Martin Grauduszus steht anders als die vier weiteren BÄK-Präsidentschaftskandidaten keiner Landesärztekammer vor. Als Niedergelassener will der Allgemeinarzt die jahrelange Vorherrschaft von Klinikern unter den Ärztechefs brechen.
Herr Grauduszus,auch Sie haben zur nächsten Wahl zum Präsidenten der Bundesärztekammer Ihren Hut in den Ring geworfen und kandidieren für das Amt. Wann ist in Ihnen diese Entscheidung gereift?
Nachdem in der jüngsten Vergangenheit immer mehr Kolleginnen und Kollegen an mich herangetreten und mich aufgefordert und ermuntert haben, für dieses Amt zu kandidieren, habe ich mich intensiv mit diesem Gedanken beschäftigt. Den Ausschlag hat dann die Wahl zum KBV-Vorstand im März gegeben, in deren Ergebnis sich die überwiegende Mehrheit der Vertragsärzteschaft düpiert und ganz sicher nicht repräsentiert und keinesfalls mit ihren Anliegen, Interessen, Sorgen und Ängsten repräsentiert sieht. Hier muss die Bundesärztekammer mit ihrer hohen Reputation und ihrem moralischen Gewicht einen entscheidenden Gegenpol bilden. Deutlich mehr als in der Vergangenheit muss sie ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen! Hier kommt entscheidend hinzu, dass sie anders als die Landesärztekammern, Länder-KVen und Kassenärztliche Bundesvereinigung keine Körperschaft öffentlichen Rechts ist und somit nicht den restriktiven Einflüssen und Weisungs-Orgien durch die Politik unterworfen ist. Grundsätzlich muss ärztliche Kompetenz wieder fester Bestandteil in der Politik und in den Medien werden. Schließlich ist es nach 33 Jahren Kliniker-Präsenz an der Spitze der Bundesärztekammer höchste Zeit, dass ein Niedergelassener dieses Amt wahrnimmt.
Was sehen Sie im Fall Ihrer Wahl als Ihre Hauptaufgabe an?
Die Kolleginnen und Kollegen in Praxis und Klinik müssen wieder in Würde und Freiheit Ärztin und Arzt sein können. Die ärztliche Tätigkeit in allen Bereichen müssen wir wieder so gestalten, dass sie – befreit von Bürokratie-Monstern und Daten-Wahn – in organisatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder Freude macht und fachliche wie persönliche Zufriedenheit vermittelt. Nur so können wir Ärzte-Flucht und Ärzte-Mangel stoppen. Ich werde mich intensiv für die dauerhafte Sicherung der Freiheit der ärztlichen Berufsausübung in Klinik und Praxis, unsere Therapiefreiheit, unsere ärztliche Schweigepflicht und die freie Arztwahl einsetzen. Dies sind die unverzichtbaren Grundpfeiler für eine freie Ärzteschaft.
Sie gelten als entschiedener Gegner der elektronischen Gesundheitskarte und kämpfen seit Jahren vehement gegen ihre Einführung. Warum?
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der vorliegenden Form hätte schlicht das Ende der ärztlichen Schweigepflicht als unverzichtbares Grundelement des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt zur Folge. Hier werden originäre Versichertengelder in Milliardenhöhe verschleudert, um Datenbegehrlichkeiten der Krankenkassen zu befriedigen und eine profiorientierte IT-Industrie zu alimentieren – Milliarden im übrigen, die der Versorgung der Patienten verloren gehen. Eindeutige Beschlüsse der drei letzten Deutschen Ärztetage gegen die eCard, alle maßgeblich von der ‚Freien Ärzteschaft’ initiiert und formuliert, sprechen eine deutliche Sprache. Dass hier dann von interessierter Seite trotzdem dem Projekt weitergearbeitet wird – zumal erst jüngst in einem internen Bericht Sicherheitsmängel der Karte beschrieben wurden – gehört nach der Wahl des neuen BÄK-Vorstandes als erstes mit auf den Prüfstand.
Gedankenaustausch über geschlossene Arztforen, Praxis- und Klinikmaketing via Newsletter, Homepages oder Soziale Netzwerke, ärztlicher Datentransfer zu KVen, Kammern oder Kollegen – das Internet hat auch die Arztwelt verändert. Wie stehen Sie grundsätzlich zu den Entwicklungen im Online-Bereich?
Allen Entwicklungen in diesem Bereich, die grundsätzlich und nachweisbar der Verbesserung des Praxis-Alltages und damit der Versorgungsstruktur dienlich sind, stehe ich grundsätzlich positiv gegenüber. Ebenso grundsätzlich haben aber Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre als unumstößliche Kriterien oberste Priorität. Auch hier muss gelten: Arzt und Patient müssen Herren ihrer Daten sein und bleiben!
Als Präsident der ‚Freien Ärzteschaft’ haben Sie im November 2005 mit dem ersten Nationalen Protesttag in Köln 5.000 Ärzte und ihr Praxispersonal gegen die fortschreitende Verschlechterung im Gesundheitswesen mobilisiert. Dieser Veranstaltung, die als Initialveranstaltung der ärztlichen Protestwelle gilt, folgten bis heute noch etliche andere. Haben die Aktionen aus Ihrer Sicht etwas gebracht? Setzen Sie weiterhin auf Demonstrationen als politisches Kampfmittel?
Diese Demonstrationen haben insofern schon etwas gebracht, als die Ärzte selbst, bis dahin als eher unpolitisch wahrgenommen, und die Öffentlichkeit mit Erstaunen erkannt haben, dass die Kolleginnen und Kollegen durchaus zu politischen Demonstrationen in der Lage sind. Das sollte uns auch für die Zukunft ermutigen, bei gegebenem Anlass den Weg „auf die Straße“ nicht auszuschließen. Ich bin davon überzeugt, dass die Politik und auch Kassenverbände in einem schleichenden Wahrnehmungsprozess erkennen, dass im Gesundheitswesen gegen die Ärzte gar nichts, ohne die Ärzte nur sehr wenig und nur mit uns Ärzten die Zukunftsfähigkeit der Gesundheitsversorgung gestaltet werden kann. Als Bundesärztekammerpräsident werde ich daran arbeiten, dass dieser genannte Wahrnehmungsprozess die notwendige Beschleunigung erfährt.
Wie positionieren Sie sich bei der Hausarzt-/Facharzt-Debatte?
Ohne jede Frage hat sich bei uns über Jahrzehnte die traditionelle Versorgung in kleinen Einheiten bewährt. Dabei ist der aktuell zu beobachtende Trend zu kleineren Gemeinschaften zu begrüßen. Gerade der bei uns nach wie vor bestehende niederschwellige Zugang für die Patienten zur ärztlichen Versorgung ist von großem Vorteil. Kurze Wege, langjähriges Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt sind ein unschätzbarer Wert für die menschliche, aber auch Ressourcen sparende flächendeckende Gesundheitsversorgung. Gute Kooperation von Hausärzten und spezialisierten fachärztlichen Kollegen in deren dezentral und freiberuflich betriebenen Praxen führen zu dem hohen Versorgungsstandard in der ambulanten Medizin.
Seinen berufspolitischen Werdegang bis zur Gründung der "Freien Ärzteschaft" (FÄ) Anfang 2004 bezeichnet er selbst als aggressiv zuwartend. In der von ihm mit gegründeten FÄ war er zunächst Schatzwart im Vorstand und ist seit Juni 2005 Präsident des eingetragenen Vereins. Als solcher kämpft der Allgemeinarzt und Sportmediziner für eine sichere, Patienten- und zukunftsorientierte Medizin, für die Erhaltung und den Ausbau einer zeitgemäßen ambulanten Versorgung in freier Praxis und gegen jede Form von rationierter Staatsmedizin.
Seit 2009 sitzt Grauduszus auch als Mitglied im Vorstand der Ärztekammer Nordrhein, seit letztem Jahr ist er Mitglied der Vertreterversammlung der KV Nordrhein.
Lesen Sie hier noch einmal die vorangegangenen Teile der Reihe mit den Kandidaten Dr. Theodor Windhorst, Dr. Frank Ulrich Montgomery und Dr. Günther Jonitz.