Eine neue Betrachtungsweise des Morbus Alzheimer unter Berücksichtigung moderner Diagnoseverfahren war längst überfällig. Nach 27 Jahren erarbeiteten US-Experten nun neue Leitlinien.
Fast drei Jahrzehnte vergingen bis das US-National Institute on Aging und die Alzheimer Association neue diagnostische Leitlinien für die Alzheimer-Erkrankung erarbeiteten. Jetzt sind pathophysiologische und klinische Veränderungen in drei Stadien definiert: Präklinisches Stadium, Stadium milder kognitiver Einbußen (Mild Cognitive Impairment, MCI) und Stadium der Demenz.
Rechnung getragen wird damit dem gesamten Spektrum der Erkrankung und nicht nur dem Spätstadium der Demenz, wie in den alten Leitlinien der Fall. Die Unterscheidung in pathophysiolgische und klinische Veränderungen macht deutlich, dass beides nicht unbedingt miteinander einhergeht. So kann ein Mensch pathophysiologische Veränderungen aufweisen, jedoch Zeit seines Lebens keine Symptome entwickeln und infolge einer anderen Erkrankung sterben. Denn zwischen Beginn von Veränderungen und symptomatischer Erkrankung können Jahrzehnte liegen.
Stadium I: Präklinisches Stadium
Dem präklinischen Stadium kommt große Bedeutung zu, was jedoch derzeit keine praktische Relevanz für Ärzte und Patienten hat. Es beschreibt die Phase, in der es zu Hirnveränderungen kommt. Beta-Amyloid-Akkumulationen sind in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) nachweisbar, Amyloid ist daneben in der zerebrospinalen Flüssigkeit vermindert. Doch ist unklar, wie hoch das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimerdemenz tatsächlich ist. Biomarker dienen am ehesten der Forschung, denn es fehlt eine Standardisierung, die einen klinischen Einsatz erlauben würde.
Stadium II: Mild Cognitive Impairment (MCI)
Gedächtnisstörungen machen sich bemerkbar, sind klinisch messbar, schränken die Unabhängigkeit einer Person jedoch nicht merklich ein. Es kann sich eine Alzheimerdemenz entwickeln, aber auch eine andere Form der Demenz, z.B. eine vaskuläre Demenz. Bei der Unterscheidung könnten Biomarker helfen, darunter ein verringertes Beta-Amyloid und ein erhöhtes Tau-Protein im Liquor, letzteres Zeichen der Nervendegeneration. Auch die Glukoseaufnahme einiger Hirnareale ist gestört, was mittels PET nachweisbar ist. Die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) ist geeignet Hirnatrophien nachzuweisen.
Wenn auch Biomarker derzeit in erster Linie für die Forschung interessant sind, könnten sie in Einzelfällen klinisch nützlich sein. Sind Biomarker nicht nachweisbar, spricht das für eine andere Form der Demenz.
Stadium III: Alzheimer-Demenz
Die Demenz als finales Stadium der Krankheit ist für Ärzte, Patienten und deren Familie natürlich am bedeutsamsten. Der kognitive Abbau schreitet fort. Außerhalb des Gedächtnisverlusts können andere Bereiche der Kognition auffällig sein: Wortfindung, Aspekte des Sehens und der Räumlichkeit oder gestörtes logisches Denken und gestörte Urteilsfähigkeit sind mögliche erste Symptome, die bemerkt werden. Biomarker können in Einzelfällen helfen, Diagnoseunsicherheiten zu beseitigen. Doch besitzen sie keine sichere Aussagekraft.
Flexible Leitlinien lassen Platz für Neues
Das Begreifen der Alzheimer-Erkrankung als langjährigen Prozess, der in Phasen verläuft, zeigt die Bedeutung der Frühdiagnose, auch wenn derzeit zum einen mangels sicherer diagnostischer Möglichkeiten, zum anderen mangels therapeutischer Optionen in der Praxis diese kaum Berücksichtigung finden kann. Klinische Studien könnten das ändern, sodass eines Tages interveniert werden kann, bevor das Gehirn unwiderruflich geschädigt ist. Die Stadieneinteilung in den Leitlinien ist nützlich, denn sie kommt dem Bemühen, ein einheitliches Vokabular zu schaffen, näher. Und dennoch ist sie offen genug, um neue Technologien und Fortschritte im Verstehen des Krankheitsprozesses aufzunehmen.