Auch bei Seuchen gilt: Je größer das Unwissen, desto stärker Angst und Neigung, fehlende Gewissheit durch Vermutungen zu kompensieren. Die aktuelle Diskussion um E. coli bestätigt dies erneut. Eine der Thesen: HUSEC 41 könnte absichtlich kreiert oder zumindest verbreitet worden sein.
Spekulationen waren „in“ beim Thema AIDS, später bei BSE und der Schweinegrippe. Nicht anders ist es bei HUSEC 41 - so heißt der Erreger der derzeit grassierenden Darminfekte. Und wenn, wie in diesem Fall, dann sogar Fachleute darauf hinweisen, man sollte auch die Option erwägen, hier könne Absicht mit im Spiel gewesen sein, gewinnt das Spekulative ganz ungewollt rasch an Gewicht.
So hat etwa der Mikrobiologe Professor Alexander Kekulé von der Universitätsklinik Halle in der „Welt“ formuliert: „Biologische Anschläge sind zum Glück sehr unwahrscheinlich, aber deshalb darf man diese Möglichkeit bei der Ursachensuche nicht ignorieren... Es gibt viele Wege, Krankheitserreger oder giftige Chemikalien in die Lebensmittel- oder Wasserversorgung einzuschleusen. Dazu genügen Grundkenntnisse in Mikrobiologie, ein kleines Labor und kriminelle Fantasie... Spezialisten könnten das wohl, aber die kennen sich untereinander und kommen als Täter kaum infrage. Aber das ist gar nicht nötig, denn die bekannten, besonders gefährliche Toxine bildenden Bakterienstämme genügen vollkommen. Am wirkungsvollsten wäre ein Keim, der in Mitteleuropa in den letzten Jahren kaum vorkam, weil dagegen keine Immunität besteht. Genau so ein Keim ist übrigens der gerade ausgebrochene EHEC vom Typ O 104:H4 (HUSEC 41)“. Wenige Tage später hat Kekulé - erneut in der „Welt“ dann noch einmal bekräftigt, dass er einen Anschlag für äußerst unwahrscheinlich hält.
Ähnlich hat sich in einem Interview der Berliner Hygiene-Spezialist und Umweltmediziner Dr. Klaus-Dieter Zastrow geäußert: „Es ist nicht gut, in diesem Zusammenhang von Verschwörungstheorien zu reden, weil man dann gleich nicht mehr ernst genommen wird. Aber es gibt auch Verrückte, die in unserem Land rumlaufen, wie in der Vergangenheit schon häufig gesehen. Wir hatten doch schon Fälle, bei denen Leute zum Beispiel die Mayonnaise in Supermärkten vergifteten. Es kann durchaus sein, dass ein Schwachkopf unterwegs ist und denkt, ich bringe mal ein paar Leute um oder verpasse 10.000 Leuten Durchfälle... Einen Terroranschlag halte ich allerdings auch für unwahrscheinlich.“ Und: „...wer Geld hat, kann Labore beauftragen, die sich mit solchen Dingen beschäftigen. Im Internet sind ja auch Anleitungen zu finden, wie man Sachen panscht.“
Aufwand für Terror zu hoch
Aus dem „Unwahrscheinlichen“ wurde dann sehr schnell die Null-Botschaft, ein Anschlag sei denkbar, was von manchem Bürger als wahrscheinlich interpretiert wurde, ohne sich die Frage zu stellen, wie groß denn die Wahrscheinlichkeit ist. Für die meisten Fachleute ist an der These äußerst wenig dran. So hält zum Beispiel der Biowaffen-Experte Jan van Aken einen Terroranschlag für so gut wie ausgeschlossen. Es sei viel zu schwierig, an die Bakterien heranzukommen und sie in ausreichender Menge zu produzieren, sagte der Linken-Politiker und ehemalige Biowaffeninspektor der Vereinten Nationen in einem Gespräch mit „t-online.de“. Jan van Aken: „Unmöglich ist nichts. Theoretisch kann man so etwas nicht ausschließen, aber von der praktischen Seite betrachtet spricht so viel gegen einen Anschlag, dass ich es für weit hergeholt halte... Wenn jemand so eine Waffe einsetzt, muss er sie zunächst besitzen. Aber wer kommt denn auf die Idee, einen EHEC-Stamm, der so aggressiv ist, zu isolieren und als Biowaffe einzusetzen? Terroristen könnten das gar nicht. Dafür müssten sie unter vielen verschiedenen EHEC-Stämmen den rausfinden, der so aggressiv wie der jetzige ist. Dafür bräuchten sie Labore, sie müssten hunderte EHEC-Stämme ausprobieren, sogar Tierversuche machen. Terroristen würde ein solcher ,Glücksgriff‘ nicht gelingen. Man müsste systematisch vorgehen - bleibt also ein staatliches Programm. Und welches staatliche Programm sollte ein Interesse daran haben, ein Dutzend Menschen in Deutschland mit einem derartigen Aufwand umzubringen? Es darf ja hinterher auch nicht öffentlich werden, dass es sich um einen Anschlag mit einer Biowaffe gehandelt hat. Welcher Staat sollte einen Nutzen davon haben? Das ist also völlig an den Haaren herbeigezogen... Aber ausschließen kann man nichts – auch nicht, dass uns morgen der Himmel auf den Kopf fällt.“
Als Biowaffe wären andere Keime geeigneter
Auch der Heidelberger Mikrobiologe Dr. Stefan Zimmermann hält die These von einem Anschlag für höchst abwegig: „Es gibt eine ganze Reihe von Erregern, die besser für so einen Anschlag geeignet wären als EHEC“, wird er in den Medien zitiert. „Und selbst wenn jemand EHEC nutzen würde, dann würde er sicher nicht den bisher extrem seltenen, von sich aus kaum gesundheitsschädlichen Stamm O104:H4 wählen. Da würden sich Stämme, die von sich aus schon gefährlicher sind, viel eher anbieten.“ Darüber hinaus sei es äußerst schwierig, einen so komplexen Erreger im Labor zu erzeugen.“ Das Robert-Koch-Institut hat auf Anfrage übrigens geantwortet, dass das Institut keine Hinweise für kriminelle oder terroristische Machenschaften in diesem Zusammenhang habe. Doch auch sehr Unwahrscheinliches ist eben nicht unmöglich. Und der Vorwurf, es seien alles nur „Verschwörungstheorien“, ist natürlich noch kein Beweis dafür, dass etwa der nicht unumstrittene Journalist Dr. Udo Ulfkotte Unrecht hat, wenn er den Verdacht äußert, der neue Erreger könnte ein von Menschen geschaffenes Labor-Produkt sein.
So schreibt Ulfkotte unter anderem: „Die Ursache ist möglicherweise eine Kreuzung in einem Forschungslabor der Bundeswehr, die nun wie ein Staatsgeheimnis behandelt werden muss.“ Wie überzeugend diese These aus seiner Sicht ist, hat Ulfkotte dann noch in einem weiteren Bericht zu verstärken versucht. In diesem Beitrag argumentiert er unter anderem damit, wie „einfach die DNA-Veränderung von E.coli Bakterien“ sei. Ulfkotte: „Seit dem Jahr 2002 experimentieren in Frankreich 17 Jahre alte Schüler im Klassenzimmer mit E.coli-Bakterien und verändern dabei die DNA von Bakterien-Plasmiden. Entsprechende Gentechnik-Kits werden an französische Schulen verkauft.“ Selbst das Fachblatt „Nature“ hat Ende Januar 2011 auf diese Vorgänge in französischen Schulen hingewiesen.
Sex-Appeal steigert nicht den Wahrheitsgehalt
Aber was ist mit all dem bewiesen? Eine solche These hat zwar unstreitig mehr „Sex-Appeal“ als viele andere, realitätsnähere Thesen. Aber das steigert nicht den Wahrheitsgehalt getroffener Aussagen. Auch deutsche Schüler werden übrigens im Unterricht und in Praktika mit DNA „konfrontiert“. Und selbstverständlich kann jeder, der will, E.coli-Keime besorgen. Man muss nur googeln können. Wer wissen will, wie es mit dem Biohacking gehen könnte, kann natürlich auch Biologie studieren, sich nötiges Wissen bei der Organisation DIYbio oder im Internet erwerben. Zudem seien die Kosten der DNA-Sequenzierung seit den 90er-Jahren massiv gesunken, hieß es vor zwei Jahren im „Economist“. Dass E.coli im Heimlabor genetisch manipuliert werden kann, hat vor zwei Jahren in den USA laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ eine junge Frau gezeigt, die ihr Labor übrigens im Wandschrank ihres Appartments untergebracht hatte.