Benötigen ältere Menschen plötzlich mehr Nachtruhe als bisher, können das einer Studie zufolge erste Anzeichen einer beginnenden Demenz sein. Die Untersuchung bietet allerdings Raum für Missverständnisse. So könnte man schlussfolgern, weniger Schlaf schütze vor Demenz.
Schon länger hatten Neurologen die Vermutung, Änderungen im Schlafverhalten könnten ein Vorbote von Demenzerkrankungen sein. Andrew J. Westwood und Sudha Seshadri, Neurologen an der Boston University School of Medicine, haben deshalb Daten aus der Framingham Heart Study ausgewertet. Diese prospektive Beobachtungsstudie läuft mit unterschiedlichen Fragestellungen seit 1948.
Beide Forscher werteten Aufzeichnungen von 2.457 Teilnehmern aus, die ihr Schlafverhalten regelmäßig protokolliert hatten. Innerhalb von zehn Jahren entwickelten 234 Personen (zehn Prozent) eine Demenz unterschiedlicher Pathogenese. Bei 181 (acht Prozent) war es Morbus Alzheimer. Von allen Personen mit Demenzdiagnose berichteten 96 (vier Prozent), sie würden seit Beginn der Studie mehr als neun Stunden durchschlafen, ohne dass es hier zu Änderungen gekommen war. Weitere 75 Teilnehmer gaben zu Protokoll, ihre Nachtruhe habe sich auf neun oder mehr Stunden verlängert. Die letztgenannte Gruppe erwies sich bei der Auswertung als relevant. Außerdem fanden Die Forscher fanden auch heraus, dass das Bildungsniveau bei ihrer Studie eine entscheidende Rolle spielte. Teilnehmer über 65 ohne Hochschulabschluss, die mehr als neun Stunden schliefen, hatten ein sechsmal höheres Risiko, später eine Demenzdiagnose zu erhalten, als Personen mit Highschool Degree und gleicher Schlafdauer. „Es gibt die Hypothese, dass Bildung von Nutzen sein kann, um den Beginn der klinischen Demenz zu verzögern“, sagt Seshadri. Gleichzeitig muss er einräumen, dass unklar sei, ob der Unterschied im Risiko tatsächlich neuronaler oder wirtschaftlicher Natur sei. Menschen mit höherem Einkommen hätten bei unterschiedlichen Erkrankungen Vorteile gegenüber Personen mit wenig Geld. Als weiteren Befund gibt Seshadri Unterschiede im Hirnvolumen an, kann diese Beobachtung aber nicht erklären.
Die Studie bietet zahlreiche Ansätze, um missverstanden zu werden. Macht es etwa Sinn, weniger zu schlafen, um das eigene Risiko zu minimieren? In einem Kommentar stellt Seshadri deshalb klar, die ausgeprägte Nachtruhe sei eher ein Symptom als eine Ursache degenerativer Prozesse. Daher brächten Interventionen zur Einschränkung der Schlafdauer nichts. Bleibt als Ausblick, dass Screenings zum Schlafverhalten künftig eine Rolle zur Früherkennung kognitiver Beeinträchtigungen spielen. WHO-Experten schätzen, dass weltweit 47 Millionen Menschen an einer Demenz leiden. Bis 2030 könnte sich die Zahl an Patienten auf 75 Millionen erhöhen. Umso wichtiger ist aus neurologischem Blickwinkel, die Therapie früh anzusetzen. Quelle Prolonged sleep duration as a marker of early neurodegeneration predicting incident dementia Westwood, Andrew et al.; Neurology, doi: 10.1212/WNL.0000000000003732; 2017