Trypanosomen, bohrerförmige Einzeller, lösen die afrikanische Schlafkrankheit aus. Da vor allem Entwicklungsländer betroffen sind, war das Forschungsinteresse über Jahre hinweg gering. Jetzt gibt es mehrere Ansätze, die zu neuen Therapien führen könnten.
Auf der Flucht vor Gewalt und Bürgerkrieg rücken immer mehr Flüchtlinge in die einstmals spärlich besiedelten Savannengebiete vor, der Heimat von Milliarden hungriger Tsetse-Fliegen. Aktuell geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von drei Millionen infizierten Menschen aus. Auch fehle bei einem Großteil der Pharmafirmen das Interesse, an neuen Behandlungsstrategien zu forschen – die Vertreter der Weltgesundheitsbehörde sprechen nicht zu Unrecht von „vernachlässigten Tropenkrankheiten“. Kürzlich hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung deshalb 20 Millionen Euro locker gemacht, um hier Diagnose, Therapie und Prävention voranzubringen.
Fliegende Spritzen
Vor allem Tsetse-Fliegen übertragen den Einzeller Trypanosoma brucei. Bei einer Mahlzeit sondern sie immer etwas Speichel ab, um die Blutgerinnung zu unterbinden. Dabei gelangen Trypanosomen in den menschlichen Körper. Einige Wochen nach der Infektion kommt es zu Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sowie zum Anschwellen der Lymphknoten. Teilweise klagen Patienten auch über Juckreiz oder Hautausschläge. Nach mehreren Monaten wandern die Erreger in das Nervensystem und neurologische Symptome sind unausweichlich: Verwirrtheit, Krämpfe, ein komatöser Dämmerzustand und schließlich der Tod.
„Gegen die Schlafkrankheit gibt es einige Medikamente, die aber alle äußerst problematisch sind“, so Professor Dr. Michael Duszenko von der Uni Tübingen. Suramin oder Pentamidin etwa helfen nur im Anfangsstadium – die Blut-Hirn-Schranke können diese Arzneistoffe nicht überwinden. Melarsoprol greift zwar auch in späteren Stadien ein, enthält aber Arsen, so dass „viele Menschen an der Behandlung, nicht an der Krankheit sterben“. Eflornithin hingegen gilt als teuer, schwierig zu beschaffen und nicht immer als wirksam.
Stechen verboten
Einen gewissen Schutz vor den saugenden Plagegeistern bieten neben geschlossener, heller Kleidung vor allem chemische Abwehrstoffe. Hier besteht noch großer Aufklärungsbedarf: Aktuellen Umfragen unter Rucksack-Touristen zufolge führten nur 54 Prozent entsprechende Maßnahmen durch – obwohl Trecks in Hochrisikogebiete geplant waren. Eine Schweizer Arbeitsgruppe ging den geschlechtsspezifischen Unterschieden nach. Ihr Fazit: Männer erkranken deutlich häufiger als Frauen an übertragbaren Infektionskrankheiten wie Trypanosomien. Eine Erklärung könnte die höhere Risikobereitschaft in Kombination mit unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen bieten.
Gut getarnt ist halb gewonnen
Warum Trypanosomen nach dem Stich im Blut überleben können und nicht von Antikörpern attackiert werden, war lange Zeit unklar. Jetzt ist dieser Prozess größtenteils entschlüsselt. „Gegen die Schlafkrankheit erlangen die Menschen keine Immunität, weil die Immunreaktionen nicht greifen und auch kein Immungedächtnis entstehen kann“, betont Michael Duszenko. Trypanosomen haben an der Oberfläche zwar zahlreiche theoretisch gut erkennbare Glykoproteine. Diese verändert der Einzeller aber ständig: Mehrere Forschergruppen fanden im Erbgut des Blutparasiten über 1000 verschiedene Gene, die er wahlweise an- oder abschalten kann. Damit stellt Trypanosoma sicher, dass ein gewisser Teil der Population im Wirt überlebt und sich bei der Vermehrung erneut verwandelt: Im Blut wächst die Zahl der Trypanosomen zunächst an, sinkt und steigt dann erneut. Duszenko: „Die Zyklen kommen dadurch zustande, dass das menschliche Immunsystem Antikörper gegen das Oberflächenprotein bildet, so dass die Parasiten größtenteils zu Grunde gehen.“ Dennoch überleben einzelne Vertreter, indem sie neue Antigene herstellen, gegen die das menschliche Immunsystem nicht ankommt. Unbehandelt wiederholen sich die Schwankungen bis zum Tode der Patienten.
Professor Dr. Markus Engstler vom Max Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen fand zusammen mit Kollegen der TU Darmstadt einen weiteren Erklärungsansatz: Die Blutparasiten schwimmen ständig nach vorne und erzeugen so eine unter zellulären Maßstäben starke Strömung. Binden Antikörper des Immunsystems, driften diese zum hinteren Ende des Einzellers ab. Dort können sie rasch aufgenommen und inaktiviert werden. Brachten die Forscher genetisch veränderte Trypanosoma dazu, den Rückwärtsgang einzulegen, gab es für sie kein Entkommen mehr – Antikörper, die einmal gebunden hatten, konnten ihr zerstörerisches Werk vollbringen.
Mücke 2.0
Um die Gesamtpopulation an Tsetse-Fliegen zu verringern, verfolgt der österreichische Evolutionsbiologe Professor Dr. Helmut Kratochvil eine spezielle Strategie: Durch radioaktive Strahlung erzeugt er unfruchtbare Männchen. Mit einem eigens entwickelten akustischen Testverfahren bestimmt Kratochvil dann die Rufaktivität – nur besonders agile Individuen sollen schließlich die lange Reise in verschiedene Regionen Afrikas antreten. Bleibt der saugende Nachwuchs aus, verringert sich auch die Trypanosomen-Plage. Um jedoch eine Million Weibchen auszubremsen, braucht er rund neun Millionen steriler Männchen – ein immenses Unterfangen.
Wache Forschung
Dennoch sind neue Arzneimittel gefragt. Forscher der University of Dundee, Großbritannien, entdeckten eine vielversprechende Achillesferse in Trypanosoma brucei. Sie hemmten das Parasiten-Enzym N-Myristoyltransferase mit einem speziellen Pyrazolsulfonamid. Bei Mäusen funktionierte die Behandlung zuverlässig, und das ohne große Nebenwirkungen. Auch rechnen die Autoren im Falle einer möglichen Zulassung mit einem preiswerten Arzneimittel, das oral einzunehmen wäre – zwei große Vorteile für die künftige Anwendung. Auf einen anderen Stoffwechselschritt haben es Wissenschaftler aus Italien, Deutschland und Belgien abgesehen. Sie entwickelten am Computer chemische Strukturen, die sowohl die Dihydrofolatreduktase als auch die Pteridinreduktase kalt stellen, zwei wichtige Enzyme in Trypanosomen. Nach der Theorie folgte dann die Praxis: Im Labor wurden 18 mögliche Molekül-Kandidaten getestet. Ein alt bekannter Vertreter war der Favorit: Riluzol, ein Benzothiazol, das bereits zur Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose eingesetzt wird.
Hingegen steht bei Forschungsarbeiten an der Ruhr-Universität Bochum die Unterbrechung der Energieversorgung hoch im Kurs. Ein potenzieller Arzneistoff-Kandidat soll dabei lediglich Glycosomen, also spezielle zelluläre Minikraftwerke, in den Blutparasiten blockieren.