Weil Nachwuchsmangel die Branche plagt, setzen Neurologen anlässlich des Wissenschaftsjahres 2011 eine Offensive in Gang. Die Jungen Neurologen gelten als unabhängige Nachwuchsorganisation - und wollen den Berufsstand auf Vordermann bringen.
Kaum eine andere medizinische Fachgruppe geht derzeit so offensiv an die Öffentlichkeit, wie Deutschlands Neurologen-Nachwuchs. Den „Jungen Neurologen“ gelang das, wovon die „Jungen Wilden“ mancher Volkspartei nur träumen dürfen: Den Akzeptanz-Vorstoß innerhalb der Bevölkerung.
Vom 11. April 2011 bis zum 8. Mai beispielsweise fand man die Nachwuchs-Neurologen im Rahmen des Wissenschaftsjahrs „Gesundheitsforschung – Forschung für unsere Gesundheit“ bundesweit präsent. Denn als Partner der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) ausgerichteten Motto-Show standen erstmals auch die Jungen Neurologen auf der Agenda. Was Dieter Bohlen seit acht Staffeln ohne überzeugenden Beleg für die Nachhaltigkeit des Erfolgs seiner Kandidaten abliefert, stemmen die Jungen Neurologen auf ihre Weise – und mit beachtlichen Ergebnissen.
Denn die Gruppe kümmert sich neben Ausbildungsfragen „insbesondere um die Nachwuchsarbeit in der Neurologie“, wie die DGN betont. „Das Gehirn ist ein lebenswichtiges und gleichzeitig faszinierendes Organ, der Beruf eines Neurologen ist spannend wie der eines Detektivs“, sagt Martin Wolz, Neurologe an der Universität Dresden und Sprecher der Jungen Neurologen. Die unabhängige Nachwuchsorganisation der Deutschen Gesellschaft für Neurologie entstand in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN) und dem Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN). Ein umfangreicher Web-Auftritt und Besuche an Schulen oder Universitäten sollen Kids und Studies für die große Neuro-Show im späteren Arztleben motivieren.
Neuro-Casting als letzte Chance?
Das kreative Neuro-Casting kann Deutschland auf das vorbereiten, was ohnehin als gesicherte Erkenntnis gilt: Die Republik vergreist – und die neurologischen Herausforderungen steigen. Glaubt man den Analysen der DGN, wird die Anzahl der zwei Millionen bereits heute behandelten Patienten pro Jahr in Zukunft „rasant“ ansteigen. Ohnehin hat sie sich in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt. Zwar hat sich auch die Zahl der Neurologen im gleichen Zeitraum verdreifacht, nur: Das reicht nicht. Tatsächlich droht Deutschland ohne massive Aufstockung seines Neurologenpools ein GAU in der Bevölkerung, wie der jüngste Bericht „Strukturdaten Neurologie“ offenbart. Darin heißt es: „So wird der Anteil der über 65-Jährigen von derzeit rund 20 Prozent auf deutlich mehr als 30 Prozent im Jahr 2050 ansteigen. Der Anteil der über 85-Jährigen in dieser Gruppe wird sich bis dahin verdoppeln“.
Volkswirtschaftlich gleicht das einem schlimmen Szenario, denn schon heute gehen nach der ICD-10-Systematik rund 164.000 Erwerbstätigkeitsjahre durch „Krankheiten des Nervensystems“ verloren. Dabei ist das eher eine optimistische Zählweise, der die DGN skeptisch gegenübersteht: „Tatsächlich aber gründen 448.000 verlorene Erwerbstätigkeitsjahre auf neurologischen Ursachen“. Doch lediglich rund 4200 Neurologen stehen dem wachsenden Problem bundesweit gegenüber, rund 2900 davon arbeiten in 449 stationären Einrichtungen.
Gewiss, verglichen etwa mit dem Jahr 1993, in dem lediglich 1270 Neurologen die Republik bevölkerten, ist der Anstieg unverkennbar. Doch gemessen am Bedarf reiche das Angebot bei weitem nicht, betont die DGN. Denn die Fallzahlen haben sich allein in den Akut- und Unikliniken von 400.000 auf rund 800.000 verdoppelt – in 15 Jahren. Wie dramatisch die Lage ist, lässt der Blick auf die neurologischen Praxen erahnen. Weniger als 800 davon gibt es derzeit in Deutschland. Auf diese Weise müssen sich, statistisch betrachtet, 100.000 Menschen jeweils eine Praxis teilen.