Was denn jetzt? Ärztemangel oder Ärzteschwemme? Über- oder Unterversorgung? Ein Versuch der Ordnung in einem Dschungel voller verwirrender Zahlen und unterschiedlicher Interessen.
Laut statistischer Daten der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) gibt es in Deutschland genug Ärzte. Zumindest genau soviel wie in den europäischen Nachbarländern. Mit etwa 3,6 Ärzten pro 1.000 Einwohnern liegt Deutschland international weit vorne und gar nicht so viel hinter dem europäischen Spitzenreiter Österreich mit 4,6 und den skandinavischen Ländern mit ungefähr 4 Ärzten pro 1.000 Einwohnern1. Trotzdem wird seit einigen Jahren vom Problem des eklatanten Ärztemangels gesprochen. Mit einer weiteren Verschärfung der Situation, gerade in den ländlichen Regionen, ist zu rechnen.
Genug Studenten bis zur Rentenwelle
An einer zu geringen Anzahl neuer Absolventen der medizinischen Studiengänge liegt es nicht. Obwohl während der Phase von Studienbeginn bis erfolgreichem Abschluss mit dem Hammerexamen etwa 14% der Studierenden auf der Strecke bleiben2, liegt Deutschland mit knapp 10.000 neuen Ärzten und Ärztinnen pro Jahr ebenfalls auf den ersten Plätzen im internationalen Vergleich. Mit einem durchschnittlichen Alter von 53 Jahren der zur Zeit tätigen Allgemeinmediziner rollt allerdings eine Rentenwelle auf das Gesundheitssystem zu, die von der nachrückenden Riege neuer Mediziner nicht aufzufüllen sein wird.
Mädchen sind einfach besser
Ein wichtiger Faktor hierbei ist die hohe Quote an weiblichen Studierenden, die an die medizinischen Fakultäten drängt. Seit Ende der 90er Jahre kehrt sich langsam aber sicher die Situation des bis dato von Männern dominierten Faches ins Gegenteil. Von derzeit 80.000 Medizinstudierenden in Deutschland sind 61% Frauen. 2008 waren bereits 63% der neuen Erstsemester weiblich3. Zu erklären ist das neben der generell höheren Tendenz von Frauen soziale Berufe zu ergreifen, vor allem durch die Zugangshürde in Form eines hohen Numerus Clausus. Die Abiturientinnen haben einfach tendenzielle bessere Noten.
Diese neue Medizinergeneration möchte nicht auf Familie und eine ausgewogene Balance zwischen Beruf und Freizeit verzichten. Das führt dazu, dass es zwar auf dem Papier zahlenmäßig genug Ärzte gibt, die aber nur zu einem geringen Anteil voll arbeiten. In diesem Zusammenhang wird von einem sogenannten relativen Ärztemangel gesprochen. Viele der Ärztinnen, aber auch Ärzte, nehmen sich längere Auszeiten um für ihre junge Familie da zu sein oder arbeiten nur halbtags. Damit kann langfristig keine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet werden. Vor allem wenn der Trend zur Ansiedlung in den Städten weiter geht. Die ländlichen Regionen werden für die jungen Mediziner immer unattraktiver. Gerade wenn es um die Versorgung des Nachwuchses mit Kindergärten und Bildungsinfrastrukturen geht, entscheiden sich viele doch lieber in die Stadt als auf das Land zu ziehen. Zwar wurde mittlerweile schon das Renteneintrittsalter gelockert, was älteren Ärzten erlaubt erst später in den Ruhestand zu gehen, aber die Kombination aus medizinischer Urbanisierung mit den immer älter werdenden Landärzten wird mittelfristig die bereits jetzige katastrophale Versorgungssituation einer vom demographischen Wandel geprägten deutschen Gesellschaft verschlimmern.
Mehr Studienplätze reichen nicht
Um das Problem lösen zu können, wird zukünftig nichts an einer flexibler handhabbaren Arbeitssituation in deutschen Praxen und Krankenhäusern vorbei führen können. Neben einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird auch eine Umstrukturierung der Verantwortlichkeiten zwischen den unterschiedlichen medizinischen Berufsfeldern nötig sein. Der Arbeitsalltag der Ärzte muss vielmehr auf wirklich ärztliche Tätigkeiten fokussiert werden. Das Übernehmen von Blutentnahmen durch das Pflegepersonal und die Einstellung von Dokumentationsassistenten sind da nur einige mögliche Schritte. Die Veränderungen werden in jedem Fall tiefgreifender sein müssen. Einzig die Ehrhöhung der Zahl an Studienplätzen würde hier zu kurz greifen.