Der Zusammenhang zwischen Alkohol und Gewalt stellt ein ernstes Problem dar. Nur wenige Alkoholabhängige werden jedoch tatsächlich aggressiv. Forscher haben ein neurobiologisches Modell etabliert, das die Relation von Alkohol und Aggressivität erklären soll.
Jeder kennt den Effekt von Alkohol: Er enthemmt und macht uns zugänglicher für andere Menschen. Gleichermaßen führt er dazu, dass objektive Zusammenhänge nicht mehr korrekt bewertet werden können. Gefühle werden nicht mehr auf Basis eines sozial akzeptierten Verhaltens verarbeitet, sondern können direkt nach außen projiziert werden. Dies kann bei Empfindungen wie Eifersucht oder Missgunst zu aggressivem Verhalten führen.
Alkohol macht nicht jeden aggressiv
Doch nicht jeder wird von der aggressiv-machenden Wirkung des Alkohols in gleicher Weise erfasst. "Aggressives Verhalten bei Alkoholkonsum entsteht im Tiermodell unter anderem durch frühe soziale Isolations- und Stresserfahrungen und beim Menschen durch Missbrauchserlebnisse in Interaktion mit genetischen Faktoren, z.B. der Konstitution des Serotonintransporters", erläutert der Leiter der Studie Prof. Andreas Heinz. Auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern spielen eine Rolle. Weiterhin ist es zwar richtig, dass Menschen mit Alkoholabhängigkeit eher als andere Menschen zu aggressivem Verhalten neigen, "man darf aber nicht die große Mehrheit der Alkoholabhängigen, die gar keine Probleme mit aggressivem Verhalten hat, stigmatisieren", so Prof. Heinz.
Wirkung auf limbisches System und präfrontalen Cortex
Die Forscher nennen in ihrer Studie mehrere neurobiologische Gründe für das Auftreten von aggressivem Verhalten, die an Tiermodellen entwickelt wurden und vermutlich zusammenspielen. Zum einen bewirkt Alkohol eine Störung der Handlungskontrolle, die unter anderem durch die Beeinträchtigung der exekutiven Funktionen des frontalen Cortex entsteht. Weiterhin fördert das regelmäßige Erleben von Gewalt unter Alkoholeinfluss die Aktivierung des limbischen Systems und insbesondere der Amygdala. Dies führt bei erneutem Alkoholkonsum vermehrt zum Erleben eines Bedrohungszustandes, auf den man aggressiv reagiert. Und nur als letztes trägt eine sogenannte verminderte Flexibilität der Handlungskontrolle, die vorwiegend bei chronischem Alkoholkonsum entsteht, zu aggressivem Verhalten bei (man sieht Gewalt als einzigen Ausweg). Ferner scheint der Neurotransmitter Serotonin und dessen Interaktion mit dem GABAergen System eine wichtige Rolle bei der Determination der individuellen Anfälligkeit eines Menschen für aggressives Verhalten unter Alkoholeinfluss zu spielen.
Stress und Missbrauch begünstigen Aggressivität
Die Forscher stellen außerdem heraus, dass soziale Stressfaktoren und Missbrauchserlebnisse in der Kindheit bei vulnerablen Personen, sprich Menschen mit entsprechenden genetischen und neurobiologischen Veranlagungen, zu aggressivem Verhalten unter Alkoholeinfluss führen können. Es müssen jedoch noch mehr Studien zur Interaktion psychischer und biologischer Faktoren beim Menschen stattfinden, da die meisten Erkenntnisse auf Tiermodellen basieren. "Präventiv ist die Bewahrung junger Menschen vor Gewalterfahrungen gerade auch unter Alkohol selbstverständlich wichtig", erklärt Prof. Heinz.
Originalpublikation: Cognitive and neurobiological mechanisms of alcohol-related aggression Adrienne J. Heinz et al.; Nature Reviews Neuroscience, doi:10.1038/nrn3042; 2011