Der (Früh)Sommer ist auch die Zeit der fliegenden Plagegeister. Normalerweise sind Insektenstiche harmlos, in Einzelfällen aber auch gefährlich. Die Letalität einer anaphylaktischen Reaktion ist extrem hoch. Das Arsenal eingesetzter Pharmaka ist nicht immer hilfreich.
Jährlich sterben schätzungsweise bis zu 250 Menschen an einem anaphylaktischen Schock. Da Anaphylaxien in vielen Fällen nicht als solche erkannt und entsprechend behandelt werden, ist sogar von einer wesentlich höheren Dunkelziffer auszugehen. Genaue Daten gab es bisher nicht, denn es besteht keine Meldepflicht in Deutschland. Das Allergie-Centrum-Charité in Berlin hat ein Meldesystem geschaffen, mit dem möglichst alle anaphylaktischen Reaktionen im deutschsprachigen Raum erfasst werden sollen. Nach Angaben der Leiterin des Registers, Professor Margitta Worm, beteiligen sich mittlerweile mehr als 60 allergologische Zentren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an der Datenerhebung. Die Daten werden anonymisiert und können nachträglich von dem behandelnden Zentrum wieder entschlüsselt werden. Auch niedergelassene Allergologen und Hausärzte können an dem Meldesystem zu Anaphylaxie teilnehmen. Die Datensammlung bildet eine Grundlage für Verbesserungen in der Diagnostik, Behandlung und Prävention von Anaphylaxien und damit letztendlich eine besseren Versorgung der Patienten.
Häufigste Auslöser von Anaphylaxien sind mit fast 40 Prozent Insektenstiche, davon knapp 60 Prozent Wespen. Auslöser einer Insektengiftallergie sind in Deutschland ausschließlich Hautflügler (Hymenopteren), vor allem Honigbienen, Hummeln und verschiedene Wespenarten, zu denen auch die Hornisse gehört. Der Stachel ist im Laufe der Evolution aus der Eilegeröhre entstanden. Männliche Hautflügler wollen also nur spielen, stechen können sie nicht. Wespen haben im Vergleich zu Bienen kürzere Stechborsten und eine kräftigere Muskulatur. Sie können deshalb den Stachel meist aus der Haut wieder herausziehen und erneut stechen. Wespen sind kurzsichtig und kommen uns deshalb sehr nahe. Anpusten und mit den Händen wedeln werten Sie als Angriff und wehren sich. Im Gift sind biogene Aminen, Polypeptide, Kinine und Enzyme enthalten. Der Hauptteil besteht aus Histamin, Adrenalin und Acetylcholin. Auch Serotonin und Dopamin sind enthalten, glücklich macht ein Stich dennoch nicht. „Drei Hornissen können einen Menschen, sieben ein Pferd töten“, diese Laienmeinung ist falsch. Bei einer Allergie reicht ein Stich völlig aus.
Eine schwere Anaphylaxie liegt nach der aktualisierten Leitlinie der deutschen Fachgesellschaften zur "Akuttherapie anaphylaktischer Reaktionen" dann vor, wenn außer Hautsymptomen Befunde wie Erbrechen, Bronchospasmus, Zyanose, Schockzustand (Grad III) oder gar Atemstillstand oder Kreislaufstillstand (Grad IV) hinzukommen.
Adrenalin und Kühlen bei lokalen Reaktionen
Allergische Reaktionen nach Stichen von Stechmücken oder Bremsen sind selten. Es kann jedoch abhängig von der Giftmenge eine erhebliche Schwellung an der Einstichstelle auftreten. Überreagierende Allergiker in schlechter Tagesform sind in ihrer Reaktion allerdings nie optimal einzuschätzen. Es bleibt immer ein Restrisiko. Bei Bienen- oder Wespenstichen im Rachenraum sollte sofort gehandelt werden. Ein „bedächtiges Zuwarten“ ob es schlimmer wird, kann den Patienten das Leben kosten. Gerade bei Kindern kann die Trachea innerhalb von Minuten zuschwellen. Sofort Notarzt rufen, mit Eis von Innen und Außen Kühlen. Soweit verfügbar sollte sofort Adrenalinspray in den Rachenraum gesprüht werden. Kortison i.v. ist zwar hilfreich, wirkt aber zeitverzögert.
Antihistaminika oder Calcium?
Die Effizienz von oralen Antihistaminika oder gar Calcium wird in einem derartigen Notfall als kontrovers diskutiert. Calciumionen sind in die Liberation von Histamin aus den Mastzellen eingebunden. Wird der Calciumkanal geöffnet, kann allergenes Histamin aus der degenerierten Mastzelle austreten. Will man antiallergisch vorgehen, müsste man Calcium entziehen. Mastzellstabilisatoren wie Natriumchromoglycat schützen die Mastzelle vor einer Calciumüberladung. KEIN calciumhaltiges Medikament führt in seiner Fachinformation allergische oder gar anaphylaktische Reaktionen auf. Auch Nahrungsergänzungsmittel erwähnen lediglich eine „Verzehrempfehlung einer calciumreichen Diät“ drücken sich aber vor dem Wort Allergie. Es ist als Werbelyrik anzusehen, wenn auf derartigen Präparaten eine Sonne abgebildet ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist der Einsatz von Calcium zur Allergie(prophylaxe) in Deutschland weit verbreitet. Es existieren hierzu keine (evidenzbasierten) Studien.
Antihistaminika der 2. Generation (Loratadin, Cetirizin) agieren als kompetitive Antagonisten und können erst dann am Rezeptor andocken, wenn dieser wieder freigegeben ist. Histamin hat die höhere Affinität. Antihistaminika der 1. Generation wie Dimetinden blockieren nicht den Rezeptor, sondern schalten den gesamten Histamin-Rezeptorkomplex auf „inaktiv“. Das geschieht rasch und hocheffizient, leider erkauft man sich dies mit einer starken Sedierung. Diese ist beim Notfallpatienten jedoch nicht erwünscht. Notfallset ist ein Muss!
Erschreckend ist die Tatsache, dass nur 3,4 Prozent der Patienten ein Notfallset mit Adrenalin besitzen. Dabei sind Allergiker, die schon einmal überraschend stark auf ein bestimmtes Allergen reagiert haben, besonders gefährdet für eine Anaphylaxie. Besonders diese Patientengruppe profitiert von einem Notfallset, das im Falle von akuten Beschwerden immer schnell zur Hand sein sollte. Risikopatienten sollten auf jeden Fall ein Notfallset bei sich haben, in dem je nach Allergierisiko auch ein Adrenalinpräparat enthalten ist. Adrenalin kann vom Laien mit einem entsprechend dosierten Autoinjektor selbst injiziert werden. Adrenalinpräparate zur Selbstinjektion gibt es in verschiedenen auf die Patienten abgestimmten Dosierungen. Auch für Kinder gibt es passend dosierte Präparate. Ins Notfallset gehören außerdem ein Antihistaminikum, ein Kortisonpräparat und (bei Asthmapatienten/nur bei Atemnot) ein Asthma-Spray. Alle Medikamente müssen regelmäßig auf ihr Haltbarkeitsdatum überprüft werden. Kortison benötigt 0,5 bis 1 Stunde ehe die Wirkung eintritt. Die Leitlinie empfiehlt die sofortige intramuskuläre Applikation von 0,3 bis 0,5 mg Adrenalin (bei Kindern 0,1 mg/10 kg Körpergewicht) in die Außenseite des Oberschenkels. Diese Therapie könne bei Bedarf je nach Wirkung und unerwünschten Wirkungen alle 10 bis 15 Minuten wiederholt werden.
Allergietests sind frühestens drei Wochen nach der Allergie-Reaktion sinnvoll, da der Körper seine ganzen Vorräte an IgE verbraucht hat. Dann gelingt auch der entsprechende Bluttest (RAST) nicht, denn auch er ist auf die Anwesenheit der Antikörper angewiesen.
Wenn Maja, Willi & Co ihren Stachel zum Einsatz gebracht haben, helfen lokale Antihistaminika und Lokalanästhetika und das Kühlen der betroffenen Stelle. Nicht sinnvoll sind ätherische Öle wie Teebaum oder Pfefferminz. Nach einer subjektiven Kühlung folgt die lokale Hyperämie und dann wird die Juckqual noch stärker.