Anfang Juni wird der neue Präsident der Bundesärztekammer gewählt. Anlass für DocCheck, die Kandidaten genauer unter die Lupe zu nehmen. Den Anfang macht Günther Jonitz, aktueller Präsident der Ärztekammer Berlin.
Sie haben zur nächsten Wahl zum Präsidenten der Bundesärztekammer Ihren Hut in den Ring geworfen und kandidieren für das Amt. Wann ist in Ihnen diese Entscheidung gereift?
Vor vier Jahren hatte ich für das Amt des Vizepräsidenten der Bundesärztekammer kandidiert. Damals wurde deutlich, dass mich ein großer Teil der Delegierten des Ärztetages trägt. Als Kandidat für die Nachfolge von Professor Hoppe habe ich mich öffentlich erklärt, als er im Vorstand der Bundesärztekammer ankündigte, nicht erneut kandidieren zu wollen, also Ende November 2010.
Was sehen Sie im Falle Ihrer Wahl als Ihre Hauptaufgaben an?
Die Ärzteschaft muss die inhaltliche Führungsrolle in der Gesundheitspolitik übernehmen. Dazu gehört die Erarbeitung eines gesundheitspolitischen Konzeptes, das zunächst die Herausforderungen der Gegenwart thematisiert. Dazu zähle ich etwa die Leistungsexplosion der Medizin, den demographischen Wandel, die neue Rolle der Ärzteschaft und das Versagen des Organisationsprinzips Fließband. Außerdem muss ein politischer Masterplan definiert werden - Werteorientierung und Optimierung des Systems statt Defizitorientierung und Dezimierung. Die Fremdbestimmung und Benachteiligung, die die Ärzteschaft derzeit durch Politik und Krankenkassen erlebt, muss beendet werden. Dazu müssen ein breiter innerärztlicher Dialog geführt und alle Meinungen, auch die der Unzufriedenen, gehört werden. Das gesundheitspolitische Potential der Ärzteschaft, der Ärztekammern und Verbände ist sehr groß. Es muss genützt werden.
Unter Ihren Kollegen und Mitstreitern gelten Sie als ausgesprochen Online- beziehungsweise Web-affin - was ist darunter genau zu verstehen?
Nun, mit Anfang 50 Lebensjahren gehöre ich zwar nicht zur Generation Twitter, aber ich nütze die Möglichkeiten der modernen Kommunikation gerne und oft. Es ist die beste Möglichkeit, ohne zeitliche Vorgaben andere Menschen, Mitstreiter, Kritiker und Betroffene zu erreichen, sich auszutauschen und eine gemeinsame Meinung zu bilden. Das Internet ist für mich eine großartige Ressource für Informationen und Meinungen. Soziale Netzwerke sind eine sehr gute Gelegenheit, Kolleginnen und Kollegen aus der Isolation und Ohnmacht herauszuholen und sich gegenseitig zu stärken. Leider sind meine wenigen Konten in sogenannten sozialen Netzwerken eher verwaist. Selbstdarstellung versuche ich knapp zu halten.
Als Gründungsmitglied des Aktionsbündnis Patientensicherheit haben Sie sich intensiv mit dem Fehlermanagement in der Ärzteschaft und in Kliniken auseinandergesetzt. Wollen Sie diesen Weg fortsetzen und wie?
Patientensicherheit ist die konkrete Umsetzung des primum nil nocere, also einer werteorientierten Gesundheits- und Standespolitik. Der schleichende Abbau von Qualitäts- und Sicherheitsstandards zugunsten ökonomischer oder politischer Vorgaben auf dem Rücken der Ärzte hatte mich vor rund zwanzig Jahren in die Standespolitik geführt. Es ist Unrecht gegenüber Arzt und Patient, wenn einer alleine im Hausbesuch oder Nachtdienst die Verantwortung für Fehler der Politik auszubaden hat. Das Thema Patientensicherheit zeigt exemplarisch, wie die Ärzteschaft erfolgreich ein an sich sehr heikles Thema selber auf die Agenda nimmt und konkret zur Verbesserung von Politik und Patientenversorgung beiträgt. Unser Ansehen wurde dadurch gestärkt. Dies ist der eigentliche strategische und standespolitische Erfolg. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit, maßgeblich getragen von einem einstimmigen Beschluss des Deutschen Ärztetages, war die Voraussetzung dafür, dass über dieses Thema tabufrei gesprochen und gehandelt werden kann. Nur ein sicheres Gesundheitswesen garantiert eine gute Versorgung. Deswegen wird dieses Thema auch mein Thema bleiben, egal in welcher Funktion ich Verantwortung übernehmen darf. Konkret bedeutet dies, dass Fortbildungsmaßnahmen und das bundesweite CIRSmedical.de gestärkt und die Voraussetzungen für eine sichere Versorgung eingefordert werden müssen.
Ein paar Stichworte - was fällt Ihnen ganz spontan dazu ein? Ärztepräsident
Primus inter pares
Ausstieg aus dem Kassensystem
Ist keine Lösung der unsicheren Finanzierungsgrundlage des Gesundheitssystems, sondern Gefahr des Wildwuchses für Arzt und Patient. Die Krise der GKV ist Ausdruck des politischen Missbrauchs - ich sage nur Verschiebebahnhof- und einer kurzsichtigen Gesundheitspolitik. Für eine solide Finanzierung braucht es eine solide Gebührenordnung, eine GOÄ-Reform, die die Grundlage für die Kalkulation aller ärztlichen Leistungen darstellt. Die Finanzierung der Krankenkassen muss gestärkt werden. Dazu hat der Deutsche Ärztetag beispielsweise im Ulmer Papier gute Vorschläge gemacht. Politik und Gesellschaft müssen die Frage beantworten, ob die Werte Subsidarität und Solidarität in der gegenwärtigen Form erfüllt und Gerechtigkeit erreicht wird. Das Prinzip der tatsächlichen Kostenerstattung durch die Krankenkassen hätte viele Vorzüge.
Evidenzbasierte Medizin
EbM als Verbindung von bestem Wissen, der Erfahrung des Arztes und den Bedürfnissen des Patienten macht den Arzt stark und die Medizin leistungsfähig. Sie ist als Technik und Tugend die Grundlage ärztlichen Handelns und Grundlage für das Vertrauen in die Ärzteschaft. Durch den systematischeren Zugang zur Antwort auf die Frage ‘was hilft?‘, können nützliche von wenig sinnvollen, aber oft nebenwirkungsträchtigen und teuren Verfahren unterschieden werden. Die Souveränität des Arztes wird dadurch gestärkt. Und was heilt, muss oder sollte vom System gewährleistet und vom Arzt erbracht werden können. Evidenzbasierte Medizin in ärztlicher Hand ist ein wichtiges Werkzeug. Bei Leitlinien und zur Definition des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft ist EbM unabdingbar.
Hausarzt-/Facharzt-Debatten
Eine wunderbare Kampagne zur Spaltung der Ärzteschaft. Bis dato hatten fast alle Bürgerinnen und Bürger ihren Hausarzt frei gewählt und problemlos. Jetzt besteht die Herausforderung in der Neudefinition der Rolle, Zuständigkeiten und Aufgabenteilung. Die über Jahrzehnte selbstverständliche Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten muss wieder hergestellt werden und darf auch gerne vertraglich, zum Beispiel in bestimmten Regionen (ländliche Versorgung) oder für bestimmte Patientengruppen, etwa analog des Diabete-Mellitus-Projekts in Sachsen, vertraglich geregelt werden. Die nötigen kassenrechtlichen Voraussetzungen sind gegebenenfalls zu schaffen.
Verpflichtung zur Zertifizierten Fortbildung
Grundsätzlich angelegt als Alibiprojekt zur vermeintlichen Kompetenzsteigerung der Ärzteschaft und damit Zeichen des politischen Misstrauens, gibt es den Ärztekammern die Möglichkeit, gute von eher marketing-getriebener Fortbildung zu unterscheiden und somit besser zu gestalten. Verpflichtung hilft nicht. Gute Fortbildung, die dem Arzt hilft, seinen Beruf besser auszuüben, wird von alleine nachgefragt.
Landflucht/Ärztemangel
Wer einen freien Beruf jahrelang diffamiert und zunehmender Fremdbestimmung aus ökonomischen Vorgaben und der Bedrohung durch Regresse und übermächtiger Konkurrenz durch industrielle Gesundheitsbetreiber aussetzt und mit der Letztverantwortung für Qualität und Kosten alleine lässt, braucht sich über die Folgen, Ärztemangel, nicht zu wundern. Ohne eine Aufwertung und Wertschätzung des Arztberufes und eine sichere Arbeits- und Lebensgrundlage werden die Probleme zunehmen. Zur Behebung des Landarztmangels müssen neue Wege gesucht werden. So könnte es für langjährig im Krankenhaus tätige Ärztinnen und Ärzte eine schönere berufliche Perspektive sein, die letzten fünfzehn oder zwanzig Berufsjahre im ländlichen Raum bei besserer organisatorischer Unterstützung zu wirken. Junge Ärztinnen und Ärzte zu einer dauerhaften Tätigkeit auf dem Land zu bewegen, ist schwer.
Priorisierung im Gesundheitswesen
Ein absolut richtiges und ethisch gebotenes Vorgehen zu einer Werteorientierung in der Gesundheitspolitik. Nur wenn über die Sinnhaftigkeit medizinischer Maßnahmen oder den Bedarf bestimmter Patientengruppen öffentlich nachgedacht und diskutiert wird, kann die weiche Rationierung gestoppt werden. Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer hat dazu wesentliche Vorarbeiten geleistet. Länder, in denen Priorisierungsdebatten normal oder gar gesetzlich vorgeschrieben sind, haben mit Rationierung weniger und mit dem Vertrauensverlust eher keine Probleme.
Das Gesundheitssystem ist ja insgesamt seit Langem in der Krise. Wie lauten Ihre Therapievorschläge?
Die Krise im Gesundheitssystem ist die Krise des Organisationssystems: Die Beteiligten arbeiten nacheinander anstatt miteinander, die Summe des Eigennutzens der Beteiligten addiert sich nicht zum Gesamtnutzen, sondern zum Schaden des Systems. Der Schwarze Peter wird durchgereicht bis zum letztverantwortlichen Arzt oder Ärztin. Diese verweigern sich zunehmend diesem System. Der Ausweg ist die Werteorientierung, also Qualität und Sicherheit, an dem sich die Kosten orientieren müssen. Das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung von Politik, Kassen, Leistungsträgern und Patienten muss gefördert werden. Die Ärzteschaft muss diesen Wandel anführen, vom Opfer politischer Prozesse zum Gestalter.
Fakten zu Günther Jonitz
Lesen Sie morgen den zweiten Teil der Reihe mit dem Kandidaten Dr. Frank Ulrich Montgomery.