Die Situation öffentlicher Apotheken hat sich durch das AMNOG drastisch verschlimmert. In den letzten Monaten brachen die Umsätze immer weiter ein. Jetzt ist guter Rat teuer – bringt die Erstattungsfähigkeit von OTCs oder das Konzept zur Arzneimittelversorgung etwas Linderung?
Hiobs-Botschaften vom Branchen-Infodienst: IMS Health errechnete für März einen Rückgang der Apothekenumsätze von 6,4 Prozent, im April waren es minus 5,7 Prozent. Vor allem der verhasste Zwangsabschlag, von einstmals 1,75 Euro auf 2,05 Euro angehoben, sorgte für Leere in der Registrierkasse – rund 415 Millionen Euro an Rabatten drückten Apotheken in den ersten vier Monaten ab. Großhandelsabschläge hingegen summieren sich auf 55 Millionen Euro, und Hersteller verzichteten zwangsweise auf 749 Millionen Euro. Damit nicht genug: Laut Deutschem Apothekerverband (DAV) reiche der Pharmagroßhandel die eigentlich durch ihn zu leistenden Sparbeträge in Richtung Apotheken weiter.
Summa summarum bringt das immer mehr Chefs in arge Bedrängnis: Im ersten Quartal 2011 mussten laut DAV bereits 52 Apotheken ihre Pforten für immer schließen. Entsprechend pessimistisch bewerteten die verbliebenen Kollegen beim Apothekenkonjunkturindex (APOkix) die Sachlage. Knapp 57 Prozent der Befragten äußerten sich negativ, 32 Prozent neutral und magere 11,7 Prozent blicken mit positiven Erwartungen in die Zukunft. Gemessen an den letzten Monaten verschlechterten sich damit ökonomische Einschätzungen signifikant.
Selbstständigkeit – nein danke
Angesichts dieser Situation wundert es niemanden, wenn die eigene Apotheke schnell zum Vabanque-Spiel wird. „Der Generationswechsel ist in vollem Gange. Aber es fehlen die Nachfolger“, weiß Ronald Schreiber, Präsident von Thüringens Apothekerkammer. Allerdings sei bei vielen Apotheken zweifelhaft, ob sie wirtschaftlich weiter zu führen seien. Ein Gedanke, der sich nicht auf dieses Bundesland beschränkt: Heute ist der riskante Schritt in die Selbstständigkeit in vielen Kammerbezirken nicht mehr das ausdrückliche Ziel vieler Approbierter. Apothekenfilialen hingegen bieten je nach Vertragsgestaltung gewissen Freiheiten sowie ein überschaubares Risiko. Jetzt werden auch noch die Fachkräfte zur Mangelware: Bereits heute hat laut APOkix etwa jede zweite Apotheke Schwierigkeiten, neue PTA und Approbierte einzustellen (DocCheck berichtete) – eine direkte Folge der schwindenden Attraktivität entsprechender Berufsbilder durch sich ständig verschlechternde Rahmenbedingungen.
Selbst die Versandapotheken bekommen langsam aber sicher die Folgen der Sparpakete zu spüren. „Auch wir haben klare Einschnitte im Rohertrag“, so Christian Buse, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Versandapotheker (BVDVA). Im April wuchs der Rx-Umsatz „nur“ um neun Prozent, und gleichzeitig wanderten vier Prozent mehr OTCs in die Versandkisten. Dennoch erwartet Buse eine weitere Steigerung des Umsatzes. Zudem änderten Kunden ihr Kaufverhalten: Standen vormals hochpreisige Präparate im Mittelpunkt, landet jetzt die ganze Produktpalette als Vorrat im Warenkorb, oftmals als Vorrat für saisonale Wehwehchen wie Erkältungen oder Allergien.
OTCs bald wieder mit Perspektive?
Von solchen Zahlen können öffentliche Apotheken momentan nur träumen: Laut IMS Health legte der Umsatz entsprechender OTCs im April um magere 1,2 Prozentpunkte zu. Möglicherweise tun sich hier bald neue Möglichkeiten auf, und zwar durch den Referentenentwurf zum unaussprechlichen Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG): KVen sollen demnach in Zukunft unter anderem auch rezeptfreie Medikamente mit in ihren Leistungskatalog aufnehmen können. Diese müssen nach wissenschaftlichem Stand einen therapeutischen Nutzen bringen, medizinisch notwendig oder ökonomisch sinnvoll sein – Kriterien, nach denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) generell Bewertungen vornimmt. Und Mehrkosten seien dann durch Zusatzbeiträge zu finanzieren, falls eigene Reserven oder Gelder aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichten, heißt es in dem Papier.
Lobende Worte kamen derweil vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). Man begrüße die geplanten Möglichkeiten für Kassen, hieß es. Hingegen äußerten sich Vertreter der Krankenversicherer ablehnend. „Das machen wir nicht und andere Kassen sicher auch nicht“, so Barmer GEK-Vorstandsvize Rolf-Ulrich Schlenker. Eine Wettbewerbsregelung sei dies sicher nicht. Und aus AOK-Kreisen verlautete: „Nicht verschreibungspflichtige Medikamente wie zum Beispiel Nasentropfen, Hustensaft oder Lutschtabletten hat der Gesetzgeber aus der Erstattungsfähigkeit aus wirtschaftlichen Gründen herausgenommen.“ Begründete Ausnahmen gebe es bereits heute. Andererseits führe die Aufweichung bestehender Regelung laut DAK zu einem „unsinnigen Wettbewerb unter den Kassen, ohne die Qualität oder Sicherheit der Versorgung zu verbessern.“
Volle Kassen bei den anderen?
Des einen Leid, des anderen Freud: Im ersten Quartal verringerten sich Ausgaben für Arzneimittel um 4,8 Prozent auf 7,64 Milliarden Euro. Unter dem Strich verbuchten damit die Krankenkassen ein Plus von rund 1,5 Milliarden Euro. Dennoch warnten Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums vor allzu großer Euphorie. Zeitgleich kletterten nämlich die Kosten pro Mitglied um 3,1 Prozent, der GKV-Schätzerkreis rechnet mit einem Anstieg auf 4,3 Prozent in den nächsten Monaten. Jetzt sind – oh Wunder – aber nicht die Arzneimittel schuld: Vor allem Ausgaben für Krankengeld (plus 11,2 Prozent) und Krankenhausbehandlungen (plus 4,8 Prozent) schlagen zu Buche.
In dieser wirtschaftlichen Situation mag es erstaunen, dass die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ihren Haushaltsvoranschlag trotz fadenscheiniger Proteste aus den eigenen Reihen um 4,5 Prozent auf nunmehr 13,5 Millionen Euro erhöhte. Weitere Zuwächse für 2012 sind schon in der Pipeline, die Gerüchteküche spricht von mehr als fünf Prozent mehr, in Zahlen 15,4 Millionen Euro. Und das will gegenfinanziert sein: Bei so manchen Landesapothekerkammern- und verbänden schließen Branchenkenner mittelfristig eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge nicht aus.
Sonne über den Alpen
Bessere Aussichten herrschen da in der Alpenrepublik: Österreichs Apotheken sind weiter auf Wachstumskurs, zwar etwas gebremst, aber dennoch stabil mit 1,7 Prozent im Plus. In Deutschland bleibt nur der fromme Wunsch auf eine politische Kehrtwende. DAV-Chef Fritz Becker: „Wir fordern vom Gesetzgeber deshalb, den Zwangsabschlag umgehend wieder auf das alte Maß von 1,75 Euro zu reduzieren.“ Oder der Staat integriert in das Versorgungsgesetz doch noch das viel zitierte Zwei-Säulen-Modell von ABDA und Kassenärztlicher Bundesvereinigung. Darin war vorgesehen, dass Ärzte lediglich den Wirkstoff verordnen und Apotheker ein passendes Präparat auswählen. Inklusive pharmazeutischer Betreuung läge das Honorar bei 360 Euro pro Patient und Jahr, aufzuteilen zwischen den beiden Leistungserbringern. Doch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) möchte erst einmal Ergebnisse aus einer Testregion sehen.