Immer mehr Männer entschließen sich zur Sterilisation. Im Gegensatz zur klassischen Vasektomie lässt sich ein Verfahren mit speziellem Kunststoffpfropfen später leicht rückgängig machen. Dessen Zulassung zieht sich allerdings schon über Jahre hin.
Immer mehr Männer lassen in der urologischen Praxis eine Vasektomie durchführen, also eine Durchtrennung des Samenleiters (Vas deferens). Bis zu einem Drittel der Operierten klagen danach über Schmerzen durch testikulären Rückdruck: Neu entstandene Spermien können die Nebenhoden nicht mehr verlassen, Schwellungen sind die Folge. Weitere Ursachen der Beschwerden sind Entzündungen oder die vermehrte Bildung von Bindegewebe.
Zwar kann eine Vasektomie theoretisch rückgängig gemacht werden. Chirurgen versuchen dabei, durchtrennte Samenleiter unter dem Mikroskop wieder zusammenzuflicken. Die Ergebnisse schwanken stark, in manchen Veröffentlichungen sprechen Kollegen von einem 50-prozentigen Erfolg, andere Artikel konnten in bis zu 80 Prozent aller Fälle die Zeugungsfähigkeit wieder herstellen. Je länger die Vasektomie zurückliegt, desto geringer sind auch die Chancen. Ändern sich mehrere Jahre nach der OP also Lebensbedingungen durch eine späte Ehe mit erneutem Kinderwunsch, hat „er“ ein Problem. Alternativen sind gefragt.
Kunststoff im Körper
Genau für diese Männer hat der indische Forscher Professor Dr. Sujoy Kumar Guha ein Verfahren entwickelt: Bei der RISUG-Methode (Reversible Inhibition of Sperm Under Guidance) injizieren Urologen unter Lokalanästhesie ein spezielles Gel in den Samenleiter. RISUG ist ein Kunststoffgemisch aus zwei Komponenten, nämlich Styrol, bekannter Ausgangsstoff von Styropor, sowie Maleinsäureanhydrid, eine organische Säureverbindung. Gelöst in Dimethylsulfoxid und unter Beschuss mit Gammastrahlung bildet sich im Labor ein gelartiges Polymer.
Nach der Injektion in den Samenleiter härtet der Kunststoff schnell aus. Die klebrige Masse verschließt relevante Strukturen allerdings nicht vollständig, ein Druckausgleich der Nebenhoden besteht weiterhin. Und ist das Spermiogramm negativ, Studien zufolge dauert der Prozess maximal fünf Tage, war der Eingriff erfolgreich. Lediglich einer von 250 Männern blieb zeugungsfähig, berichten indische Urologen. Wissenschaftler vermuten, dass durch Feuchtigkeit im Samenleiter positive Ladungen am Polymer entstehen. Passieren Spermien mit negativer Ladung diese halb durchlässige Barriere, wird deren zelluläre Membran beschädigt. Auch die Geißeln stellen ihre Funktion ein – das Ende einer jeden Reise zur weiblichen Eizelle.
Interessant ist die Methode vor allem für Paare mit späterem Kinderwunsch: Die Produktion von Spermien bleibt erhalten, zur Verhütung sind aber weder unverträgliche Hormone noch störende Kondome notwendig. Einfluss auf die Potenz oder die Menge des Ejakulats hat der Eingriff nicht. Und sollte das Thema Schwangerschaft auf dem Programm stehen, lässt sich der Kunststoff mit Dimethylsulfoxid quasi heraus spülen. Selbst nach Jahren wurden Männer, die nach der Methode vorübergehend steril waren, laut Studien wieder zeugungsfähig. Allerdings musste die Prozedur bei einigen Patienten drei bis vier Mal wiederholt werden, bis der Kunststoff ganz entfernt war. Sujoy Kumar Guha strebte dennoch weitere Verbesserungen an: Er versetzte das alt bekannte Polymer mit Kupfer- und Eisenoxidkörnchen. Im gepulsten magnetischen Feld begannen die Partikel dann zu wandern. Dies ermögliche laut Guha, vielleicht schon bald ohne Eingriff die Fertilität wieder zu erlangen.
Langer Atem lohnt
Vom Labor in die Praxis ist der Weg bekanntlich weit. Erste systematische Untersuchungen begannen 1993 mit 17 indischen Patienten, die alle durch die Methode zeitweilig unfruchtbar wurden. Eine klinische Phase III-Studie mit 193 Probanden folgte sieben Jahre später. Mitte 2002, RISUG war kurz vor der Markteinführung im Heimatland Guhas, dann der Rückschlag: Ärzte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) analysierte die Arbeiten – und war skeptisch. Zwar überzeugte das Verfahren an sich, alle Herstellungsbedingungen des Kunststoffgels entsprächen aber keinem pharmazeutischen Standard, hieß es. Auch die Studien selbst stießen auf Kritik, teilweise fehlten laut den Gutachtern wichtige Daten. Dennoch gaben sich die indischen Kollegen nicht geschlagen.
Dann die nächste Hiobs-Botschaft: Auch das Indian Council for Medical Research forderte erneut toxikologische Beweise der Unbedenklichkeit – bei einigen Patienten war der Hodensack angeschwollen und im Harn konnten Proteine nachgewiesen werden. Glücklicherweise erwies sich das Kunststoffgemisch als unbedenklich, und die Entwicklung konnte weiter gehen. Dennoch zeigten indische Pharmafirmen an einem preisgünstigen Produkt, das nur ein Mal zum Einsatz kommt, kein Interesse. Auch Guha, Jahrgang 1939, war mittlerweile im Rentenalter. Das Ende eines Traums?
Sprung über den Teich
Hier kam Elaine Lissner ins Spiel. Die Amerikanerin, bereits aktiv im „Male Contraception Information Project“, erwarb für 100.000 US-Dollar internationale Rechte an der Technologie. Mit der eigens gegründeten Parsemus-Stiftung will sie bis 2015 den Markt erobern. Bis dahin muss sie noch einige Meilensteine erreichen: Nach der Analyse von RISUG-Präparaten aus indischer Produktion stellen Forscher jetzt Kunststoffproben unter Gesichtspunkten der Qualitätssicherung und Reinheit her. Entsprechen die Gele den ursprünglichen Chargen, wird spätestens im Sommer 2011 reines Vasalgel, so der neue Name, in größerer Menge für die klinischen Studien produziert werden. Anschließend widmet sich Parsemus Fragen der Biokompatibilität. Sollte alles gut laufen, rechnet das Konsortium in 2012 mit toxikologischen Studien sowie mit dem Start von klinischen Studien in den USA. Mittlerweile wendete sich auch der Wind in Indien – erneut sollen klinische Phase III-Studien durchgeführt werden, dieses Mal aber mit voller Unterstützung der Regierung.
Wer soll das bezahlen?
Die hehren Ziele von Elaine Lissner könnten aber am Geld scheitern – rund fünf Millionen US-Dollar bräuchte Parsemus für alle Schritte. Jetzt hofft die Amerikanerin auf öffentliche Unterstützung oder auf Stiftungsgelder. Interesse hätte möglicherweise das WomanCare Global-Netzwerk, das die Entwicklung neuer, erschwinglicher Technologien zur Schwangerschaftsverhütung in Afrika, Asien und Lateinamerika zur Verfügung forciert. Chancen bestehen auch bei der Bill & Melinda Gates-Foundation oder der Susan Thompson Buffett Foundation.
RISUG würde vom alten Traum der „Pille für den Mann“ profitieren. Rein pharmakologische Ansätze stecken nämlich immer noch in den Kinderschuhen. Und Urologen erwarten, dass die Markteinführung des Polymers starke Auswirkungen auf den Absatz von Kondomen haben könnte. Inwieweit RISUG aber nicht nur Spermien abtötet, sondern auch das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.