicht“ ist da die Rede, und auch von „ordentlich Spaß am Leben.“
Früh übt sich, wer ein Frühstücksexperte werden will
Die Sprache ist sicher Geschmackssache. In jedem Fall machen schon diese Eingangsstatements klar, wer hier angesprochen werden soll. SynX ist ein Online-Coaching-Programm zur Gewichtsreduktion bei Kindern und Jugendlichen zwischen zwölf und siebzehn Jahren. Es soll im Laufe dieses Jahres in den Echtbetrieb gehen. Das Portal zieht darauf ab, den Lebensstil von übergewichtigen Kindern zu verändern, und zwar unter Einbeziehung des Kinderarztes und, wenn gewünscht oder hilfreich, unter Einbeziehung der Eltern. Initiiert wurde SynX von dem bayerischen Kinderarzt Dr. Gerald Hofner, der das Projekt kürzlich bei der Computermesse CebIT in Hannover vorstellte. Nachdem die Idee geboren war, zog das Ganze weite Kreise. Von ärztlicher Seite sind heute der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) sowie das PaedNetz Bayern involviert. Krankenkassenunterstützung kommt von der AOK. Fördergelder fließen unter anderem aus dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit. Von IT-Seite umgesetzt wird SynX schließlich von Microsoft und der Business Systemhaus AG.
Konkret bietet SynX ein modulares Coaching-Programm, bei dem anhand sehr konkreter Szenarien typische Alltagssituationen abgehandelt werden. Es geht dabei einerseits um Wissensvermittlung, andererseits um die Entwicklung von Lösungsstrategien. Deren Umsetzung wird mit Credit Points belohnt, die dem Kind zeigen, ob und wie es bei seinem Gewichts- und Lebensstilprogramm vorankommt. Bei Bedarf – und nur mit Einwilligung des Kindes – gibt es außerdem das Instrument des Elternbriefs. Damit werden die Eltern in das Coaching einbezogen, ohne dem Kind aufzubürden, bestimmte Themen eigeninitiativ ansprechen zu müssen. Konkret könnte das Ganze beispielsweise beim Modul „Frühstück“ so aussehen: Das Kind informiert sich über einen ausgewogenen Start in den Tag. Es schildert, wie es daheim morgens abläuft und wo es Verbesserungsmöglichkeiten sieht. Dann initiiert es einen Elternbrief, in dem beispielsweise angeregt wird, gemeinsam zu frühstücken, falls das bisher nicht üblich war.
Arzt an der Hand, Technik in der Wolke
„Was wir erreichen wollen, ist ein arztzentriertes Coaching über sechs bis neun Monate“, so Hofner. „Arztzentriert“ heißt, dass der Arzt über das Absolvieren der unterschiedlichen Module per Mail informiert wird und das Kind in dem Interventionszeitraum regelmäßig zu Gesicht bekommt, um die Fortschritte oder die aufgetretenen Probleme zu besprechen. Das Ganze wird wissenschaftlich evaluiert. Für die Pilotphase sollen allein 2000 Kinder motiviert werden, das SynX-Programm zu durchlaufen. Danach könnten es durchaus bis zu 70000 Kinder werden, so Hofner. Die Zahlen klingen ziemlich ehrgeizig, zu ehrgeizig vielleicht. Werden sie erreicht, wäre das eines der größten derartigen Projekte in Europa.
Die Tatsache, dass die Kinder durch den Kinderarzt zur Teilnahme an dem Programm motiviert werden sollen, wird es nicht einfacher machen, das Ziel zu erreichen. In Zeiten, in denen viel von Patientensouveränität geredet wird und Jugendliche sich wie selbstverständlich online bewegen, hätte ein weniger paternalistischer Ansatz sicherlich auch Charme. Andererseits ist es ja gerade die Ausgangsthese des Projekts, dass ein arztgeführtes Coaching effektiv ist. Und immerhin: Es soll eine große Studie unternommen werden, um genau das zu überprüfen.
Ein Projekt dieser Größenordnung stellt gewisse Anforderungen an die Technik. SynX setzt komplett auf das so genannte Cloud Computing. Dabei laufen die Anwendungen komplett in den Rechenzentren der Technikdienstleister. Der Vorteil dabei ist, dass die Kunden, also die Kinderärzte, keine eigene Serverinfrastruktur anschaffen müssen. Bezahlt wird außerdem nach Inanspruchnahme. Das macht die Kosten kalkulierbar und liefert eine Berechnungsgrundlage, falls es einmal darum gehen wird, das Pilotprojekt in ein reguläres Angebot zu überführen. Technisch liegt derzeit übrigens noch einiges im Argen. Wer die Homepage besucht, findet nicht funktionierende Infobuttons und einen unvollständigen Bilddurchlauf. Das sollte bei einem Projekt, das bereits öffentlich angekündigt wurde, heutzutage nicht mehr passieren.