Seit Monaten machen Nutzer von Naturheilmitteln ihrem Ärger Luft. Heilpraktiker und Naturheilkundler fürchten um ihre Existenzgrundlage, Anhänger um die Behandlung. Was war passiert? Das Phänomen lässt sich als „Massenirrtum“ beschreiben.
„Ab dem ersten Mai sind in der EU viele pflanzliche Arzneimittel verboten, was viele von uns dazu zwingt, pharmazeutische Arzneimittel einzunehmen, um damit die Profite der großen Pharma-Konzerne noch weiter zu mehren“, steht im Begleittext einer Petition, die schon über 800.000 Menschen unterschrieben haben. „Naturstoffe, die eine heilende Wirkung haben, werden in Zukunft wie eine gefährlich Droge behandelt“, heißt es in einem Blog. Werden Thymian-Tee und Pfefferminze künftig nur noch auf dem Schwarzmarkt zu kaufen sein? Sicher nicht. Den es handelt sich um einen großen Irrtum, bei dem Fakten verdreht und Fehlinformationen verbreitet wurden.
Richtig ist, dass es eine EU-weite Regelung für mild wirksame traditionelle Arzneimittel gibt. Neu ist diese allerdings nicht. Die viel diskutierte Richtlinie EG 2004/24/EG, auch bekannt als Traditional Herbal Medicinal Products Directive (THMPD), wurde im Jahr 2004 in der EU beschlossen und ist schon seit September 2005 in deutsches Recht umgesetzt. Lediglich die Übergangsfrist für diese Richtlinie endete am 30. April. Allerdings ohne dass Thymian, Lavendel oder Knoblauch vom Markt verschwunden sind.
Verbot oder nicht Verbot - Das ist hier die Frage
Denn nicht Heilpflanzen sind Gegenstand der Regulierung, sondern pflanzliche Arzneien. Und auch ein Verbot wurde nicht ausgesprochen. Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit muss für alle Arzneimittel eine Zulassung beantragt werden, bevor sie in der EU auf den Markt gebracht werden dürfen. Diese Richtlinie sorgt nun für eine Vereinfachung des Registrierungsverfahrens und zwar für Arzneimittel auf Basis pflanzlicher Wirkstoffe, die auf traditioneller Anwendung beruhen. Als solche Produkte stuft die EU Phytopharmaka ein, die seit mindestens 30 Jahren verwendet werden, davon mindestens 15 Jahre in der EU. Dazu zählen beispielsweise Calendula officinalis, Echinacea purpurea oder Hamamelis virginiana. Danach dürfen diese Produkte ohne aufwändige und teure klinische Versuche, die für ein vollständiges Zulassungsverfahren erforderlich wären, registriert werden. Unternehmen mussten lediglich Unterlagen vorlegen, aus denen hervorgeht, dass es unter den angegebenen Verwendungsbedingungen nicht schädlich ist und sich das Produkt in den zurückliegenden Jahrzehnten bewährt hat. In Deutschland gelten etwa 500 der weit über 2.000 zugelassenen Phytopharmaka als traditionelle pflanzliche Arzneimittel.
Die Auswirkungen für Deutschland sind noch aus einem anderen Grund gering, denn hierzulande gibt es schon seit Jahren ähnliche Standards wie nun von der EU vorgesehen. Einige Mitgliedstaaten hatten solche Produkte zuvor jedoch überhaupt nicht oder anders reguliert. Hier herrscht nun Einheitlichkeit.
"Tee ist bah"
Beruhigt werden kann auch dieser verärgerte Blog-Schreiber: „Wenn ich Bauchschmerzen habe und mir zur Linderung einen Tee kaufen möchte sagt die EU: "Nichts da du böser Bube, Tee ist bah, kipp dir Chemie in den Bauch"? Die EU-Vorgabe beschränkt sich auf Fertigarzneien, die industriell hergestellt und verpackt werden. Lebensmittel sind nicht betroffen. Knoblauch, Pfefferminze und Zimt oder auch Zubereitungen wie Tees bleiben in den Regalen der Supermärkte erhältlich, auch wenn diese Produkte als Bestandteil in rezeptfreien Arzneimitteln zu finden sind. Das Gleiche gilt natürlich für Kräuter, die auf der Wiese oder im heimischen Garten wachsen. Auch wenn der Apotheker eine Lösung oder Creme anrührt, kann er das weiterhin tun.
Nur wer eine Arzneimittelfirma eröffnet und Minzöl gegen Heuschnupfen verkaufen möchte, der muss sich den Richtlinien der Arzneimittelzulassung unterwerfen. Denn zur Sicherheit der Patienten gehören Arzneimittel jeglicher Form geprüft und sollten sich einem gründlichen Zulassungsverfahren unterziehen. Und diese Prüfung sollte nach Möglichkeit überall in der EU gleich aussehen. Denn nicht immer sind Naturarzneien die sanftere Alternative. Die Natur birgt einige der stärksten Gifte, die wir kennen, und pflanzliche Arzneimittel können ebenso zu Nebenwirkungen führen wie komplett synthetische.