Die Chancen, einen Patienten mit Listeriose anzutreffen, sind ebenso gering wie ein Lottogewinn: Lediglich 45 Fälle gab es 2010 in der Schweiz. Doch im Fachblatt "Schweizer Medizin Forum" warnen Ärzte vor der deutlichen Zunahme der Bazillen - und den ebenso lebensbedrohlichen, wie auch schwer diagnostizierbaren Symptomen der Infektion.
Listerieninfektionen stehen im Zusammenhang mit Rohmilchkäse, Tatar oder Räucherlachs, doch das Thema ist weitaus komplexer. Denn schon die optische Erkennung von Listerium monocytogenes via Mikroskop erweist sich als tückisch. Bei der Gramfärbung kommt die Bazille nämlich einzeln oder in kurzen Ketten vor, und wird „dadurch vom unerfahrenen Auge mit einem Pneumokokkus oder einem Corynebakterium verwechselt“, wie der Autor der Publikation, Daniel Genné, erklärt. Auffällig sei auch „eine Prädominanz der Lymphozyten wie bei der tuberkulösen oder der viralen Meningitis, obgleich auch polynukleäre Leukozyten vorhanden sein können“.
Der winzige Erreger agiert so, als sei er ein Tarnkappenbomber. Weder ist das Eiweiß im Liquor besonders erhöht, noch sinken dort in 40 Prozent aller Fälle die Glukosewerte. Und Genné ergänzt: „In zwei Drittel aller Fälle sind die Bakterien bei einer Gramfärbung des Liquor cerebrospinalis nicht sichtbar“.
Fest steht: Die meisten niedergelassene Ärzte werden sich mit der Causa Listerium monocytogenes allenfalls rein theoretisch befasst haben, denn das Bakterium hat im Medizinalltag Seltenheitswert. Gerade mal 28 Fälle registrierte die Schweiz im Jahr 2009, ein Jahr zuvor lag die Zahl bei 24. Seuchen, das wissen nicht nur Epidemiologen, sehen anders aus.
Besonders empfänglich: Schwangere Frauen
Für Ärzte gleicht ein Listerienfall somit einem Lottogewinn – als Gewinn winkt eine einzigartige Erfahrung mit den möglichen Komplikationen. So tritt eine fieberhafte Gastroenteritis des Patienten innerhalb von 24 Stunden nach dem Befall auf. Die Symptome sind wenig charakteristisch: Fieber, Übelkeit, wiederholtes Erbrechen und wässrige Durchfälle werden von Muskel- und Gelenkschmerzen begleitet.
Als besonders empfänglich für die unliebsame Infektion gelten schwangere Frauen; im letzten Trimester der Schwangerschaft schlagen die Bazillen am häufigsten zu. Gynäkologen rät Genné daher zu Wachsamkeit, denn die Listerien-Attacke kann zum intrauterinen Tod des Fötus führen. „Die Infektion manifestiert sich durch Fieber, Frösteln und Lumbalgien und kann übersehen werden, wenn keine Blutkulturen entnommen werden“, betont der Chefmediziner am HNE - La Chaux-de-Fonds. Als drittes Risiko gilt schließlich der Befall des zentralen Nervensystems. Und auch hier stehen die Ärzte vor dem Diagnoseproblem – zwischen harmloser Symptomatik und Koma sind nämlich alle Stufen möglich. Wer als Arzt die Listerieninfektion seines Patienten rechtzeitig erkennt, greift am besten zu Penicillin G und Amoxicillin. Auf Ceftriaxon zu setzen, das normalerweise zur Behandlung einer Meningitis in Betracht käme, wäre hingegen fatal: Listerien sind gegen den Wirkstoff resistent. Als Ausweg empfiehlt Genné die Kombination von Gentamicin und Amoxicillin.
Bauernhöfe als Listerien-Pool
Womöglich werden sich gerade im Ferienland Schweiz mehr Mediziner mit der Thematik befassen müssen. Forscher der Technischen Universität München (TUM) fanden unlängst nämlich die Bakterien auch im Matratzenstaub von bayerischen Bauernhofkindern. Im Zusammenhang von Bauernhof-Lebensstil und der Vorbeugung von Kinderallergien hatten die TUM-Forscher Staubproben von insgesamt 26 Bauernhöfen in Südbayern untersucht – zum Einen aus den Kuh- oder Schweineställen, zum Anderen von den Matratzen der Kinder. Dazu extrahierten die Wissenschaftler aus allen Proben die DNA und vervielfältigten mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) das Erbgut der enthaltenen Mikroorganismen. Erstaunliches Ergebnis: Listerien fanden sich in 28 Prozent der Tierstall-Proben und in 60 Prozent der Proben aus Matratzenstaub.
Die Befunde aus Bayern verdeutlichen, warum Ärzte im Alpenland Listerieninfektionen kennen sollten. Denn der „Urlaub auf dem Bauernhof“ zählt zu den stark wachenden Segmenten der Tourismusbranche, staatliche Portale wie myswitzerland.com werben mit dem ländlichen Feeling: „Jetzt kann man selber ins Emmental und bei Bauern übernachten - ohne Strom und fliessendes Wasser, dafür im Lieschen-Bett“. Ärzte könnten einer unnötigen Listerien-Panik vorgreifen, indem sie das Fazit der Münchner Studie im Gespräch mit ihren Patienten weitergeben: „Möglicherweise sorgen die Mikroorganismen mit dafür, dass Kinder vom Bauernhof weniger an Allergien leiden als ihre Altersgenossen in der Stadt“.