Bei einer steigenden Zahl von Allergikern verschreiben immer mehr Ärzte eine Hyposensibilisierung. Doch wer die Qual hat, hat die Wahl: Schnell-Hypo oder jahrelanges Spritzen - oder sollte man sich die Sache doch erst auf, besser unter der Zunge zergehen lassen?
Sitzt der sechsjährige Spross bereits morgens schnorchelnd am Frühstücktisch, die Augen mittags rot und juckend als habe er seit der Früh durchgeweint, fragen sich die Eltern, wie dem gequälten Kind am besten zu helfen ist. Monatelang täglich symptomlindernde Medikamente zu verabreichen stellt die meisten nicht zufrieden. Und die Allergie bleibt. Das Immunsystem mithilfe der Hyposensibilisierung umzustimmen klingt verlockend. Aber bedeuten die Spritzen am Ende nicht nur weitere Qualen mit ungewissem Ausgang? Vielleicht doch lieber Tropfen?
Wirksam oder unnötige Qual?
Das beispielhaft skizzierte Kind ist kein Einzelfall, denn jedes vierte Kind ist allergisch. Bei den Erwachsenen ist der Anteil ähnlich hoch, so dass insgesamt von 20 bis 30 Millionen Allergikern in Deutschland ausgegangen wird. In den Jahren zwischen 2006 und 2010 sind die Ausgaben für die Hyposensibilisierung bei Kindern und Jugendlichen um 45 Prozent gestiegen, die Zunahme der Verschreibungen beträgt dabei drei Prozent. Gleichzeitig nahm die Verschreibung symptomlindernder Medikamente um 15 Prozent ab, ergab die Auswertung von Daten der Techniker Krankenversicherung.
Tatsächlich gilt die spezielle Immuntherapie oder Hyposensibilisierung als einzig wirksame Behandlung allergischer Erkrankungen, doch korrelieren im Einzelfall die immunologischen Wirkungen nicht mit der klinischen Wirksamkeit wie es in der Leitlinie zur Hyposensibiliserung aus dem Jahr 2009 heißt. Immunologische Wirkmechanismen sind beschrieben, doch nicht endgültig geklärt. Auch ist es schwierig in systematischen Reviews zuverlässige Ergebnisse zu erhalten, denn auch die von der Cochrane Collaboration veröffentlichten Analysen zur Hyposensibillisierung enthalten Studien mit heterogenen Ergebnissen, verschiedenen Probandengruppen, Allergenprodukten, Behandlungsdauern und -dosen.
Mit Spritzen zur Toleranz
Als erwiesen gilt die Wirksamkeit der subkutanen Hyposensibilisierung bei saisonaler allergischer Rhinokonjunktivitis. Um 45 bis 60 Prozent ließen sich Beschwerden und Medikamentenverbrauch bei Erwachsenen reduzieren. Eine gute Wirksamkeit ließ sich auch bei durch Hausstaubmilben und Tierhaarepithelien v.a. von Katzen ausgelösten Allergien belegen, allerdings mit weniger Studien. Dies gilt auch für Schimmelpilzallergien. Kinder profitieren, jedoch kann dies nur eine geringere Anzahl von Studien belegen. Unterschiede eingesetzter Allergenprodukte sind bisher nicht hinreichend untersucht.
Statt jahrelangem Spritzen ist auch die Kurzzeit-Hyposensibiliserung mit vier bis acht Injektionen gut wirksam. Ob der Erfolg mit der geringeren kumulativen Gesamtdosis tatsächlich auch längerfristig derselbe wie der einer Langzeitbehandlung ist, ist unklar. Deshalb ist die Kurzzeitbehandlung etwas für Menschen mit wenig Zeit bis zum Pollenflug oder wenig Geduld für längere Behandlungen. Für Kinder gibt es keine Belege zur Wirksamkeit der Kurzbehandlung. Auch bei kontrolliertem Asthma und IgE-vermitteltem allergischem Asthma ist die subkutane Hyposensibiliserung eine Behandlungsoption, besonders in der Sekundärprävention von Neusensibilisierungen und Asthma bei Kindern.
Spritzenallergie? Es geht auch oral
Nicht jeder möchte die Spritzenkur plus mögliche lokale Nebenwirkungen in Kauf nehmen, insbesondere wenn es um Kinder geht – obwohl diese bei vorausgesetzter Compliance der Eltern und stärkerem Leidensdruck die Behandlung erfahrungsgemäß meist recht gut tolerieren. Tabletten oder Tropfen sind eine Alternative, die zwar weniger gut untersucht ist wie die subkutane Behandlung, aber dennoch einen Erfolg verspricht. Besonders ein flüssiges Einzelpräparat punktete bei Pollenallergikern nach 18 Monaten mit um 46 Prozent reduzierten Symptomen und entsprechend geringerem Medikamentenverbrauch. Auch für Kinder ab fünf Jahre sind Tabletten zugelassen. Die Beurteilung des Behandlungserfolgs bei anderen Allergieauslösern als Pollen ist bislang schwierig, da zu wenige Untersuchungen vorliegen. Dies gilt auch für das allergische Asthma.
Sicher oder lebensgefährlich?
Dennoch besteht grundsätzlich bei jeder Hyposensibilisierungsbehandlung das Risiko einer allergischen Schockreaktion, weshalb Betroffene nach jeder Spritze eine halbe Stunde in der Praxis bleiben müssen. Tritt in dieser Zeit keine schwere Reaktion auf, ist das Risiko einer Sofortreaktion weitgehend gebannt. Bei Patienten mit Asthma scheint das Risiko höher zu sein. Einem Bericht der Mayo Clinic zufolge betrug die Inzidenz meist milder Nebenwirkungen bei über 79.500 Behandelten in einem Zehnjahreszeitraum 0,137 Prozent. Todesfälle kamen keine vor.
Aber es gibt sie. Die Angaben dazu sind unterschiedlich. Die Mayo Clinic gibt die Häufigkeit mit weniger als 1:1.000.000 an. Die Allergen Products Manufacturers Association (APMA) schätzt die Inzidenz von Todesfällen auf 1 pro 63.000.000 Injektionen. Im Vergleich kommt es beispielsweise bei Kontrastmittelinjektionen wesentlich häufiger zu schweren allergischen Reaktionen mit Todesfolge. Die Angaben schwanken laut Mayo Clinic zwischen 1:13.000 und 1:75.000.
Was sind die Erfolgsprädiktoren?
Es gibt Faktoren, die einen Erfolg der Hyposensibilisierung wahrscheinlich machen, was nicht bedeutet, dass der Versuch nicht auch in anderen Fällen lohnt. Gute Erfolgsaussichten für eine Symptomverbesserung bestehen, wenn
Nebenwirkungen beschränkten sich in der Praxis und beim Kind immer auf lokale Reaktionen, die kaum einschränkend wirkten und gut toleriert wurden.