Ein Neurochirurg wird Ende des Jahres eine Kopftransplantation durchführen. Der Kopf eines gelähmten Patienten soll mit einem neuen Körper kombiniert werden. Ist das noch medizinische Heilkunst, fragen nicht nur Laien, sondern inzwischen auch hochrangige Wissenschaftler.
Was soll das? Das hat sich auch der Autor gefragt, als die Redaktion ihn gebeten hat, einen Artikel über die Transplantation eines gesamten Körpers an einen Kopf zu schreiben – oder umgekehrt? Ein lebender Kopf auf dem Körper eines hirntoten Spenders? Wem soll das nützen? Oder ist das nur die Spinnerei eines PR-süchtigen Mediziners? Der Autor hat sich eingelesen und hat Fakten und wissenschaftliche Artikel zu diesem Thema gesammelt und möchte seinen Lesern das abschließende Urteil über den Sinn und Unsinn einer solchen Operation überlassen.
Auch die Redaktion der anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschrift Surgery hatte nach Aussagen des Herausgebers Skrupel, die Manuskripte eines „Minisymposiums“ zu diesem Thema in ihrem Blatt zu publizieren. Der Vorwurf einer „Sensationalisierung“ lag nahe. „Zu viele Probleme – ich glaube nicht, dass so etwas jemals gelingen wird.“, sagt Harry Goldsmith, Neurochirurg an der University of California, dem es als einem der wenigen gelang, einen Menschen mit einer schweren Rückenmarksverletzung wieder zum Gehen zu bringen. Zerlegt man die Transplantation in einzelne Teile, scheinen die Hürden gar nicht einmal so unüberwindlich. Denn ein ähnliches „Nicht erfolgversprechend!“ wurde auch vor der ersten Nierentransplantation in den 50er Jahren und später bei der ersten Herztransplantation geunkt. Inzwischen verpflanzen Ärzte fast routinemäßig ganze Hände und auch die Gesichtstransplantation ist inzwischen bei mehreren Dutzend erfolgreicher OPs angekommen. Bereits zur Mitte des letzten Jahrhunderts tauchte ein zweiköpfiger Hund in den Medien auf, der sowohl bellen als auch fressen konnte. Aufgrund der Abstoßungsreaktion überlebte das Tier aber nur wenige Wochen. Ähnlich erging es Forschern, als sie in den 70er Jahren eine Transplantation eines Affenkopfes wagten – ohne jedoch das Rückenmark an das Gehirn anzuschließen. Die Rhesusaffen blieben gelähmt, auch wenn sensorische Fähigkeiten wie Geschmack und Gehör oder die Gesichtsmuskulatur weiterhin funktionierten. 2013 machte schließlich Sergio Canavero, Neurochirurg aus Turin, von sich reden, als er eine solche Operation auch für den Menschen ankündigte – bis Ende 2017. Detailliert informierte er Kollegen über seine Pläne bei einer Tagung der amerikanischen orthopädischen und Neurochirurgen und dem International College of Surgeons in Annapolis vor zwei Jahren.
Die Verknüpfung der Nervenstränge des Rückenmarks scheint zur Zeit das größte bisher noch nicht wirklich gelöste Problem einer solchen Transplantation zu sein, auch wenn Canavero bereits einen detaillierten Plan zur Prozedur vorlegte. Mit der Erfahrung bei der Transplantation verschiedenster Organe und auch von Mischgeweben (wie etwa bei einer ganzen Hand) sei es möglich, mit Immunsuppressiva Graft-vs-Host-Reaktionen gegen den Kopf in den Griff zu bekommen. Zusätzlich könne durch den entstehenden Chimärismus eine Toleranz induziert werden. Zuverlässige Daten einer solchen „Erziehung“ von Thymozyten, etwa durch eine autologe Knochenmark- oder Dendritische Zelltransplantation nach der OP, gibt es dazu jedoch noch nicht. Canavaro selbst favorisiert die Immunsuppressiva Tacrolimus und Sirolimus zusammen mit Belatascept. Sirolimus könnte aufgrund bisheriger Daten auch eine Rolle bei der Wiederherstellung von Nervenverbindungen zwischen Rückenmark und Gehirn spielen. Die Verbindung von großen und kleinen Gefäßen für die Blutversorgung des Gehirns stellt den Chirurgen vor ein Zeitproblem. Damit die Sauerstoffversorgung für das Gehirn nicht zu lange unterbrochen bleibt, muss er sich beeilen. In Versuchen mit Mäusen bei Canavero’s chinesischen Kollegen Xiaoping Ren klappte das schon ganz gut, indem er eine kreuzweise Verbindung des Donorkörpers mit Halsschlagader und Drosselvene über einen kurzen Schlauch herstellte. Reflexe und und EEG zeigten danach normale Funktionen an. Um noch etwas mehr Zeit zu gewinnen, sollen Körper und Kopf gekühlt werden. Wie aus Affenexperimenten ersichtlich, reicht dabei eine Temperatur von 29-33°C aus, um die metabolische Rate soweit zu senken, dass die kurze Unterbrechung des Blutflusses keine Schäden erzeugt.
Wie lässt sich nun die Verbindung vom Rückenmark ins Gehirn wiederherstellen, in Anbetracht der Aussichtslosigkeit bei vielen Tetraplegie-Fällen? Der italienische Neurochirurg setzt dabei auf einen sauberen scharfen Schnitt bei der Durchtrennung und auf die Flutung der Nervenenden mit PEG (Polyethylenglykol), die das Zusammenwachsen der Enden unterstützen soll. Die Technik wurde von einer deutschen Arbeitsgruppe um Hans Werner Müller von der Universität Düsseldorf entwickelt. Er jedoch nicht glaubt, dass die die praktische Anwendung am menschlichen Rückenmark so bald gelingen wird. Weitere Möglichkeiten erörtert Canavero in einer Veröffentlichung mit der Transplantation von neuronalen Stammzellen an die Schnittstelle. Schließlich verweist er auch auf positive Ergebnisse an mit olfaktorischen Hüllzellen bei Patienten mit Rückenmarkstrauma. Zwei Patientenbeispiele für eine Wiederherstellung eines durchtrennten Rückenmarks aus dem Jahr 2005 und 2014 sollen dabei als Argumentationshilfe dienen. Das Narbengewebe an der Verletzung schnitten die Chirurgen weg und verbanden die Nervenenden. In beiden Fällen wuchsen sie wieder zusammen und ermöglichten den Patienten mit einem T6/T7 bzw. einem T9-Querschnitt die Kontrolle über ihre Extremitäten. Ohne ein Narbengewebe, so argumentiert Canavero, würde die Fusion der Nervenenden noch weitaus schneller vonstatten gehen.
Wie würde dann eine erste solche Kopftransplantation ablaufen? Nach dem ersten Schnitt sollten alle größeren anatomischen Strukturen identifiziert, gekennzeichnet und präpariert werden, beginnend bei Muskeln, Gefäßen, Luftröhre, Ösophagus, Rachen und Nerven, danach die hinteren Nackenmuskeln, Kopfgefäße und schließlich die Wirbelsäule, die mit dem anderen Ende bei der Transplantation durch eine stabile Platte verbunden wird. Eine Herz-Lungen-Maschine würde die Durchblutung des abgetrennten Kopfes kurzzeitig übernehmen. Ganz am Ende der Präparation und gleich zu Beginn der neuen Verbindung zwischen Kopf und Körper stünde der Schnitt und die Wiederverknüpfung des Rückenmarks. In umgekehrter Reihenfolge sollen dann die Chirurgen die übrigen Strukturen wieder miteinander anbinden, angefangen mit den wichtigsten Blutgefäßen. Für die Heilung, insbesondere der neuronalen Traumata, würde der Patient zunächst für ein paar Wochen in einem induzierten Koma ruhen und seine Nahrung per Sonde bekommen. Implantierte Elektroden sorgen dabei für eine regelmäßige Stimulation der Nervenfasern. Eine Rehabilitation, ähnlich wie bei Traumata-Opfern mit Querschnitt, soll den weiteren Weg in den Normalzustand bahnen. Canavero verkündete mit seinen Plänen ehrgeizige Ziele: Sprechen sofort nach dem Aufwachen und Kontrolle über die Gesichtsmuskulatur. Innerhalb eines Jahres wird der Patient wieder gehen können. „Wir haben alles gezeigt, was zu zeigen war“, versucht der Neurochirurg seine Zuversicht zu demonstrieren. An Leichen sei die gesamte Prozedur bereits ausgiebig getestet worden. Alles läge für den großen Schnitt im Dezember dieses Jahres bereit …
… unter der Voraussetzung, dass ein Ethikkommitee dieser größten aller Operationen zustimmt. Daran haben viele ihre Zweifel. Alle wesentlichen Erkenntnisse und Daten wurden bisher entweder nur in Tierversuchen erhoben oder führten nur bei einzelnen Patienten zu einem Erfolg. Nur in seltenen Fällen bestätigten mehrere Forschergruppen die vorläufigen Erkenntnisse. So hält etwa John Barker von der Columbia University die Hürden für eine Abstoßung für noch lange nicht bewältigt; die Folgen – etwa bei der Veränderung der Blut-Hirn-Schranke – seien nicht absehbar. Nach Meinung einiger Neurochirurgen sollte eine Wiederverknüpfung des Rückenmarks zuerst einmal bei Paraplegikern erprobt werden. Denn eine „Exit“-Strategie gibt es nach Beginn des Eingriffs nicht mehr. Auch unter diesen Umständen wäre der Russe Valeri Spiridonov bereit, sich operieren zu lassen. Er leidet an der Werdnig-Hoffmann-Krankheit, einer Form von spinaler Muskelatrophie, und würde seinen 33 Jahre alten Köper gerne gegen einen neuen eintauschen. Entsprechend neuesten Berichten hat Canavero jedoch inzwischen seine Pläne für den Ort und den Probanden geändert. Nun soll die Operation in China stattfinden – möglicherweise, weil dort die Verfolgung von Verstößen gegen die medizinische Ethik nicht so scharf ist? Ist eine informierte Einwilligung für eine Operation zulässig, bei der fast alle Fachleute die Erfolgschancen als äußerst gering beurteilen? Damit befasste sich vor kurzem auch ein Kommentar der juristischen Fakultät der Harvard University.
Ist es ein solches Vorhaben, wie das von Sergio Canavero wert, dass unzählige Tiere dafür sterben? Sollte nicht eine breite Diskussion über technische, medizinische und ethische Probleme einer solchen Operation dem Eingriff vorausgehen? Wie sehr wird sich die Persönlichkeit des Empfängers eines neuen Körpers nach einer Operation ändern, sollte sie denn gelingen? Eine solche breite Diskussion über diese Grundsatzfragen gab es etwa vor der ersten Transplantation eines Gesichts vor 12 Jahren. In den allermeisten Fällen nahm die Operation bisher einen glücklichen Ausgang. Ziel des Artikels ist es, bei DocCheck eine solche Diskussion über die Kopftransplantation anzustoßen. Wie ernst es es dem Italienischen Arzt ist, zeigt seine Zusammenarbeit mit einem amerikanischen IT-Unternehmen. Ende letzten Jahres stellte es ein Gerät mit einer Virtual-Reality-Brille vor, das den Patienten in spe schon Monate zuvor an eine neue Existenz mit einem voll funktionsfähigen Körper gewöhnen soll – um ein psychisches Trauma nach der erfolgreichen Operation zu verhindern.