Fortgeschrittener Leberkrebs hat immer noch eine schlechte Prognose. Münchener Forscher wollen Krebszellen nun mit Hilfe von Viren bekämpfen. Der Therapieerfolg könnte durch zusätzliche Aktivierung des Immunsystems verstärkt werden.
Leberkrebs gehört weltweit zu den häufigsten Krebsarten und ist in den meisten Fällen die Folge einer chronischen Schädigung der Leberzellen. Bislang gibt es für Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung nur wenige Therapieoptionen, da Chemo- und Strahlentherapie so gut wie keine Wirkung zeigen. Um das Spektrum an möglichen Behandlungen zu erweitern, versuchen nun immer mehr Forscher, Leberkrebszellen mit Viren zu infizieren und diese dadurch zu zerstören.
Die Forscher machen sich dabei die Eigenschaft zu Nutze, dass Viren meist wesentlich effizienter Tumorzellen infizieren als gesunde Zellen. „Tumorzellen produzieren kein Interferon mehr, mit dessen Hilfe normale Zellen Virusattacken abwehren“, sagt Privatdozent Oliver Ebert, der Leiter einer Forschungsgruppe am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München ist. Der Mediziner setzt seine Hoffnungen auf das Vesikuläre Stomatitis-Virus (VSV). Dieser Erreger ist äußerst empfindlich gegenüber Interferon und befällt in Zentral- und Südamerika normalerweise Rinder und Schweine. Selten vorkommende VSV-Infektionen beim Menschen verlaufen in der Regel ohne merkliche Symptome.
Kurzer Replikationszyklus
VSV verfügt über zwei wesentliche Charakteristika, die es nach Ansicht von Ebert zu einem besonders gut geeigneten Kandidaten für eine onkolytische Virotherapie beim Menschen machen: Es weist einen sehr kurzen Replikationszyklus von acht bis zehn Stunden auf, so dass es seine antitumorale Wirkung entfalten kann, bevor das Immunsystem auf das Virus aufmerksam wird. Zudem, so Ebert, fehle ihm als zytoplasmatisches RNA-Virus die Fähigkeit, sich in das Genom der Wirtszelle zu integrieren und dadurch chromosomale Schäden zu verursachen.
Mittlerweile konnten die Münchener Wissenschaftler zeigen, dass sich VSV im Reagenzglas selektiv in Leberkrebszellen vermehrt und diese vollständig lysiert. Ebert: „Seine onkolytische Wirkung entfaltete das Virus, ohne dass es gentechnisch verändert werden musste.“ In einem weiteren Experiment gelang es Ebert und seinen Mitarbeitern bei Ratten, denen sie zuvor Leberkarzinomzellen injiziert hatten, den Krebs mit Hilfe von VSV zurückzudrängen.
Direkter Zugang zur Leber
Auch bei Patienten mit Leberkrebs sieht Ebert gute Chancen, dass die Virotherapie mit dem Vesikulären Stomatitis-Virus funktioniert. „Wir können das Virus direkt in die Leberarterie der Patienten injizieren, es erreicht dann ohne Verdünnungseffekt sofort die Karzinomzellen“, sagt Ebert. „Jede infizierte Zelle produziert rund 10.000 weitere Viren, so dass sich die Infektion rasch fortpflanzen kann.“ Tumorendothelzellen würden ebenfalls durch VSV zerstört, so dass die Durchblutung im Tumor zusammenbreche.
Laut Ebert mehren sich auch die Hinweise, dass der onkolytischen Effekt der Virotherapie durch das Immunsystem verstärkt wird. Denn dem körpereigenen Abwehrsystem bleibt nicht lange verborgen, wenn sich im Tumorgewebe eine Virusinfektion ausbreitet. Schon nach wenigen Tagen, so der Mediziner, setze eine Immunantwort gegen virusinfizierte Zellen ein und eine ganze Armada von Immunzellen beginne diese zu bekämpfen. Andere Forscher unterstützen Eberts Ansicht: „Das Immunsystem ist der Partner der Virotherapie“, sagt Professor Ulrich Lauer, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie am Universitätsklinikum Tübingen. „Für die Nachhaltigkeit einer Krebsbehandlung ist das von entscheidender Bedeutung.“
Wenig Nebenwirkungen
Mit ausgeprägten Nebenwirkungen der Virotherapie mit VSV rechnet Ebert nicht. Möglich, so der Mediziner, seien Schüttelfrost, leichtes Fieber oder Schmerzen an der Injektionsstelle. Andere Experten beurteilen das ähnlich: „Bisher beim Menschen in klinischen Studien verwendete Viren waren erstaunlich gut verträglich“, sagt Privatdozent Dirk Nettelbeck, Leiter der Arbeitsgruppe Onkolytische Adenoviren am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. „Sie haben ein großes Potenzial und eröffnen eine neue Stoßrichtung in der Krebstherapie.“ Die Zerstörung der Tumorzellen verlaufe bei der Virotherapie über einen grundlegend anderen Mechanismus als bei den bisherigen Behandlungsformen. Die Chancen, findet Nettelbeck, stünden deshalb sehr gut, dass bestehende Resistenzen gegen die etablierten Therapien bei der Virotherapie nicht relevant seien.
Das Team um Ebert arbeitet im Moment daran, VSV weiter zu verbessern und die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass in spätestens zwei Jahren die erste klinische Studie mit Leberkrebs-Patienten starten kann. Auch bei einer anderen Lebererkrankung sieht der Hepatologe Möglichkeiten VSV einzusetzen. Da das Virus, so Ebert, über antifibrogene Eigenschaften verfüge, könnte es auch bei der Behandlung der Leberzirrhose Verwendung finden.