Die Patientenzahlen sinken mittlerweile deutlich, doch Fragen bleiben: Wie kam es zu dem Ausbruch und erwartet uns möglicherweise eine neue Welle durch kontaminiertes Wasser? Auch die Kostenübernahme bereitet Kopfzerbrechen.
Das Geschehen in Zahlen: Laut Erhebungen des Robert Koch-Instituts infizierten sich in Deutschland nachweislich 3.110 Menschen mit dem enterohämorrhagischen Escherichia coli-Keimen (EHEC), 17 verstarben. Die Forscher dokumentierten außerdem 841 Fälle des hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS), wobei 30 Patienten entsprechende Komplikationen nicht überlebten (Stand 30. Juni).
Veränderungen des Erbguts
In Japan etwa erkrankten vor gut 15 Jahren etwa 9.000 Menschen. Veröffentlichungen berichteten von lediglich 121 HUS-Fällen, alle bei Kindern. Bereits früh bestand deshalb der Verdacht, das Bakterium habe jetzt sein Erbgut verändert, eigentlich kein ungewöhnlicher Vorgang. In einer aktuellen Publikation berichten Autoren um Professor Dr. Helge Karch, Münster, jetzt über Details: Die Arbeitsgruppe fanden in 80 Proben Ähnlichkeiten mit dem bekannten Stamm O104:H4. Manche genetischen Elemente waren aber verschwunden, und andere neu hinzu gekommen, etwa enteroaggregative (EAEC) Erbgutstücke, welche die bakterielle Anhaftung kontrollieren. Weitere neuen Gene wiederum steuern die Herstellung des Shiga-Toxins, das im menschlichen Körper für den hämolytischen Verlauf verantwortlich ist.
Doch woher kam der Keim? Wiederkäuer können es dieses Mal nicht gewesen sein, sie scheiden die aggressive Variante EAEC gar nicht aus. Damit war eine neue Hypothese geboren: Vertreter des Bundesamts für Risikobewertung (BfR) vermuteten, dass „der Eintrag des Erregers im jetzigen Ausbruchgeschehen in betroffene Lebensmittel über den Menschen oder vom Menschen in die Umwelt erfolgt sein kann“. Dafür sprechen gleich mehrere Fälle: Ende Juni etwa sperrten die Aufsichtsbehörden eine Schule in Altenbeken (Ostwestfalen), nachdem drei Jungen schwer an HUS erkrankt waren. Auch bei Angestellten, die in der hauseigenen Mensa für die Essensausgabe zuständig waren, ließ sich der Keim nachweisen, die Betroffenen selbst waren aber nicht erkrankt. Das zuständige Gesundheitsamt schließt Schmierinfektionen nicht aus, vor allem die Schultoilette steht unter dringendem Tatverdacht. Lebensmittel hingegen scheinen nicht verseucht zu sein. Und niederländische Forscher berichten von einem ähnlich gearteten Fall: Die Patientin, sie hatte sich wohl bei einem Besuch in Norddeutschland infiziert, übertrug entsprechende Keime auf ihr Baby – Nahrungsmittel kommen hier als Quelle ebenfalls nicht in Frage. Schmierinfektion: Sprungbrett für Bakterien
Mit Schmierinfektionen an sich haben Forscher bereits Erfahrung, wenn auch nur von früheren Erkrankungswellen und ähnlichen EHECs: In den vergangenen Jahren infizierten sich immer wieder Kinder in Streichelzoos oder auf Bauernhöfen. Aber auch Türklinken, WC-Armaturen oder Knöpfe von Bahnen und Bussen waren berüchtigte Sprungbretter von einem Patienten zum nächsten. Der Grund: Keime haften gut an fettigen Oberflächen, und bereits weniger als 100 EHECs führen zu einer Infektion. Dazu reicht es aus, sich nach dem Kontakt mit der kontaminierten Oberfläche die Augen zu reiben oder das Pausenbrot zu verspeisen, und schon gelangen die Bakterien über Schleimhäute in den Körper. Allen besorgten Bürgern kann deshalb nur zu gründlicher Hygiene geraten werden. Und treten in Familien Erkrankungsfälle auf, empfehlen Kollegen Standard-Desinfektionsmittel. Die Patienten sollten nach ihrer Genesung einige Wochen lang selbst keine Lebensmittel zubereiten, auch nicht im privaten Bereich. Und Wäsche bzw. Geschirr und Besteck sind bei Temperaturen über 65 Grad Celsius zu reinigen. Dennoch fehlen detaillierte Untersuchungen zu EHEC-Schmierinfektionen, Epidemiologen tippen ohnehin auf weitere Übertragungswege, möglicherweise durch Wasser und Abwasser.
Mit allen Wassern gewaschen
„Viele Menschen scheiden derzeit den Erreger aus. Wir können also nicht ausschließen, dass er sich in unserer Umwelt bereits eingenistet hat“, so Professor Dr. Helge Karch. Und Kläranlagen können diese Bakterien nicht eliminieren, sie landen ungebremst im nächsten Gewässer. Da verwundert es nicht, dass Mikrobiologen in einem Bach im Frankfurter Raum exakt den Auslöser der aktuellen Epidemie fanden. Das hessische Sozialministerium beruhigte umgehend: Eine Verbindung zur öffentlichen Trinkwasserversorgung bestehe nicht. Wie schnell aber neue Infektionswellen entstehen könnten, zeigen allein schon die mittlerweile zurückgezogenen Entnahmegenehmigungen. Zwei angrenzende landwirtschaftliche Betriebe nutzten legal das Wasser, um ihre Kartoffeln und Zuckerrüben zu gießen. Aber auch benachbarte Kleingärtner bewässerten damit ihr Obst und Gemüse. Man habe, so das Ministerium, die Anrainer aufgefordert, auf den Verzehr ihrer Produkte zu verzichten. Ob sie sich daran halten, ist eine andere Sache.
Trinkwasser auf dem Prüfstand
Inwieweit Wasser generell ungenießbar wird, darüber scheiden sich hochkarätige Geister. „Die mit unabhängigen Wissenschaftlern besetzte Trinkwasserkommission beim Umweltbundesamt hat eine Gefahr für das Trinkwasser durch den aktuellen EHEC-Ausbruchsstamm verneint“, beschwichtigt UBA-Präsident Jochen Flasbarth. „So mancher Experte wäre gut beraten, von unbedachten Katastrophenmeldungen abzusehen.“ Da mag es durchaus erstaunen, dass gerade der Vorsitzende besagter Kommission seine Stimme erhebt. Professor Dr. Martin Exner von der Uni Bonn warnt, die Gefahr durch eine mikrobiologische Belastung des Trinkwassers sei bisher absolut unterschätzt worden. Zusammen mit Kollegen formulierte er eine Empfehlung an Behörden, Wasserversorger und Wasserproduzenten. Darin heißt es unter anderem: „Wasser als Trinkwasser, Mineralwasser oder abgepacktes Wasser ist derzeit als Infektionsvehikel nicht völlig auszuschließen.“ In der Literatur seien Belege für die Übertragung anderer E. coli wie O157:H7 über Trink- und Badewasser gut dokumentiert.
Zwar mag diese Wahrscheinlichkeit in Ballungsräumen gering sein, mehrmals täglich untersuchen Fachleute das kostbare Gut und greifen im schlimmsten Fall zu Chlor und Ozon. Härter trifft es schon Betreiber von Hausbrunnen und kleinere Versorger, bundesweit immerhin 20 Prozent, die teilweise nur ein bis vier Mal pro Jahr Wasserproben einschicken. Dennoch bewertet das UBA entsprechende Risiken als minimal, so lange kein Kontakt der Anlagen zum Abwasser besteht. Auch fanden Bakteriologen in vielen Proben das berüchtigte EHEC nur ein einziges Mal. Bereits die Nachuntersuchung kurze Zeit später verlief negativ. Im schlimmsten Fall Zahlungen aus dem Sonderfond
Nach der Wissenschaft kommt die Wirtschaft auf den Plan. Kaum leeren sich Intensivstationen, folgen dicke Rechnungen. „Während der Ausnahmesituation hat die Krankenversorgung in Schleswig-Holstein akute Höchstleistung bewiesen. Jetzt ist der Bund gefordert, Lösungen aufzuzeigen, wie Katastrophen zukünftig aufgefangen werden sollen“, so Professor Dr. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Allein sein Haus beziffert die Kosten auf rund 2,8 Millionen Euro, und beim 5K-Klinikverbund Schleswig-Holstein rechnen Ökonomen mit 1,8 Millionen Miesen. Vor allem zusätzliche Personal- und Sachkosten schlugen in den letzten Wochen stark zu Buche. Zudem fehlen Teile des Erlöses aus dem regulären Betrieb. 5K-Geschäftsführer Martin Wilde: „Es kann und darf nicht sein, dass ein Krankenhaus, welches seinem Versorgungsauftrag nachkommt, durch unausgereifte Vergütungsformen in eine wirtschaftliche Schieflage geraten kann.“ Er plädiert im schlimmsten Falle für einen Sonderfonds.
Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) indes zieht eine klare Grenze. Man komme, so vdek-Sprecher Florian Unger, für alle stationären Behandlungskosten auf. Er sieht seine Mitgliedsorganisationen aber nicht in der Pflicht, Ertragsausfälle auszugleichen. Das unterstrichen auch Vertreter anderer Kassen.
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