1961 verschrieben Kollegen in Deutschland die erste „Pille“, eine Hormonbombe mit vielen Nebenwirkungen. 50 Jahre später sind zahlreiche gut verträgliche Präparate erhältlich. Und durch die Wahl spezifischer Wirkstoffe werden diese auch therapeutisch eingesetzt.
Immer noch die Methode der Wahl: Laut einer aktuellen Untersuchung des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden verhüten mehr als die Hälfte aller Frauen zwischen 18 und 49 Jahren mit der Pille. Auf Platz zwei folgen Kondome, 37 Prozent haben „Gummis“ den Vorzug gegeben. Die Spirale liegt auf dem dritten Platz, durchschnittlich jede zehnte Frau lässt sich ein Intrauterinpessar einsetzen. Vaginalringe, Dreimonatsspritzen oder Hormonzäpfchen verwendeten gar nur wenige Prozent der Befragten.
Zwei Wirkstoffe bestimmen die Funktionsweise hormoneller Kontrazeptiva: Östrogene verringern die körpereigene Produktion des follikelstimulierenden Hormons und damit die Reifung der Eizellen. Gestagene hingegen unterbinden deren Einnistung in der Gebärmutter.
Spaß ohne Reue?
Enthielten die ersten Präparate noch große Mengen an Östrogenen und Gestagenen, sind heute etliche östrogenfreie Präparate verfügbar. Auch die Hormonmengen haben sich verringert. Handelsübliche Kontrazeptiva enthalten meist nur noch 0,02 bis 0,035 Milligramm Ethinylestradiol. Dennoch befürchten viele Patientinnen, dass Kontrazeptiva langfristig ihrer Gesundheit schaden könnten. Epidemiologen geben zumindest teilweise Entwarnung: Kurz nach Einführung der „Pille“ startete in England eine groß angelegte Kohortenstudie mit 46.000 Frauen. Das Ergebnis: Unter oraler Kontrazeption sank die Sterblichkeit sogar. Das betraf sowohl verschiedene Krebserkrankungen als auch Leiden des Herz-Kreislauf-Systems.
Kollegen um David Cibula, Prag, haben nun in einer Metaanalyse speziell Karzinomrisiken unter die Lupe genommen. Sie fanden keinen Anstieg unter hormoneller Kontrazeption. Bei Endometrium- und Ovarialkarzinomen habe sich sogar ein protektiver Effekt gezeigt.
Den Thromboserisiken gingen dänische Epidemiologen im Detail nach. Im Rahmen einer Follow-up-Studie fanden sie unter hormoneller Kontrazeption bei sechs von 10.000 Frauen eine Thromboembolie. In der Vergleichsgruppe wurden lediglich drei Fälle pro 10.000 Probandinnen nachgewiesen. Bei Raucherinnen verdreifachte sich der Wert unter der „Pille“. Klein und fein
Wie so oft macht auch bei hormonellen Kontrazeptiva die Dosis das Gift: Einer Veröffentlichung im British Medical Journal zufolge verringerten sich Thrombosen um nahezu 30 Prozent bei der Einnahme von 0,03 bis 0,04 mg Ethinylestradiol statt 0,05 mg. Und bei Präparaten mit 0,02 Milligramm ging der Wert um weitere 18 Prozent hinunter.
Minipillen enthalten ausschließlich ein niedrig dosiertes Gestagen wie beispielsweise Desogestrel oder Levonorgestrel. Allerdings verzeihen sie Einnahmefehler weitaus schlechter als Östrogen-Gestagen-Präparate. Mehrere Untersuchungen ergaben einen Pearl-Index, also Schwangerschaften pro 100 Anwenderinnen und Jahr, von bis zu 3,0. Bei neueren Präparaten wurden bessere Werte um 1,4 veröffentlicht. Kombipräparate hingegen liegen unangefochten auf der sicheren Seite mit einem Pearl-Index von maximal 0,9. Nicht nur verhüten, sondern heilen
Durch die Wahl eines bestimmten Gestagens lassen sich heute auch Erkrankungen lindern. Bei Akne und Seborrhoe hilft Chlormadinon. Und Drospirenon verringert die Wirkung von Mineralkortikoiden. Der Arzneistoff beugt einer Flüssigkeitseinlagerung vor, etwa bei Spannungsgefühlen in der Brust. Dafür zahlen Anwenderinnen aber einen hohen Preis. Bereits 2003 veröffentlichte Kees van Grootheest vom niederländischen Pharmacovigilance Centre Lareb Daten zur Thrombose unter Drospirenon. Zwei neue Fall-Kontroll-Studien bestätigten jetzt die Gefahren dieses Wirkstoffs im Vergleich zu Levonorgestrel. Hingegen verweist der Hersteller auf eine prospektive Studie, die keine Besonderheiten an den Tag legte.
Dienogest, ein künstliches Gestagen, hilft speziell Patientinnen mit Regelproblemen und Endometriose. Der Wirkstoff verringert das Blutvolumen der Menstruation um bis zu 80 Prozent. Kollegen der University of Florida, USA, verglichen in einer aktuellen Metaanalyse den Effekt dieses Pharmakons mit der Entfernung der Gebärmutterschleimhaut. Bei dysfunktionellen Blutungen sei der Nutzen durchaus mit dem Erfolg chirurgischer Gewebeentfernungen vergleichbar. Mit der „Pille“ in die Schwangerschaft
Auch für den Weg zum gesunden Kind soll die „Pille“ künftig helfen. Frauen, die ihre oralen Kontrazeptiva absetzen wollen, um schwanger zu werden, können sich in den USA Kombipräparate mit Levomefolat, einem stabilen Abkömmling der Folsäure, verschreiben lassen. Das Vitamin ist essenziell für eine gesunde embryonale Entwicklung, durch die Nahrung wird meist zu wenig aufgenommen. Da sich das Neuralrohr bereits gegen Ende des ersten Schwangerschaftsmonats verschließt, also zu einem Zeitpunkt, an dem viele Patientinnen noch gar nicht wissen, dass Nachwuchs im Kommen ist, soll bereits vor der Empfängnis ein hoher Spiegel des Vitamins erzielt werden. Selbst nach dem Absetzen des Kontrazeptivums bleibt dessen Spiegel für mehrere Wochen erhalten.
Lust oder Frust?
Gut geschützt, Spaß weg? Der oft diskutierten Frage, ob Kontrazeptiva die Lust rauben, gingen Forscher der Uni Heidelberg nach. Sie befragten 1086 Medizinstudentinnen nach ihrem Sexualverhalten und ihrer Verhütung. Bei Frauen, die zu Hormonen griffen, immerhin rund 87 Prozent, fanden die Wissenschaftler deutlich öfter Anzeichen einer weiblichen sexuellen Dysfunktion (Female Sexual Dysfunction). Probandinnen, die hingegen nicht oder nur selten mit Hormonen verhüteten, wären mit ihrem Sexualleben deutlich zufriedener, so die Autoren.
Notfallprogramm gestartet
Kondom geplatzt, Verhütung vergessen? Bei entsprechenden Pannen bleibt immer noch die „Pille danach“. Präparate mit Levonorgestrel sind mittlerweile in 17 europäischen Ländern ohne Rezept erhältlich, Ausnahme Deutschland. Die Entlassung aus der Verschreibungspflicht konnte unerwünschte Schwangerschaften kaum verringern, wie eine Studie der britischen Nottingham University Business School bei Teenagern zeigte. Zudem infizierten sich mehr Mädchen an sexuell übertragbaren Krankheiten: zwölf Prozent bei den unter 16-Jährigen und fünf Prozent bei den unter 18-Jährigen.
Forschung: Männer im Mittelpunkt
Nach 50 Jahren Forschung konzentrieren sich Pharmakologen immer mehr auf die Pille für „ihn“. Der Wunschtraum ist jetzt ein Stück näher gerückt: Forscher der Universität Homburg an der Saar haben einen Weg gefunden, um den Reifungsprozess von Spermien zu stoppen. Ein Kalziumkanal scheint eng mit der Fertilität der schwimmenden Befruchter verknüpft zu sein. Und Bonner Wissenschaftler entdeckten, dass weibliches Progesteron Spermien über einen anderen Kalziumkanal in Richtung Eizelle dirigiert. Die Jagd auf mögliche Hemmstoffe beginnt.